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Radkralle oder Turbolader?

Teil 2

Marco Pompili von Axis Communications sieht Abwehrverhalten auch auf Seiten mancher Smartphone-Hersteller: „Ein Hinderungsgrund war bisher, dass Apple in seinen Geräten kein NFC unterstützt hat. Nun haben sie es zwar eingeführt, es ist jedoch nicht offen für andere Anwendungen außer der eigenen Bezahlfunktion. Das bringt uns in der Zutrittskontrolle natürlich nicht weiter. Es könnte auch sein, dass Apple zukünftig ihre NFC-Funktionalität für Drittanbieter öffnet. Des weiteren können Smartphone-Anwendungen im Bereich Zutritt auch mit Bluetooth realisiert werden“.

Für Harald Gilleßen ist es unter anderem eine Frage der Anwendung: „Ich sehe das Szenario, mit dem Smartphone bequem die Tür zu öffnen, eher im privaten Bereich. Das ist der komplette Gegensatz zu einer Zutrittskontrolle im Unternehmen, wo die Risiken ganz andere sind. Man muss einfach Sicherheit und Komfort genau abwägen.“

Nutzen von Harmonisierung

Einen anderen Ansatz verfolgt SOAA, das sich auf die Vereinheitlichung der Kommunikation von Offline-Zutrittskomponenten fokussiert hat. Hierfür besteht ebenfalls Bedarf am Markt, findet Polichronis Sidiropoulos: „Ich muss sagen, dass sich SOAA-Nachfragen mittlerweile häufen. Die Idee ist eben gut und entspricht genau unserer Philosophie als Hersteller. Die größten Vorteile liegen ganz klar auf Kunden- und Betreiberseite. Aber auch die Anbieter können im Hinblick auf die OEMIntegration profitieren, indem sie sich von proprietären Lösungen etwas weiter lösen. Insgesamt sorgt man dadurch für mehr Flexibilität und schafft eine gewisse Vergleichbarkeit auf dem Gebiet.“

Hartmut Beckmann berichtet von ersten Erfolgen: „Da wir den SOAA-Standard relativ früh umgesetzt haben, sind heute bereits einige Installationen erfolgreich umgesetzt. Ein großer Vorteil ist, dass das Protokoll sehr umfangreich ist und aus diesem Grund sogar große Anlagen umgesetzt werden können. Dass die Lösung funktioniert, wurde auf der letzten Security live demonstriert. SOAA Ausweise, die bei einem Hersteller am Stand programmiert wurden, waren problemlos bei einem anderen Hersteller einsetzbar.“

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„Seit 2014 gibt es nun das Onvif-Profil für den Bereich Zutrittskontrolle und ich bin mir sicher, dass es den Markt stark öffnen wird. Der Hauptgrund, warum Axis in diesen Bereich eingestiegen ist, war dass sich Partner und Kunden beschwert haben, immer proprietäre Zutrittslösungen von einem Anbieter kaufen zu müssen. Onvif schafft hier Abhilfe. Wir haben schon über 25 Softwarepartner gewinnen können, die Integrationen auf Onvif-Basis gemacht haben.“
Marco Pompili, Senior Business Development Manager, Axis Communications GmbH

„Es geht im Kern um Orientierung und Vereinfachung für den Anwender. Es soll ja durchaus Projekte geben, die international aufgesetzt werden, bei denen multinationale Unternehmen die Systeme in ihren örtlichen Niederlassungen synchronisieren und verknüpfen wollen. Hier können Standards und zugehörige Zertifizierungen von großem Nutzen sein. Doch gerade Letzteres fehlt meist, denn wo ist die neutrale Zertifizierungsstelle, die unabhängig abnimmt und die Anlagen mit dem nötigen Prüfsiegel versieht.“
Boris Stamm, Moderator des PROTECTOR-Forums Zutrittskontrolle

Die Perspektiven von SOAA seien aufgrund seines recht umfangreichen Ansatzes prinzipiell nicht schlecht, wie auch Volker Kraiss findet: „Die SOAA-Spezifikationen decken von Haus aus den größten Teil der erforderlichen Funktionen im Datenaustausch zwischen elektronischen Schließkomponenten, dem Ausweis und einem Ausweisleser ab. Unter individueller Nutzung von Standardfunktionen können auch bedingt proprietäre Lösungen umgesetzt werden. Da SOAA eine „offene Spezifikation ist“, kann jeder Hersteller einer ZK-Managementsoftware oder elektronischen Schließkomponenten die SOAA-Spezifikation anwenden. Anbieter von SOAA-kompatibler ZK-Managementsoftware, Ausweisen und Ausweisleser haben natürlich deutliche Wettbewerbsvorteile. Bei den Herstellern elektronischer Schließkomponenten ist man da eher geteilter Meinung. Für den Anwender eröffnet sich auf jeden Fall die Möglichkeit, bei der Beschaffung elektronischer Schließkomponenten mittels SOAA mehr Wettbewerb zu erzeugen.“

