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Wenn nicht nur das Licht ausgeht

Ohne Strom wären die westlichen Industriegesellschaften nicht denkbar. Diese wichtigste aller Energieformen ist die Lebensader der modernen Welt, aber auch ihre Achillesverse. Denn großflächige und lang andauernde Leistungsunterbrechungen hätten katastrophale Auswirkungen auf nahezu sämtliche Lebens- und Arbeitsbereiche.

Energie von morgen: Das Höchstspannungsnetz transportiert Strom effizient über weite Strecken.
Energie von morgen: Das Höchstspannungsnetz transportiert Strom effizient über weite Strecken.

Dem Schutz der Stromversorgungs-einrichtungen kommt deshalb eine elementare, ja lebenswichtige Bedeutung zu. Wie ernst die Lage ist, macht ein Arbeitsbericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag deutlich: Bei einer Leistungsunterbrechung würde bereits nach wenigen Tagen die bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen im betroffenen Gebiet zusammenbrechen, wird ausgeführt. Produktion und Dienstleistungen kämen zum Stillstand. Ein Kollaps der Gesellschaft wäre kaum zu verhindern

Horrorszenario

Beispiel New York City, 19. Oktober 2012. Auf den Straßen und Plätzen großer Teile Manhattans ist es stockdunkel - eine Folge des tropischen Wirbelsturms „Sandy“. Licht, Kühlung, IT- und Bürotechnik, Internet, Telefon, Radio, Fernsehen und oftmals auch die Wasserversorgung – nichts davon geht mehr. Brücken und Tunnel sind gesperrt, auch sie brauchen elektrische Energie. Lichtzeichenanlagen fallen aus und sorgen für ein Verkehrschaos. Tankstellen bleiben geschlossen, weil Pumpen und Steuerungselektronik streiken. Die U-Bahnen können nicht mehr fahren. Lebensmittel werden knapp. Geldautomaten und elektronische Kassen sind außer Betrieb, und auch mit Kreditkarten kann nicht bezahlt werden.

Ein Szenarium, wie es nicht nur im Land der bekannt fragilen Netze möglich ist, sondern auch in Deutschland als einem der sichersten Versorgungsgebiete der Welt. Im November 2005 tritt ein bis dahin undenkbarer Fall ein. Im Münsterland knicken unter der Schneelast insgesamt 82 Strommasten um und lösen den folgenreichsten Blackout seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus. 250.000 Menschen sind ohne Strom und damit weitestgehend auch ohne Heizung, etliche davon bis zu fünf Tage lang. Neben Privathaushalten und Industrieunternehmen sind mehr als 12.000 landwirtschaftliche Betriebe betroffen.

Die Vorkommnisse im Münsterland sind ganz sicher ein Extremfall, aber es gibt weitere Ereignisse wie zum Beispiel der mehr als einstündige Blackout in großen Teilen Münchens. Bemerkenswert: Dadurch fallen auch in Frankfurt/Main die Lichtzeichenanlagen aus, da aus der stromlosen bayerischen Landeshauptstadt ein wichtiges Schaltsignal nicht übermittelt werden kann.

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Es ist eine Tatsache, dass das Risiko für Störungen im Stromversorgungsnetz trotz fortschreitender Technik in den zurückliegenden Jahren deutlich gestiegen ist. Waren früher jährlich drei bis vier manuelle Eingriffe ins Netz erforderlich, um einem Stromausfall entgegenzusteuern, sind es nach Angaben des Karlsruher Instituts für Technologie heute 50 bis 60. Eine der Ursachen ist, dass die deutschen Stromnetze in einer Ära konzipiert wurden, in der die elektrische Energie - Stichwort Großkraftwerke - kontinuierlich floss.

Veränderte Ausgangslage

Die heutige Ausgangslage ist dem diametral entgegengesetzt. Mehr als eine Million privater Einspeiser, zum Beispiel Betreiber von Solaranlagen, und volatile, sprich stark veränderliche Energiequellen wie Windkraft, sind alles andere als Garanten der Netzstabilität.

