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Risiken in der Lieferkette vorhersagen und vermeiden

Wie verwundbar in einer globalisierten Welt die Lieferketten sind, haben die Coronapandemie und zuletzt der Krieg in der Ukraine nachdrücklich gezeigt. Doch oftmals sind es schleichende Prozesse, die zu Störungen führen können.

Mit KI-basierter Datenanalyse lassen sich zukünftige Lieferengpässe bereits ziemlich genau vorhersagen.
Mit KI-basierter Datenanalyse lassen sich zukünftige Lieferengpässe bereits ziemlich genau vorhersagen.

Das Netz aus Lieferketten ist in den letzten Jahrzehnten einem nachhaltigen Wandel unterworfen worden. Globalisierung, individuelle Kundenwünsche, Umweltaspekte und just-in-time Produktion haben Lieferketten immer komplexer werden lassen. Enge Zeitfenster für Transport und Fertigung sowie das Management von zahlreichen Lieferanten sorgen dafür, dass selbst kleinste Verzögerungen große Auswirkungen haben können. Laut einer aktuellen Studie vom Frühjahr 2023 im Auftrag von Deloitte sind mehr als die Hälfte (53 Prozent) der befragten Industrieunternehmen in Deutschland aktuell stark (41 Prozent) oder sehr stark (12 Prozent) durch Disruptionen in ihren Lieferketten beeinträchtigt. Eine große Mehrheit (60 Prozent) denkt ferner, dass ihre Branche insgesamt noch stärker unter Störungen leidet. Einer Studie von Accenture zufolge kosteten allein Lieferketten-Störungen im Zusammenhang mit Covid-19 die Volkswirtschaften der Eurozone im Jahr 2021 rund 112,7 Milliarden Euro an verlorenem BIP. Unternehmen sind gezwungen, ihre Lieferketten resilienter aufzustellen und gegen disruptive Ereignisse besser abzusichern. Doch ein großes Problem bleibt die Frage, ob und wie sich solche Ereignisse frühzeitig erkennen lassen, um bereits im Vorfeld Entscheidungen zur Sicherung der Lieferkette treffen zu können.

Unterschieden werden muss dabei zwischen weniger vorhersagbaren disruptiven Ereignissen, wie dem Krieg in der Ukraine, Pandemien, Naturkatastrophen und ähnliches und strukturellen Problemen entlang der Lieferkette. Auch wenn es politische oder wissenschaftliche Erkenntnisse im Vorfeld geben kann, sind diese eher von strategischer Bedeutung. Dies betrifft beispielsweise die Standorte von Zulieferern und Rohstofflieferanten und den sich daraus ergebenden Abhängigkeiten, sei es geografischer und/oder politischer Natur. Anders verhält es sich aber mit Störungen und Unterbrechungen, die entlang der Lieferkette aufgrund von Faktoren wie Qualitätsverlusten oder häufig auftretenden Lieferverzögerungen entstehen. Solche strukturellen Disruptionen kündigen sich „schleichend“ an, da sie sie sich in der Regel über einen längeren Zeitraum entwickeln, bevor es dann zu einem Ausfall und damit zu einer gravierenden Störung kommt.

