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Editorial 10. September 2015

Frühling im Herbst?

Arabischer Frühling. Das war einmal ein verheißungsvoller, positiv konnotierter Begriff. Noch keine fünf Jahre ist es her, als im Dezember 2010 in Tunesien das Volk aufbegehrte, für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechte und gegen Unterdrückung und Korruption auf die Straße ging.
Andreas Albrecht, Chefredakteur.
Andreas Albrecht, Chefredakteur.

Über die sozialen Medien breiteten sich die Proteste rasch aus, und erfassten bald weitere nordafrikanische und arabische Länder wie Algerien, Ägypten, Libyen und schließlich Syrien. Die westeuropäischen Medien beobachteten diese Ereignisse überwiegend wohlwollend und unterstützen sie teilweise offensiv. So bewertete beispielsweise Spiegel-Online die Vorgänge in Tunesien als ein „Vorbild für Millionen von Arabern, die seit Jahrzehnten unter ihren korrupten Herrschern leiden“. Und als der damalige Außenminister Guido Westerwelle im März 2011 Deutschlands Zustimmung für einen Militäreinsatz der Nato in Libyen unter UN-Mandat verweigerte, attackierte ihn Zeit-Online mit der Schlagzeile: „Westerwelle verhöhnt das libysche Volk“.

Von der damaligen Aufbruchsstimmung und den hehren Zielen ist wenig übrig geblieben. In Ägypten herrscht längst eine Militärdiktatur, Libyen versinkt im Chaos und in Syrien tobt seit mittlerweile vier Jahren ein Bürgerkrieg, bei dem selbst Nahostexperten teilweise den Überblick verlieren, wer hier eigentlich gegen wen wofür kämpft. Die Folgen davon kommen jetzt auch in Deutschland an. Aus südeuropäischen Ländern, die dem Ansturm auf ihre Grenzen nicht mehr gewachsen sind, drängen immer mehr Flüchtlinge nach Mitteleuropa. So korrigierte Innenminister Thomas de Maizière jüngst die Prognose der Bundesregierung von ursprünglich 450.000 Asylanträgen in diesem Jahr auf 800.000 deutlich nach oben. Vor allem im Osten Deutschlands wird dies von Einigen als Bedrohung empfunden. Im sächsischen Heidenau flogen bereits Steine und Brandsätze auf Flüchtlingsunterkünfte, Hilfskräfte und Polizei. Medien berichten über „Asylgegner“, de Maizière spricht etwas sperrig von „Flüchtlingsfeindlichkeit in Teilen der Bevölkerung“.

Während gesellschaftliche und politische Auswirkungen der Flüchtlingswellen in Deutschland also inzwischen deutlich wahrnehmbar sind, scheinen diese Ereignisse die Wirtschaft bisher nicht zu beeindrucken. Auch nicht die deutsche Sicherheitsbranche, wie unser exklusives Branchenbarometer zeigt, das PROTECTOR in Kooperation mit der Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber & Partner in dieser Ausgabe erstmalig (Seiten 10 und 11) und zukünftig regelmäßig alle drei Ausgaben veröffentlicht. Während in anderen, internationalen Märkten die Migration als wichtiger Faktor für die Einschätzung der zukünftigen Markt- und Geschäftsentwicklung genannt wird, wird dem Thema in Deutschland im Vergleich zu neuen Technologien und digitaler Transformation eine untergeordnete Rolle zugewiesen. Doch wenn die Flüchtlingsströme nicht abreißen, wofür es momentan keine Anzeichen gibt, wird sich das wohl auch bei uns bald ändern. Dann hätte der Arabische Frühling letztlich doch noch einen Effekt. Wenn auch auf gänzlich andere Weise, als ursprünglich geplant.

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