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Arbeitsschutz 2. April 2024

Evakuierungen üben schützt Leben

Immer wieder deutlich, dass es bei der Evakuierung öffentlicher Gebäude mit ortsunkundigen Personen noch erhebliches Verbesserungspotenzial gibt.

Räumungsübungen sollten regelmäßig und mit Ernsthaftigkeit stattfinden.
Räumungsübungen sollten regelmäßig und mit Ernsthaftigkeit stattfinden.

Aus den unterschiedlichsten Gründen sind Evakuierungen von Gebäuden bundesweit betrachtet an der Tagesordnung. Vom Brand über die Unwetter-Katastrophe, den Chlorgas-Austritt, den es in Schwimmbädern immer wieder einmal gibt, bis zur Amoktat – alle diese Vorfälle können eine Räumung notwendig machen. Darauf vorbereitet zu sein, fällt in die Zuständigkeit des Betreibers oder Arbeitgebers und ist eine an viele Vorschriften gekoppelte Pflicht (siehe Kasten), die Experten der Berufsfeuerwehren zufolge nicht immer vorbildlich umgesetzt wird.

Doch es gibt auch Positiv-Beispiele: Im Februar 2023 brannte es in einem Gästezimmer des Vier-Sterne-Resorts Marina in Bernried am Starnberger See. Auslöser war der Relaisschaden eines Nachtspeicherofens – um 5.18 Uhr ging der durch den Brandmelder ausgelöste Alarm bei der Feuerwehr ein. Es hätte heikel werden können: Schließlich befinden sich gerade in Hotels viele ortsunkundige Personen. Oftmals erreichen diese ihre Zimmer mithilfe von Aufzügen, die im Brandfall nicht mehr genutzt werden dürfen. Und auch der ein oder andere Drink abends an der Bar kann das Verhalten der Gäste beeinträchtigen. Doch es ging in diesem Fall alles gut: Der Brand war schnell gelöscht, die Räumung des gesamten Hotels verlief reibungslos, niemand kam zu Schaden. Ein Grund für den glimpflichen Verlauf: Das Marina Bernried verfügt über individuell abgestimmte Sicherheitsrichtlinien mit konkreten Verfahrenswegen und Ablaufketten, die in einer Checkliste festgehalten sind und deren Umsetzung regelmäßig geschult wird. „Jeder weiß, was er in welcher Situation zu tun hat“, brachte es der damalige Direktor Volker Weber kurz nach dem Ereignis auf den Punkt.

Entscheidend  für zügige Evakuierung: geschulte Mitarbeitende

Zum sogenannten „Feuer-Team“, das sich bei einem Brandalarm umgehend leuchtende, weithin sichtbare Jacken überstreift, zählen der Brandkoordinator und die jeweils ranghöchsten Mitglieder der Abteilungen. Die Schichtleitung im Front Office ist instruiert, sofort eine Liste der Gäste und diensthabenden Mitarbeiter auszudrucken. Menschen mit Beeinträchtigung sowie ältere Gäste, die bei einer Evakuierung Hilfe benötigen, werden stets priorisiert ganz oben auf die Gästeliste gesetzt. Housekeeping-Bedienstete wiederum wissen, dass ihre Trolleys niemals die Fluchtwege versperren dürfen und wo diese im Notfall abzustellen sind. Über Lautsprecher oder Megaphone werden je nach Situation vorgegebene „Worte der Weisheit“ kommuniziert, um alle auf dem Gelände auf dem Laufenden zu halten und Panik zu vermeiden. Die Sicherheitskonzepte werden regelmäßig weiterentwickelt und mindestens alle sechs Monate sowie unmittelbar nach einem Vorfall überprüft. Auch Erste-Hilfe-Auffrischungen finden statt, bei denen die Mitarbeitenden u.a. den Umgang mit dem Defibrillator erlernen, damit sie im Ernstfall Ruhe bewahren und keine Hemmschwellen haben.

Gebäude-Evakuierung wird zu wenig geübt
Ob Menschen bei Gefahr lebend aus einem Gebäude entkommen, ist in Deutschland leider nicht sicher. Nach Auffassung der International Security Academy (ISA) haben 90 Prozent der verantwortlichen Gebäudebetreiber (Unternehmen und Behörden) in den letzten fünf Jahren keine Evakuierungsübung durchgeführt.
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Mit Sprachdurchsagen für Klarheit sorgen

