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Zielsicher durch die Krisen der Welt

Mitte März lud der Bayerische Verband für Sicherheit in der Wirtschaft (BVSW) wieder zur jährlichen „Wintertagung“ an den Spitzingsee bei Schliersee.

Etwa 140 Teilnehmer aus der Sicherheitswirtschaft sowie ein mit hochkarätigen Referenten besetztes Vortragsprogramm prägten den inzwischen achten „Sicherheitsgipfel der deutschen Wirtschaft“.

Wie BVSW-Geschäftsführerin Caroline Eder, die den Sicherheitsgipfel gemeinsam mit ihrem Vorgänger Heinrich Weiss moderierte, im Gespräch mit PROTECTOR betonte, hätte der Verband die Wintertagung deutlich ausweiten können, so groß sei das Interesse im Vorfeld gewesen. Man habe sich aber gegen eine Vergrößerung entschieden, um den Charme und exklusiven Charakter der Veranstaltung beibehalten – und weiter im Arabella Hotel am Spitzingsee durchführen zu können.

So eröffnete der BVSW-Vorstandsvorsitzende Alexander Borgschulze auch die achte Wintertagung vor etwa 140 Teilnehmern und gab einen Ausblick auf das Kongressprogramm der folgenden zwei Tage, das mit hochkarätigen Referenten aus Wirtschaft und Politik besetzt war.

Weltpolitik wird unberechenbarer

Nachdem Bayerns Landespolizeipräsident Prof. Dr. Wilhelm Schmidbauer die Teilnehmer auf den aktuellen Stand im Bereich der inneren Sicherheit gebracht hatte, analysierte Dr. Günther Schmid, ehemaliger Professor für Internationale Politik und Sicherheit beim Bundesnachrichtendienst (BND), die außenpolitischen Entwicklungen in der Weltpolitik. Schmid betonte dabei die zunehmende Unfähigkeit, politische Konflikte vorherzusehen, und verwies auf gravierende Fehleinschätzungen der letzten Jahre: „Niemand sah 2010 den sogenannten Arabischen Frühling kommen, kein einziges Meinungsforschungsinstitut hat den Brexit vorhergesagt, keiner konnte sich vorstellen, dass Donald Trump tatsächlich Präsident der USA werden würde, obwohl man es hätte wissen müssen, hätte es demoskopische Umfragen gegeben. Die Prognostiker haben sich alle getäuscht“.

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Gleichzeitig habe die Frequenz der Krisen in einer Geschwindigkeit zugenommen, wie er sie in den letzten 50 Jahren noch nie erlebt habe, so Schmid: „Der Arabische Frühling, Fukushima, Ukraine-Konflikt, Syrien-Krieg, aktuell Venezuela, die Finanz- und die Flüchtlingskrise“, die Kette der Konflikte sei lang, und die gefährliche innenpolitische Konsequenz dieses „Krisenstaccatos“: „In einer – aus Sicht des Wählers – immer unübersichtlicheren und komplizierteren Welt steigt das Bedürfnis nach einfachen Antworten und Erklärungen.“ Die monokausalen Schuldzuweisungen im Zuge der Flüchtlingskrise an Bundeskanzlerin Angela Merkel oder die Ausblendung der vielfältigen Ursachen des Syrischen Bürgerkriegs seien nur zwei Beispiele dafür.

Vorhersagen fast unmöglich

Dr. Günther Schmid forderte vor diesem Hintergrund ein „Management des Nicht-Wissens“. Bürokratische Antworten auf strategische Fragen reichten in Zukunft nicht mehr aus. Einerseits müssten die Erwartungen an die Politik nach dem Motto: „Die (Politiker) werden es schon richten“, reduziert werden. Andererseits forderte Schmid von der Politik eine höhere „Frustrationstoleranz“ und mehr Bereitschaft, Ungewissheiten zu ertragen. Man dürfe nicht immer dem medialen Druck nachgeben und meinen, auf jede Frage sofort eine Antwort parat haben zu müssen. Die viel kritisierte Aussage von Angela Merkel, man fahre auf Sicht, halte er nicht nur für richtig, sie sei sogar die einzige Option. Denn seriöse Vorhersagen über die Konsequenzen beispielsweise der ultralockeren Geldpolitik, der Digitalisierung, der weiter zunehmenden sozialen Ungleichheit oder des Aufstiegs Chinas zur größten Wirtschaftsmacht der Welt, könnten auch in Zukunft nicht getroffen werden.

