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Öffentliche Sicherheit 29. März 2022

Krisenmanagement in Kriegszeiten

Zur Coronapandemie kommt jetzt noch der Russland-Ukraine-Krieg. Krisenmanager sollten daher jetzt ihre Wertschöpfungsketten einem Stresstest unterziehen.

Wenn in Kriegszeiten Waren nicht mehr importiert oder exportiert werden dürfen, müssen Krisenmanager Vorsorge getroffen haben. 
Wenn in Kriegszeiten Waren nicht mehr importiert oder exportiert werden dürfen, müssen Krisenmanager Vorsorge getroffen haben. 

Coronapandemie und Russland-Ukraine-Krieg sind „schleichende“ Krisen, auf die sich Krisenmanager schon mit Blick auf den nächste Winter vorbereiten sollten.

Folgt man der Schlussszene im legendären Film „Wargames“ aus dem Jahr 1983, liegt die Lösung des Russland-Ukraine-Kriegs in einer „netten Partie Schach“. Genau die schlägt der „War Operation Plan Response“-Computer – kurz WOPR – seinem Schöpfer, dem fiktionale Prof. Stephen Falken, vor. Zuvor hat der Simulationsrechner des US-Militärs alle möglichen Varianten eines „weltweiten thermonuklearen Kriegs“ durchgespielt und dabei ernüchtert festgestellt: „Ein seltsames Spiel. Der einzige gewinnbringende Zug ist, nicht zu spielen.“

Ganz ähnlich präsentiert sich die Lage beim Russland-Ukraine-Krieg für die betrieblichen Krisenmanager in Deutschland, denn Kriege sind auch für sie typische Lose-Lose-Situationen. Wer sich schnell aus Russland zurückzieht, stellt sich damit zwar gefühlt auf die „Seite der Guten“ - gefährdet aber die Versorgung der Menschen vor Ort und damit auch die seiner ehemaligen Mitarbeiter. Wer weiter Waren nach Russland liefert oder von dort bezieht, hilft zwar den Menschen vor Ort - setzt sich aber dem Vorwurf aus, Putins Kriegsfinanzier zu sein. Ein typischer Fall von „Dirty Money“.

Kommunikation in Kriegszeiten

Genauso verzwickt ist die betriebliche Kommunikation in Kriegszeiten. Wer sich als Unternehmer in Deutschland an Hilfsaktionen für Flüchtlinge beteiligt und seinen Beschäftigten für ihren Einsatz auf Facebook dankt, bekommt schnell den Ruf weg, Eigenwerbung auf dem Rücken des Krieges zu betreiben. „Dirty Reputation“ sozusagen.

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Bei der Wahl zwischen Pest und Cholera würden die meisten Unternehmer daher im Zweifel die Pandemie wählen. Im Gegensatz zum Krieg bleiben dort die Infrastruktur und Vermögenswerte weitgehend erhalten. Abgesehen vom zumindest gefühlten Toilettenpapiermangel musste sich in der Pandemie auch niemand ernsthaft Sorgen um die Versorgungssicherheit machen. Ganz anders beim Russland-Ukraine-Krieg. Dort befürchten nicht wenige einen kalten Winter und leere Werkshallen.

Genau hier setzt das betriebliche Krisenmanagement an. Coronapandemie und Russland-Ukraine-Krieg haben eine wesentliche Gemeinsamkeit: Es sind schleichende Krisen. Niemand erwartet in der jetzigen Situation eine Ad-hoc-Lösung von den Krisenmanagern, wohl aber eine solide Perspektivlösung für den befürchteten „doppelten Krisenwinter 2022/23“ - mit Coronapandemie und Ukraine-Krieg in einem. Fehlen jetzt Produkte aus der Ukraine oder Russland: Kein Problem. „Wir warten gerne für den Frieden“. Fehlen im kommenden Winter die gleichen Produkte: „Unentschuldbar“ – und ein klarer Fall von mangelndem Business Continuity Management (BCM).

Krisenmanagement sollte Wertschöpfungsketten untersuchen

Orientiert am neuen BSI-Standard 200-4 des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik sind die betrieblichen Krisenmanager daher gut beraten, bereits jetzt ihre Wertschöpfungsketten einem Stresstest zu unterziehen. Szenario 1: Der Krieg dauert an, und ein neuer Eiserner Vorhang trennt Russland vom Rest der Welt. Szenario 2: Die Lage verschärft sich weiter. China marschiert in Taiwan ein und liefert seine Güter nun bevorzugt an Russland. Szenario 3: Der Krieg endet, aber viele Kunden, Lieferanten und eigene Produktionsstätten in der Ukraine existieren nicht mehr oder jene in Russland wenden sich nun endgültig China zu.

Während die Business-Impact-Analyse im Rahmen des BCM die möglichen Auswirkungen auf den eigenen Geschäftsbetrieb untersucht, betrachtet die Risikoanalyse die konkreten Ursachen des Ausfalls. Von welchen externen Ressourcen ist das Unternehmen abhängig? Mit welcher Eintrittswahrscheinlichkeit ist welcher Schaden zu erwarten? Hierbei finden auch Dominoeffekte Berücksichtigung, denn selbst Unternehmen ohne jedwede Lieferanten- oder Kundenbeziehungen in die Ukraine oder nach Russland werden bei einem Versorgungsengpass im Zuge einer „Energiekrise“ ihre Produktion drosseln oder ganz einstellen müssen.

In der begleitenden Krisenkommunikation ist nun Prozesskommunikation gefragt. Die Marktpartner und Mitarbeiter, Banken und Behörden sollten fortan kontinuierlich über die Lage informiert werden: Wie schnell ist mit Alternativlieferanten zu rechnen? Wie sieht der Lagerbestand aus? Müssen Produkte ganz aus dem Programm genommen werden? Wie werden sich die Preise entwickeln? Wie lange dauert es, alternative Lieferanten zu qualifizieren? Gefährdet die angespannte Lage mittelfristig die finanzielle Stabilität des Unternehmens? Viele Fragen, auf die die Kommunikationsverantwortlichen bereits jetzt passende Antworten zusammenstellen sollten.

Frank Roselieb, geschäftsführender Direktor des Kieler Instituts für Krisenforschung („Krisennavigator“) und geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Krisenmanagement e.V. (DGfKM)

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