Vieles wurde und wird hier richtiggemacht, woran es anderenorts des Öfteren hapert. Schritt eins sollte sein, „frühzeitig eine Notfallplanung zu erarbeiten, die die baulichen Rahmenbedingungen mit den organisatorischen Möglichkeiten bestmöglich verbindet“, heißt es seitens der Berliner Feuerwehr. Ebenfalls wichtig: regelmäßig Übungen durchzuführen und im Nachgang auszuwerten beziehungsweise die Brandschutzordnungen nachzujustieren. „Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen absolvierten Übungen und guten Verläufen im Realfall“, bestätigt Stefan Holtkamp, stellvertretender Sachgebietsleiter der Feuerwehr Düsseldorf, Sachgebiet Genehmigungsverfahren. Er weiß jedoch, dass Übungen mitunter vernachlässigt werden. Schließlich wirken sie nicht selten zunächst geschäftsschädigend, etwa bei einem Kino im Vollbetrieb oder in einem Einkaufszentrum. Dabei seien die Ernstfall-Risiken gerade in Gebäuden mit vielen ortsunkundigen Personen hoch. „Schüler üben die Räumung quasi in jeder großen Pause und wissen, wo es langgeht“, verdeutlicht der Experte, während bei ortsunkundigen Personen häufig Verzögerungen und Verunsicherungen festzustellen seien. „Das beginnt damit, dass sie Alarmsignale nicht richtig einzuordnen wissen: Was ist das für ein Alarm? Betrifft er mich? Hilfreich sind hier zügige und verständliche Sprachdurchsagen mit klaren Informationen und Handlungsanweisungen, wie sie auch in der DIN VDE 0833-4 aufgeführt sind, und das mehrsprachig entsprechend den Ziel- und tatsächlichen Besuchergruppen.“

Personal sollte alle Rettungswege kennen und üben

Vielfach kritisch: „Dass nicht alle Notausgänge beziehungsweise Rettungswege genutzt werden“, so Holtkamp, der psychologische Gründe als Ursache sieht. „Personen wählen meist den Weg, über den sie auch hereingekommen sind. Sie denken gar nicht an die anderen Türen oder scheuen sie, weil sie nicht wissen, wie es danach weitergeht. Nehmen wir das Beispiel Kino: Hier werden selten die Rettungswege neben der Leinwand angesteuert, sondern bevorzugt jene über das Foyer.“ Entscheidend sind anwesende und gut geschulte Mitarbeitende, die sich im Idealfall schnell mit Warnwesten oder ähnlichem kenntlich machen und dadurch auch in ihrer Funktion wahrgenommen werden. „Auch für das Personal sind Alarme Stresssituationen, sie müssen ihre Aufgaben, die nicht zu komplex sein sollten, exakt kennen. Ich empfehle, im Rahmen von Schulungen alle Notausgänge mit den Mitarbeitenden bis zum Schluss durchzugehen“, sagt Holtkamp.

Michael Brückmann, Branddirektor und Abteilungsleiter Vorbeugender Brandschutz bei der Berufsfeuerwehr Frankfurt am Main, bestätigt: „Die jeweilige Brandschutzordnung ist dem Personal vielfach nicht ausreichend bekannt. Daher werden ortsunkundige Personen im Übungs- oder Ernstfall nicht wie geplant angeleitet.“ Sein Rat: Erklärvideos für neue Mitarbeitende zu produzieren und generell die „Big Points“ an Sicherheitsmaßnahmen gut zu schulen. Auch technische Zusammenhänge sollten bekannt sein, sodass beispielsweise plötzlich geschlossene Rauch- oder Feuerschutzabschlüsse, Türen, die zufallen oder Rauchvorhänge, die herunterkommen, keine Verwirrung auslösen. „Man sollte auch Etagenbeauftragte etc. benennen und ausbilden, außerdem geeignete Sammelplätze festlegen.“

Auf dem Stand der Technik bleiben

Holtkamp fügt als wichtige, mitunter unterlassende To-do’s in Richtung Arbeitgeber/ Betreiber hinzu: „Wichtig ist, auch die technische Ausstattung in Bestandsgebäuden immer wieder an den neuesten Stand anzupassen und Instandhaltungen, wie den Austausch defekter Lampen der Sicherheitsbeleuchtung, zeitnah durchzuführen.“ Brückmann ergänzt: „Flucht- und Rettungspläne sollten nicht nur an geeigneten Stellen hängen, sondern auch lagerrichtig ausgeführt sein.“

Stefanie Hütz

Wichtige Vorschriften und Normen rund um das Thema Gebäude-Evakuierung

-          Arbeitsschutzgesetz

-          Arbeitsstättenverordnung

-          DGUV Vorschrift 1 „Grundsätze der Prävention“

-          ASR V3 „Gefährdungsbeurteilung“

-          ASR A2.3 „Fluchtwege und Notausgänge“

-          ASR V3a.2 „Barrierefreie Gestaltung von Arbeitsstätten“

-          DIN VDE 0833 „Gefahrenmeldeanlagen“

-          DIN ISO 23601 „Flucht- und Rettungspläne“

-          VDI-Richtlinie 4062 „Evakuierung“

Weiterführende Informationen: DGUV Information 205-033 „Alarmierung und Evakuierung“ der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung

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