Nationalstaatlichkeit im Aufwind

Die Entwicklung Chinas und die Schlüsse, die speziell deutsche Unternehmen daraus ziehen sollten, thematisierte Dr. Kristin Shi-Kupfer, Leiterin des Forschungsbereichs Politik, Gesellschaft und Medien des „Mercator Institute for China Studies“. Nach Jahren der Öffnung, beobachtet Shi-Kupfer in China unter der Führung von Xi Jinping ein Wiedererstarken der kommunistischen Ideologie und warnte bei Geschäften in China vor Naivität. Der Führungsanspruch der Partei stehe seit dem Regierungswechsel 2012 wieder stärker im Mittelpunkt, und das „klar definierte Ziel“ Chinas sei es, wirtschaftliche Abhängigkeiten vom Westen, etwa von amerikanischen Telekommunikationsanbietern zu überwinden und autark zu werden. Zwar gebe es in China eine „selektive Öffnung“ gegenüber ausländischen Unternehmen. Im Zweifel aber würden in Industrien, denen die Regierung entscheidende nationale Bedeutung zumesse, chinesische Unternehmen bevorzugt. Man dürfe sich nichts vormachen, warnte Shi-Kupfer. Es gebe in China keine freie Marktwirtschaft, der Boden sei nach wie vor Staatseigentum und müsse gepachtet werden, das politische System gleiche einem „totalitären Überwachungsstaat“ und das langfristig verfolgte Ziel der Xi-Jinping-Regierung sei ohne Zweifel, China als Weltmacht zu etablieren.

Bilanz der Sicherheitskonferenz

Dass nationale Interessen in der Weltpolitik wieder deutlich auf dem Vormarsch sind, beobachtete auch Dr. Benedikt Franke, Chief Operating Officer (COO) der Münchner Sicherheitskonferenz, der den Teilnehmern Insider-Einblicke in den aktuellen Zustand der weltweiten, bilateralen Beziehungen gewährte. US-Außenminister Mike Pence, der mit versteinerter Mine die Priorität der Interessen der USA betonte habe, vermittelte demnach den Eindruck, die unmissverständliche Botschaft von Donald Trump zu überbringen, ohne selbst voll dahinter zu stehen. Das Aufkommen eines erneuten Großmachtwettbewerbs sei auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2019 zwar sehr deutlich geworden, dennoch hätten die positiven Signale, die auf der Konferenz ausgesendet worden seien, überwogen, betonte Franke. Die US-Delegation sei etwa mit 55 Abgeordneten, einem Viertel des Senats, nach München gekommen, und die Bereitschaft zum Dialog habe insgesamt zugenommen: „Wir hatten auch schon Zeiten, wo der eine nicht mit dem anderen gesprochen hat“, erinnerte Franke. Die Konferenz habe deutlich gezeigt, dass Diplomatie noch funktioniere und die Europäische Union noch nicht „tot am Boden“ liege.

Strategische Sicherheitsfragen im Allgemeinen, und die vollkommene Abhängigkeit Nordkoreas von China und Russland im Besonderen, thematisierte Prof. Dr. Robert Schmucker, der sich seit sechs Jahrzehnten mit Raketen beschäftigt und unter anderem UNO-Waffeninspekteur im Irak war. Humorvoll und überzeugend vertrat Schmucker die These, dass von Nordkorea nicht die geringste atomare Gefahr ausgehe.

