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Unternehmen 12. Juni 2023

Strategie in unsicheren Zeiten

Strategien unter Unsicherheit – geht das überhaupt? Ja, doch statt „wait and see“ braucht es ein neues Mindset. Was bedeutet das für die Sicherheitstechnik-Branche? 

Auch in unsicheren Krisenzeiten sollte der Unternehmenskompass klar in Richtung Strategieentwicklung zeigen.
Auch in unsicheren Krisenzeiten sollte der Unternehmenskompass klar in Richtung Strategieentwicklung zeigen.

Die exogenen Einflussfaktoren (Ukraine-Krieg, Energiekrise, Lieferkettenprobleme, Inflationsdruck, Zinsniveau) haben weiter an Dynamik gewonnen und bestimmen das teils zaghafte strategische Vorausdenken und Handeln vieler Manager. Warum aber in der Krise nicht die sich bietenden Chancen nutzen? Um sich aus der „Schockstarre“ zu lösen, in der sich momentan viele Unternehmen befinden, muss als erstes das Mindset der Führung und gesamten Organisation verändert werden: Der Umgang mit Unsicherheiten wird zur Norm und als Prämisse akzeptiert, Entscheidungsprozesse laufen kollaborativ und nicht mehr hierarchisch. Das Management wird zum Navigator des Wandels.

Für die Unternehmen der Sicherheitstechnik gilt es daher kurzfristig wirksame Antworten zu finden. Im Zentrum sollten Maßnahmen zur Sicherung von Geschäftstätigkeit und Kosten-/Ergebnissituation stehen. Allerdings ist zu beobachten, dass sich Unternehmen mit dem Verweis auf die Nichtvorhersehbarkeit der zukünftigen Entwicklung vornehmlich auf derartige – im Kern operative Maßnahmen – konzentrieren. Die strategische Perspektive kommt regelmäßig zu kurz. Typische Aussagen aus den Führungsetagen lauten dann: „Wir sind jetzt voll auf das kurzfristige Überleben fokussiert, andere Aufgaben müssen daher warten.“ Oder: „Die Konkurrenz hat die gleichen Probleme. Warum also über neue, alternative Strategien nachdenken?“ Dabei wird übersehen, dass jede unternehmerische Entscheidung unter mehr oder weniger großen Unsicherheiten getroffen wird. Gleichzeitig bietet jede Krise die Chance auf eine Verbesserung der Wettbewerbsposition. Wie sollte also Strategie und strategische Unternehmensführung in diesem Umfeld ausgestaltet werden?

Die Zukunft der Sicherheitstechnik: digital, vernetzt, kundenindividuell

Neben den geopolitischen und makroökonomischen Einflussfaktoren bestimmen vor allem Markt- und Wettbewerbssituation in der Branche die strategische Perspektive der Sicherheitstechnikunternehmen. Neue technische Möglichkeiten als auch damit einhergehend neue Bedrohungen haben eine „neue“ Dynamik in der Sicherheitstechnik ausgelöst. Wichtige Treiber sind die Cybersicherheit, die Vernetzung der Sicherheitstechnik mit anderen Gewerken im Gebäude, die Digitalisierung (beispielsweise in Form von Remote Services) sowie Anwendungen von künstlicher Intelligenz (beispielsweise durch Routenoptimierung bei der Alarmverfolgung). Diese Treiber wirken sich quer über alle Anwendungsfelder der Sicherheitstechnik wie Perimeterschutz, Zutrittskontrolle, Brandschutz oder IT-Sicherheit aus. Sie werden dazu führen, dass innovative Unternehmen mit neuen Leistungsangeboten die Wettbewerbssituation verändern. Wer sich vor diesem Hintergrund auf rein operativ-reaktive Maßnahmen zur Zukunftssicherung des Unternehmens beschränkt, läuft Gefahr den Anschluss zu verlieren.

Dr. Michael Staudinger, Mitglied der Geschäftsleitung, Dr. Wieselhuber & Partner
Dr. Michael Staudinger, Mitglied der Geschäftsleitung, Dr. Wieselhuber & Partner
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Gebot der Stunde: zielorientiert navigieren

Die Rahmenbedingungen und Charakteristika der Strategieentwicklung in unsicheren Zeiten unterscheiden sich deutlich vom Strategieprozess in ruhigem Fahrwasser: Aktives und simultanes Chancen- und Risikomanagement, konsequentes Denken und Handeln in Szenarien, agiles und strategisches Engineering und der Spagat zwischen leistungssteigernden und kostensenkenden Maßnahmen bei gleichzeitiger Offenheit für strategische „Experimente“ und disruptive Ansätze. Diese Herangehensweisen haben nur noch bedingt mit dem Prozess der klassischen strategischen Planung zu tun, der allerdings in manchen Unternehmen leider durchaus starke formalistische und technokratische Ausprägungen aufweist. Insofern ist ein neues Strategieverständnis notwendig. Dabei stehen drei Gestaltungsbereiche im Fokus: Risikomanagement, Performancemanagement und Strategisches Management.