Harald Gilleßen ist hier noch skeptisch: „Bei SOAA sehe ich, wie bei anderen Harmonisierungsansätzen auch, das Problem des Nutzens für die Hersteller. Ich erkenne den Vorteil für den Anwender, sehe aber momentan nicht viele Hersteller, die diesen Standard vorantreiben wollen.“

Vielleicht muss man beharrlich bleiben und einen Standard langsam aufbauen und etablieren. Das zeigt auch das Beispiel Onvif aus dem Videobereich, welches anfangs belächelt und kritisiert wurde, nun aber quasi flächendeckend unterstützt wird. Eben dieser Onvif-Standard ist kürzlich auf Zutrittsanlagen erweitert worden – mit noch unklaren Ausgaben, aber viel Potenzial, wie Marco Pompili von Axis Communications findet: „Seit 2014 gibt es nun das Onvif-Profil für den Bereich Zutrittskontrolle, und ich bin mir sicher, dass es den Markt stark öffnen wird. Der Hauptgrund, warum Axis in diesen Bereich eingestiegen ist, war, dass sich Partner und Kunden beschwert haben, immer proprietäre Zutrittslösungen von einem Anbieter kaufen zu müssen. Onvif schafft hier Abhilfe. Wir haben schon über 25 Softwarepartner gewinnen können, die Integrationen auf Onvif-Basis gemacht haben. Den Kunden stehen damit ganz neue Möglichkeiten offen, etwa Software von Firma A, Controller von Firma B und Leser von Firma C in einer individuellen Komplettlösung zu verknüpfen.“

Nicht müde werden

An Standards muss also etwas dran sein, was das nachhaltige Interesse an ihnen trotz aller Schwierigkeiten und Misserfolge der Vergangenheit begründet. Moderator Boris Stamm fasst zusammen und fordert: „Es geht im Kern um Orientierung und Vereinfachung für den Anwender. Es soll ja durchaus Projekte geben, die international aufgesetzt werden, bei denen multinationale Unternehmen die Systeme in ihren örtlichen Niederlassungen synchronisieren und verknüpfen wollen. Hier können Standards und zugehörige Zertifizierungen von großem Nutzen sein. Doch gerade Letzteres fehlt meist, denn wo ist die neutrale Zertifizierungsstelle, die unabhängig abnimmt und die Anlagen mit dem nötigen Prüfsiegel versieht.?“

Für Volker Kraiss herrscht hier auch Fehlanzeige: Wie bei Onfiv wird es vorerst auch bei SOAA keine Zertifizierung geben. Sofern wirklich erforderlich, bleibt es natürlich jedem Auftraggeber überlassen, eine unabhängige Prüfstelle – zum Beispiel den TÜV – mit einer verbindlichen Zertifizierung zu beauftragen. Die Anwendung der SOAA-Spezifikation ist allerdings auch keine „Plug & Play“ – Lösung. Ein SOAA-Projekt muss hinsichtlich seiner Umsetzbarkeit und der nachhaltigen Wirtschaftlichkeit individuell und unter Berücksichtigung vieler Faktoren neutral geprüft und vorbereitet werden.“

Bernd Lesemann ergänzt: „Es ist beim Kunden auch noch nicht gang und gäbe, dass er sein gesamtes elektronisches Schließsystem abgenommen haben will, Ein allgemeines Prüfsiegel existiert in dem Sinne also auch nicht.“

Dennoch wäre es individuell einzufordern, wie Volker Kraiss nachreicht: „Es ist ja jedem Auftraggeber unbenommen, den TÜV zu beauftragen, sein System unabhängig zu prüfen. Das dauert dann eine gewisse Zeit und kostet einen bestimmten Betrag, aber am Ende bekommt der Betreiber ein Zertifikat für genau seine Anlage.“

Das sei in anderen Bereichen viel üblicher als in der Zutrittskontrolle, weiß Dietmar Vetten: „Bei Gaslöschanlagen lässt man die Systeme wesentliche häufiger vom TÜV begutachten, weil hier auch die Gefahr größer ist. Das machen sogar viele Auftraggeber von sich aus, weil sie sichergehen wollen, dass alles ordnungsgemäß installiert wurde.“

Es zeigt sich, dass das reine Entwerfen eines Standards und sein Niederschreiben als Spezifikation bei weitem nicht ausreichen, um ihm zum Durchbruch zu verhelfen. Man muss vor allem genügend Anbieter gewinnen, die ihn unterstützen und implementieren. Denn der Erfolg eines Standards steht und fällt mit der Akzeptanz im Markt und mit dem Nutzen, den er nachweislich bringt – das beinhaltet auch eine Nachprüfbarkeit durch Dritte. Letztlich müssen Anwender Standards einfordern und bereit sein, mit Pilotprojekten voranzugehen, damit die Verbreitung Fahrt aufnehmen kann. So bleibt es spannend zu beobachten, welche Rolle NFC, SOAA und Onvif im Zutrittssektor künftig spielen werden.

Michael Gückel

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