IT-Sicherheit als staatliche Aufgabe

Von der Kommunikation auf der weltpolitischen Bühne, wechselten Brigadegeneral a.D., Johann Berger und Prof. Dr. Gabi Dreo Rodosek, die den Lehrstuhl für Kommunikationssysteme und Netzsicherheit an der Universität der Bundeswehr in München leitet, in die virtuelle Welt und fragten, was passiert, wenn „Cyber unser Leben crasht“? Die kostspieligen IT-Attacken der letzten Jahre, etwa der Angriff über Bot-Netze mit der Linux-Schadsoftware „Mirai“, der zum teilweisen Zusammenbruch des Internets führte, hätten deutlich gemacht, dass man auch in Europa mehr in die Cybersicherheit investieren müsse, so Rodoseck. „Wir sehen, dass die USA und China hier wie Express-Züge voraus fahren, und wir müssen aufpassen, dass der Abstand wenigstens nicht größer wird“. In diesem Zusammenhang hob sie mit dem Forschungsinstitut „Cyber Defense“ der Universität der Bundeswehr München sowie der Plattform für den Austausch sicherheitsrelevanter Daten „Concordia“ zwei aktuelle, beispielhafte Projekte hervor.

Die IT-Sicherheit ist auch ein wichtiger Baustein des neuen Bachelor-Studiengangs „Sicherheitsmanagement“, den der BVSW mit der Technischen Hochschule Deggendorf entwickelte, und der kurz vor der Wintertagung erstmals begonnen hatte. Prof. Waldemar Berg stellte die Hochschule Deggendorf sowie Inhalt, Aufbau und Ablauf des neuen, berufsbegleitenden Studiengangs vor (siehe auch: PROTECTOR & WIK, Ausgabe 1-2/2019, S. 56 bis 57).

Verstand und Rationalität bewahren

Den im Zuge der Digitalisierung ausgebrochenen Boom um Trendthemen wie „Big Data“, „Industrie 4.0“, „Künstliche Intelligenz“ und dem „Internet der Dinge (IoT)“ kritisierte der Gründer und Vorstand des Internetproviders Spacenet, Sebastian von Bomhard. Der Diplom-Logiker empfahl, statt kopflos Trends hinterher zu rennen, den gesunden Menschenverstand einzusetzen und die Frage nach dem Zweck zu stellen. Die Digitalisierung sei zwar ein wichtiges Thema. Die Weiterverarbeitung von Daten sei aber ein Werkzeug, und kein Ziel: „Aussagen wie: Wir brauchen die Digitalisierung, weil es uns sonst bald nicht mehr gibt, sind kein guter Ansatz. Denn Angst ist immer ein schlechter Ratgeber.“

Dies gelte unter anderem auch für effektives Krisenmanagement, erklärte der Wirtschaftsberater und Management-Coach Dr. Klaus Bockslaff, der anschaulich die einzelnen Arbeitsschritte eines Krisenstabes im Katastrophenfall erläuterte. Krisenmanagement habe viel mit Fokussierung und Klarheit der Ziele zu tun, so Bockslaff. Im Krisenfall gelte es, im entstandenen Chaos zunächst einen klaren Kopf zu bewahren, einen Krisenstab einzurichten, die objektive Lage festzustellen, zu beurteilen, zu gewichten, und erst dann, auf einer soliden Basis entsprechend zu handeln.

Die neunte BVSW-Wintertagung findet 2020 wieder am Spitzingsee satt

Erstmals erhielten die Teilnehmer der Wintertagung einen detaillierten Einblick in die Arbeit einer verdeckt ermittelten Privatdetektivin, die aus verständlichen Gründen nicht fotografiert werden wollte. Der Karikaturist Tiki Küstenmacher visualisierte künstlerisch versiert und mit fundiertem psychologischem Wissen ausgestattet, wie sich Chaos im Kopf und damit das eigene Leben deutlich vereinfachen lässt.

Am Abend des ersten Tages hatten die Teilnehmer der achten BVSW-Wintertagung dann in der „Wurzelhütte“ unweit des Tagungshotels reichlich Gelegenheit, sich in gemütlicher Atmosphäre auszutauschen. Der Termin für die neunte Wintertagung des BVSW steht bereits fest. Vom 11. bis 13. März 2020 lädt der Verband wieder zum „Sicherheitsgipfel der deutschen Wirtschaft“ an den Spitzingsee ein.

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