Alles eine Frage der Datenanalyse

Der Aufbau einer Lieferkette besteht aus dem Originalgerätehersteller (Original Equipment Manufacturer - OEM) und den nachgeschalteten Zulieferern (Tier 1 bis Tier n). Überall entlang dieser Kette, die aus dutzenden und mehr Unternehmen für ein einzelnes Produkt bestehen kann, sind Ausfälle und Störungen möglich, die wellenartig die nachgeordneten Lieferanten und Produzenten beeinflussen können. Da die Komplexität der Lieferketten und deren Automation in vielen Bereichen ohne entsprechende Digitalisierung gar nicht möglich wäre, existieren zu vielen Prozessen und Vorgängen auch Daten. Diese umfassen Liefertermine, Ankunftsdaten von LKWS, logistische Qualität, Stückzahlen und vieles mehr. „Diese Daten erfassen Unternehmen ohnehin schon von ihren Lieferanten. Wir nutzen diese Daten, um ein Vorhersagemodell zu entwickeln, um mögliche Störungen rechtzeitig anzuzeigen“, erklärt Michael Milde, Geschäftsführer bei Aperion Analytics. Hierzu werden die erfassten Daten eines Zulieferers in einem Zeitverlauf betrachtet und mittels Künstlicher Intelligenz (KI) Muster zu erkennen. Machen Lieferanten häufiger kleinere Fehler, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es in absehbarer Zukunft – in zwei bis drei Monaten - ein gravierendes Problem geben wird. „Die Vorhersagegenauigkeit liegt bei etwa 90 Prozent, das bedeutet, dass es in 90 Prozent der Fälle eine korrekte Warnung vor einem disruptiven Ereignis gibt“, erklärt Milde. Auf einer grafischen Benutzeroberfläche kann der Verantwortliche sehen, wie sich für seine Zulieferer die Wahrscheinlichkeiten für einen Ausfall entwickeln und damit rechtzeitig Maßnahmen ergreifen. Die Aktualisierung erfolgt im Zwei-Wochen-Rhythmus. Zu Trainingszwecken der KI kommen die Daten aus einem Zweijahresverlauf je Zulieferer zum Einsatz.

Die Daten müssen dabei sowohl Zeiträume aufweisen, in denen es keine Abweichungen gab, als auch solche, in denen Auffälligkeiten auftraten, damit die Software Muster identifizieren kann. Im laufenden Betrieb vergleicht die Lösung dann Daten ein halbes Jahr zurück mit den aktuellen, um Risiken etwa zwei Monate in die Zukunft vorherzusagen. Zu beachten ist, dass immer Feedback zurückgespielt wird, denn ohne würde die Software nicht „erkennen“, ob ihre Vorhersage korrekt war oder nicht. Der Vorteil dieser Lösung liegt auch darin, dass sie sie sich theoretisch für jeden Zulieferer entlang der Lieferkette, sofern dieser die notwendigen Daten hat, implementieren ließe. In der Regel geschieht dies aber eher bei den Tier 1, also den unmittelbaren Lieferanten, die ihrerseits wieder sicherstellen (müssen), dass die ihnen gegenüber vereinbarten Lieferfristen eingehalten werden. Die Software-Lösung ermöglicht damit über die Schnittstellen zu den logistischen Daten eine ziemlich genaue Vorhersage struktureller Probleme, bevor sich diese zu einem disruptiven Ereignis, also einem Totalausfall etwa, ausweiten.

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Das Containerschiff „Ever Given“ blockierte mehrere Tage lang den Suezkanal was zu erheblichen Unterbrechungen von Lieferketten führte.
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Wer alles ist Bestandteil meiner Lieferkette?

Ein weiteres, grundsätzliches Problem für OEMs besteht oftmals in der mangelnden Transparenz der Lieferketten. Verträge werden in der Regel mit dem jeweiligen Tier 1 Lieferanten geschlossen, der seinerseits die Einhaltung seiner Verträge mit den Tier 2 Produzenten regelt, bis zum Lieferanten von Rohstoffen oder Komponenten als erstes Glied in der Kette. Das zum 1. Januar 2023 in Kraft getretene Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) verpflichtet Unternehmen mit Sitz in Deutschland zur Achtung von Menschenrechten durch die Umsetzung definierter Sorgfaltspflichten (Kasten). Die Sorgfaltspflichten beziehen sich auf den eigenen Geschäftsbereich, auf das Handeln eines Vertragspartners wie einem Hauptlieferanten und das Handeln weiterer (mittelbarer) Zulieferer. OEMs tragen damit die Verantwortung für die Produktion entlang der gesamten Lieferkette. Dafür ist es wichtig, dass OEMs ihre Lieferanten und Zulieferer und ihre Geschäftspraktiken kennen - was bei vielen eher nicht der Fall zu sein scheint.