Das Krisen- und Notfallmanagement der deutschen Energieversorger hat nicht nur deshalb in den zurücklegenden Jahren zunehmende Bedeutung erlangt. Jörg Busse, Sprecher der EnBW Regional AG, Stuttgart, die in weiten Teilen Baden-Württembergs ein Stromverteilnetz betreibt, gibt gegenüber PROTECTOR Einblicke. Bei einer Versorgungsunterbrechung – egal welchen Ausmaßes – habe die Wiederherstellung der Stromversorgung oberste Priorität für einen Netzbetreiber. Generell sei der Netzbetreiber so aufgestellt, dass er auf Störungen jederzeit reagieren kann. So sei das Netz redundant aufgebaut, damit bei einem Ausfall eines Betriebsmittels ein anderes dessen Funktion übernehmen kann. Außerdem werde dafür gesorgt, dass die Bereitschaftsdienste an besondere Situationen angepasst werden. Denn Hauptursache für Versorgungsunterbrechungen seien atmosphärische Störungen.

Ein Sturm kündigt sich aber in der Regel an. Somit können Vorbereitungen getroffen werden, indem beispielsweise alle Notstromaggregate, Sonderfahrzeuge und sonstige Gerätschaften einsatzbereit gemacht werden. „Ein Unwetter kann zum Teil umfangreiche Schäden insbesondere an Freileitungen verursachen - beispielsweise durch Blitzeinschläge oder durch Bäume, Äste oder andere Fremdkörper in den Leitungen. Die Schadensstellen sind dann unter Umständen weit verteilt in der Fläche“, weist Jörg Busse auf die Komplexität der Aufgaben hin.

Obwohl die Versorgungssicherheit in Deutschland einen sehr hohen Standard hat, könne niemand eine zu hundert Prozent störungsfreie Versorgung garantieren, so der Sprecher. „Ist ein Unternehmen auf eine unterbrechungsfreie Stromversorgung angewiesen – beispielsweise wegen sensibler Produktionsabläufe, verderblicher Ware etc. - empfiehlt es sich, Kontakt mit dem zuständigen Netzbetreiber aufzunehmen. Dieser stellt sein Know-how gerne zur Verfügung, um beispielsweise gemeinsam zu überlegen, ob eventuell die Anschaffung eines Notstromaggregats sinnvoll wäre – so wie es beispielsweise in Krankenhäusern üblich ist“, so Jörg Busse.

Den Notfall proben

Auch die vier Verteilnetzbetreiber (Tennet, Amprion, 50 Hertz, Transnet BW), die in Deutschland für die Netzstabilität verantwortlich sind, betreiben aktive Vorsorge. Diese Unternehmen bereiten sich auch auf Szenarien vor, die über lokale und zeitlich begrenzte Ereignisse hinausgehen. Ein Notfallstab probt in regelmäßig stattfindenden Übungen die Abläufe in einem Ernstfall. Oberstes Ziel ist es natürlich, großflächige Ausfälle zu vermeiden. Ein wichtiges Instrument für das Einhalten der Netzstabilität ist zum Beispiel das Lastmanagement, bei dem die Verteilnetzbetreiber der verschiedenen Spannungsebenen – unter Federführung des jeweiligen Übertragungsnetzbetreibers - miteinander kooperieren.

Stefan Mikus, Fachexperte des Referates II.4 (Gefährdungskataster, Schutzkonzepte Kritischer Infastrukturen) im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) rät den Unternehmen gleichfalls zu einer umfassenden Notfallvorsorge. Als Grundlage hierfür sollten Gefährdungsszenarien genutzt werden. Entscheidend sei nach seinen Worten, dass Schlüsselbereiche der Unternehmen funktionsfähig bleiben können. Notstromaggregate seien zwar generell eine gute Lösung, ließen sich aber wegen der hohen Kosten und des nicht unerheblichen Platzbedarfs längst nicht in allen Fällen realisieren. Oftmals sei es in größeren Unternehmen auch gar nicht möglich, den 1:1-Betrieb per Notstromversorgung zu erhalten. Hier stelle die Verlagerung der Produktion oder anderer betriebswichtiger Aufgaben in andere, vom Stromausfall nicht betroffene Gebiete, eine mögliche Alternative dar.

Obwohl das Gefährdungspotenzial aufgrund der zunehmenden Abhängigkeit von einer funktionierenden Stromversorgung in den zurückliegenden Jahrzehnten exponentiell gestiegen sei, stände die Möglichkeit von Totalausfällen nicht immer im Vordergrund der Szenarien der Krisenvorsorge, so Stefan Mikus. Dabei gibt es kaum eine Vorsorgeoption, die wichtiger wäre.

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