Risikomanagement: Szenarien als Ausgangspunkt

Ausgangspunkt für eine neue Strategieherangehensweise sind die unterschiedlichen Unsicherheitsniveaus, die aus Markt- und Branchensicht denkbar und plausibel sind. Am Anfang der strategischen Überlegungen sollte die Entwicklung von zum Teil bewusst extremen Basisszenarien stehen. In der Praxis haben sich vier Unsicherheitsniveaus als zielführend erwiesen, die sowohl auf der Unternehmens- als auch auf der Ebene der einzelnen Geschäftsfelder zu erarbeiten sind. Aus diesen Basisszenarien werden dann sogenannte Standardstrategien abgeleitet, die die individuellen strategischen Antworten auf die unternehmensspezifischen Einflüsse und Ausprägungen je Szenario liefern. Entscheidend ist dabei, dass man sich nicht von Anfang an auf ein Szenario beziehungsweise eine Normstrategie festlegt, sondern alle Optionen „durchdekliniert“, immer wieder aktualisiert und quasi als „Schubladenkonzepte“ bereithält. Erst im zeitlichen Verlauf des auf Dauer angelegten Strategieprozesses wird eine Normstrategie oder Teile davon „geschärft“ oder gegebenenfalls auch wieder verworfen. Daraus ergeben sich Strategiefortschreibungen, die vor allem unter dem Gesichtspunkt der Flexibilität bewertet und ausgewählt werden sollten.

Ohne an dieser Stelle auf Unternehmensspezifika eingehen zu können, werden im Folgenden die Ausprägungen von Basisszenarien sowie geeigneten Normstrategien bei steigendem Unsicherheits-Level kurz skizziert:

Basisszenario 1 - Schrittweise Regeneration: Strategy as usual

Auf diesem Niveau sind kaum (strategische) Unsicherheiten vorhanden. Es bedarf keiner grundlegenden Änderungen des Geschäftsmodells, sondern vielmehr der inkrementellen Weiterentwicklung.

Basisszenario 2 - Anhaltende Instabilität: Optimierung des Geschäftsmodells

Die zukünftige Entwicklung kann anhand weniger Kerngrößen/-indikatoren gut prognostiziert werden. Die Strategiearbeit fokussiert auf klar definierte Wenn-Dann-Beziehungen (wenn z. B. in der Videosicherheit künstliche Intelligenz automatisierte Bildauswertungen und Alarmauslösungen ermöglicht, dann ist für einen Innovator eine entsprechende Weiterentwicklung der Kernkompetenzen erforderlich oder eine Partner-Strategie zu verfolgen).

Basisszenario 3 - Multipler Krisenmodus: Dynamischer Strategieansatz

Für Level 3 lassen sich keine klar abgegrenzten Wenn-Dann-Beziehungen mehr definieren. Es gilt ein Set von Szenarien zu entwickeln und Eintrittswahrscheinlichkeiten abzuschätzen. Die jeweils aktuell verfolgte Strategie muss kurzfristig überwacht und gegebenenfalls revidiert werden. Um die strategische Reaktionsfähigkeit grundsätzlich zu ermöglichen, sollten stets Optionen offengehalten werden.

Basisszenario 4 - Große Revolution: Shaping the Future

Auf dem höchsten Unsicherheitslevel herrscht eine extreme Ambiguität der Prognosen. Dies ermöglicht bei ausgeprägtem Gestaltungswillen eine aktive Veränderung des Branchenumfeldes und der Branchenregeln zum eigenen Vorteil. Disruptive Strategien stellen dann den Normalfall dar.

Johannes Spannagl, Managing Partner, Dr. Wieselhuber & Partner.
Johannes Spannagl, Managing Partner, Dr. Wieselhuber & Partner.

Konkretisierung der Strategieszenarien in der Praxis

Die Erarbeitung der einzelnen Szenarien schafft die Basis für ein unternehmensspezifisches Risikomanagement. Dabei sollten die einzelnen Szenario-Inhalte nicht zu oberflächlich analysiert werden. Insbesondere gilt es zu betrachten: Veränderungen in der Marktentwicklung und Marktmechanik, Renditeerwartungen und drohende Strukturveränderungen der Branche sowie vor allem eine umfassende Trendanalyse (unter anderem geopolitische, gesellschaftliche, technologische, bedürfnisrelevante, Zielgruppen-Trends).

Darüber hinaus sollte eine umfassende Analyse der eigenen Wettbewerbsposition (unter anderem Marktanteils-, Performance- und Preis-/Konditionen-Entwicklung), aber auch die zu erwartenden Strategiemuster und die Finanzkraft der Wettbewerber sowie drohender Substitutionswettbewerb erfolgen und objektiv bewertet werden. Aufbauend auf dieser Risikobewertung können dann die individuellen strategischen Antworten pro Szenario erarbeitet werden. In der Praxis bedeutet dies, dass für alle Optionen die Strategieausprägungen konkretisiert werden, im Wesentlichen Wettbewerbs-, Technologie-, Operations- und Vertriebs-Strategie.

