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Die Quadratur des Kraiss 27. April 2016

Digital katastrophal?

Die Leipziger Buchmesse hat ihre Tore geschlossen. Unübersehbar waren auch wieder die vielen Romane aus dem Mittelalter, geprägt von Burgen, Rittern, Armut, Krankheit, Verrat, Krieg, Unrecht, Unwissenheit, aber auch von Neugier, dem Drang nach Erkenntnis, wissenschaftlichen Erfolgen und der Angst vor Unbekanntem.
Volker Kraiss.
Volker Kraiss.

Der Adel lebt vom Frondienst Untergebener, von Krieg und Raub. Innovatives Denken muss im Verborgenen geschehen, der Klerus ist überall und richtet seine wachen Augen und Ohren auf jeden, der von der gewohnten und gewollten Lehre abweicht. Der adlige „Unternehmer“ hat es relativ leicht, seine „Kronjuwelen“ zu schützen. Er baut Burgen auf hohen Bergen mit festen dicken Mauern. Der nahende Feind wird früh entdeckt, die Zugbrücke rechtzeitig hochgezogen, und wenn der Rammbock auf Mauern oder Tore prallt, kann man sich mit Pech, Schwefel, Pfeilen, Speer und Schwert verteidigen. Dem Gegner sieht man in die Augen, der Kampf wird Mann gegen Mann geführt. Als letzte Rettung dient der unüberwindbare Burgfried mit der Schatzkammer oder der Geheimgang in die Freiheit.

Andere Zeiten – andere Kriege

Mittelalterliche Kriege wurden mit Ross und Reiter und auf offenem Feld geführt, der Erste Weltkrieg im Schützengraben, mit Kanonen und Maschinengewehren, der Zweite Weltkrieg beweglich mit Panzern und Bomben. Der Kalte Krieg mit der Angst vor der nuklearen Katastrophe.

Jetzt befinden wir uns im Informationskrieg. Der Gegner ist meist unbekannt, Freund und Feind sind schwer voneinander zu unterscheiden. Früher bestand die Beute aus Gold, Silber und Edelsteinen. Heute sind es Know-how, Informationsvorsprung und wirtschaftliche Macht. Die Rammböcke durchdringen geräuschlos Firewalls oder Wissensträger, und sie hinterlassen wenig oder keine Spuren. In aller Ruhe zieht der Angreifer alle digitalen und kreativen Register. Das Opfer wähnt sich in Sicherheit und stolpert ahnungslos ins Verderben.

Funkschatten oder Schlagloch

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Die vierte industrielle Revolution „Industrie 4.0“ ist ausgerufen. Wer glaubt, es handelt sich um Software, der irrt: Die totale Vernetzung der Unternehmen wartet auf uns. Günther H. Oettinger, EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, hielt auf dem Jahresempfang des BVMW in Berlin eine flammende Rede zum Thema „digitalisierte Wirtschaft“ und sagte unter anderem: „Die Amerikaner haben die digitale Überlegenheit und wollen daraus die wirtschaftliche Überlegenheit machen. Wer die Daten hat, hat die Macht. Wenn der Opa idyllisch in der grünen Oase lebt, aber im Funkschatten ist, bekommt er nie mehr einen Enkelbesuch. Wir sollten lieber Schlaglöcher als Funklöcher akzeptieren.“ Zu den katastrophalen Risiken, denen sich Unternehmen damit aussetzen könnten, sagte er nichts.

Auf dem „Sicherheitsgipfel der deutschen Wirtschaft“ am Spitzingsee hielt Professor Timo Kob einen Vortrag mit dem Titel „Pandoras Box 4.0 – ist die Schlacht um die Informationssicherheit noch zu gewinnen?“ und meinte zur Entwicklung der Bedrohungslage: „Die Komplexität der Angriffe steigt, das Schadenspotenzial steigt, die Anzahl der Angriffsziele steigt, die Anzahl der Täter steigt, und die Professionalität der Täter steigt“. Sein Fazit: „Die Büchse der Pandora nur halbwegs geschlossen zu halten, bleibt eine Sisyphos-Aufgabe!“ Nun denn, frohes Schaffen!

Wer Freund – wer Feind?

Mehr Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft wird gefordert. Nur, ist das realistisch? Hinsichtlich der Industriespionage ist die Polizei zuständig. Kann sie wirklich präventiv und effektiv helfen? Für die Wirtschaftsspionage ist der Verfassungsschutz zuständig. Will und darf er wirklich helfen?

Das BfV schreibt in einer Broschüre: „Unbestritten ist außerdem, dass neben China und Russland auch Nachrichtendienste anderer Staaten über die erforderlichen Ressourcen verfügen, um derartige technische Informationsgewinnungsmaßnahmen durchzuführen.“ Das BfV umschreibt mit „anderen Staaten“ – politisch wohl bewusst gewollt – die NSA und Co.

Den Führungsverantwortlichen in der Wirtschaft muss bewusst sein: Sie sind in erster Linie auf sich allein gestellt. In digitale Innovation zu investieren, ist Zukunftssicherung, gleichzeitig in Sicherheit zu investieren, ist unabdingbar und zugleich nachhaltige Wertschöpfung. Übrigens, mir gefällt der Gedanke, dass Opa im idyllischen Funkschatten bleibt. Der Enkel kommt zwar nicht, aber dafür hat er Zeit zum Lesen und spart Geld zugleich, denn der Enkel will ja sowieso nur an seine Kronjuwelen, an sein Erspartes.

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