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Blockchain und Smart Contracts

Laut einer Studie der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) haben beispielsweise nur 13 Prozent der OEMs mit mehr als 1.000 Mitarbeitern die volle Transparenz über Risiken möglicher Menschenrechtsverletzungen bei ihren unmittelbaren Geschäftspartnern. Auch hier gibt es KI-Lösungen, die helfen, Vorfälle innerhalb der Lieferkette, die sowohl Auswirkungen auf die Produktion als auch auf die Einhaltung des LkSG haben, frühzeitig zu erkennen. Unternehmen wie Prewave liefern anhand umfangreicher Datenanalysen zahlreicher Quellen, darunter auch ausländische Nachrichten und Social-Media-Plattformen, Erkenntnisse über mögliche Risiken in Echtzeit. OEMs haben damit die Chance, deutlich früher auf Entwicklungen zu reagieren, als wichtige Informationen erst aus der Presse zu erfahren, oder, wie im LkSG festgelegt, aus Beschwerden von Mitarbeitern mittelbarer Zulieferer.

Um die Transparenz von Prozessen und Verträgen zu verbessern, setzen Unternehmen auch auf die Blockchain-Technologie. Mit ihr ließen sich Fehler bei Bestellungen und Lieferungen vermeiden, sind sich Experten sicher.  Ein prominentes Beispiel für eine Fehllieferung war jüngst die Bank JP Morgan, die statt 54 Tonnen Nickel im Wert von 1,3 Millionen US-Dollar über ihre Logistik-Firma Säcke mit Steinen erhalten hatte. Mit der Blockchain lassen sich in sogenannten Smart Contracts Bedingungen abbilden und entlang des gesamten Prozesses von allen Beteiligten nachvollziehen. Die Datenspeicherung erfolgt verteilt und manipulationssicher, alle Teilnehmer sind gleichberechtigt und vertrauenswürdig. Auch für neue Partner gilt dies, die beispielsweise in einer Krisensituation Aufgaben innerhalb der Lieferkette übernehmen müssen. Die Funktionsweise von Smart Contracts beruht auf den Eigenschaften der Blockchain, insbesondere der Dezentralisierung, Transparenz und Unveränderlichkeit der Daten. Smart Contracts können genutzt werden, Lieferkettenereignisse wie Produktions- und Transportdaten zu verfolgen, Zertifizierungen und Qualitätsnachweise zu überprüfen oder Verträge und Zahlungen automatisch abzuwickeln. Die Blockchain ermöglicht es den Beteiligten, auf vertrauenswürdige Informationen zuzugreifen und die Integrität der Daten zu gewährleisten.

Große Regallager sind wieder auf dem Vormarsch.
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Von „just-in-time“ zu „just-in-case“

Das Managen von Lieferketten ist ein hochkomplexer Vorgang, der spezialisierte Fachkräfte, digitale Tools und Organisationsstrukturen wie ein Supply Chain Risikomanagement erfordern. In der Studie von Deloitte steht das Thema digitale Vernetzung und IoT bei den befragten Unternehmen an erster Stelle, gefolgt von Big Data und Analytics, Sensor- und Robotertechnik sowie KI. Die Resilienz der Lieferkette ist vielerorts wichtiger als reine Kostensenkung und führt zu einem Umdenken bei den Unternehmen. Es gilt, von „just-in-time“ zu „just-in-case“ zurückzukommen, etwa mit Lagerhaltung für wichtige Komponenten. Dazu gehört auch, Transportwege durch regionale Lieferanten zu verkürzen und Zulieferer zu diversifizieren, um Risiken breiter zu streuen. Digitale Lösungen wie die von Aperion helfen gleichzeitig, strukturelle Risiken rechtzeitig zu erkennen, um eingreifen zu können, bevor die Kette an einer Stelle reißt. Digitale Lösungen rund um Big Data, die mittels KI dynamische Prozesse analysieren und im richtigen Moment Ressourcen steuern und lenken werden in naher Zukunft einen festen Platz in der Logistik haben.

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