Performance Management unterstützt die Strategie

Abgeleitet aus den strategischen Antworten möglicher Zukunftswelten werden im nächsten Schritt übergeordnete Schlüsselaktivitäten, sogenannte No-Regret-Maßnahmen, verabschiedet und umgesetzt. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie szenario- und strategieunabhängig auf jeden Fall zur Stabilisierung und Performancesteigerung des Unternehmensergebnisses wichtig und erforderlich sind: „Den Break-Even senken – sich für Umsatz- und Kostenrisiken rüsten“ lautet das Motto. Dies können klassische Maßnahmen zur Kostensenkung, Produktivitäts- und Erlössteigerung sein, die bisher, aus welchen Gründen auch immer, zurückgestellt wurden, aber ebenso Maßnahmen- und Investitions-Stopps betreffen. Im Kern gilt es, an folgenden Stellschrauben der Performance zu drehen:

  • Sales Performance: Preis-, Differenzierungs- und Kundenpotenziale gezielt ausschöpfen, Vertriebskraft erhöhen, Produktverfügbarkeit und Produktmix verbessern.
  • Cost Performance: Herstell- und Gemeinkostenpotenziale heben, Prozess- und Organisationseffizienz erhöhen, Wertschöpfungs- und Produkttiefe optimieren
  • Capital Performance: Working Capital senken, Kapazitäten anpassen, Verschuldungsgrad und Finanzarchitektur optimieren.

Ziel ist es, in unsicheren Zeiten die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens nicht nur strategisch voranzubringen, sondern mit operativen No-Regret-Maßnahmen einen resilienten Break-Even sicherzustellen. Damit werden gleichzeitig die strukturellen und finanziellen Voraussetzungen für die erfolgreiche Strategierealisierung geschaffen.

Die Verzahnung der einzelnen Elemente des W&P-Strategieprozesses.
Die Verzahnung der einzelnen Elemente des W&P-Strategieprozesses.

Dynamik im Strategieprozess

Von zentraler Bedeutung ist das kontinuierliche, am besten quartalsweise Strategie-Monitoring. Gerade in unsicheren Zeiten sollte die Umsetzung der Strategie zwingend unter dem Gesichtspunkt der Revidierbarkeit erfolgen. Schwache Signale beziehungsweise Trigger-Punkte sind zu monitoren, um Veränderungen von Szenarien beziehungsweise strategischen Eckpfeilern im Zeitablauf zu erkennen und gegebenenfalls kurzfristig die Strategie unkonventionell beziehungsweise disruptiv anzupassen, wie zum Beispiel durch marktseitige Tests und Experimente. Der Unterschied zum „normalen“ Strategieprozess besteht unter anderem auch darin, dass Entscheidungsprozesse kollaborativ und nicht mehr hierarchisch ablaufen. Das Management hat nicht mehr den Anspruch auf die einzig richtigen strategischen Interpretationen und Antworten, sondern wird zum Navigator des Wandels und strahlt gerade dadurch Zuversicht aus.

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Viele Unternehmen der Sicherheitstechnik haben aktuell mit einer deutlichen Belastung ihrer Ergebnissituation zu kämpfen. Mit Business Performance Management können sie gegensteuern.

Fazit

Unsicherheit in der allgemeinen und der Wettbewerbsumwelt der Sicherheitstechnikunternehmen lässt sich nur begrenzt reduzieren. Gleichzeitig bestehen durch verschiedene technologische Entwicklungen große Möglichkeiten zur Verbesserung der eigenen Wettbewerbsposition. Die einzig geeignete Antwort auf unsichere Zeiten ist daher ein professioneller und agiler Strategieansatz, um Chancenpotenziale gezielt nutzen zu können. Dieser ist geprägt durch das Denken und Handeln in Szenarien, durch flexible Strategieanpassungen, um neue Chancen und Risiken zu berücksichtigen sowie durch ein Maßnahmen-Mix, das von Kostenoptimierung bis zum Eingehen von strategischen „Experimenten“ reicht. Es gilt das jeweils „richtige“ Strategie-Update auszuwählen, krisenrelevante Maßnahmen zu verabschieden und die jeweils gültige Strategie auf Basis eines notwendigen Strategie-Monitorings immer wieder auf den Prüfstand zu stellen. Für proaktive Player eröffnet sich damit die Chance die Unsicherheit zu nutzen und daraus mit einer gestärkten Wettbewerbsposition hervorzugehen.

Dr. Michael Staudinger, Mitglied der Geschäftsleitung & Johannes Spannagl, Managing Partner, bei der Dr. Wieselhuber & Partner GmbH Unternehmensberatung, München.

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