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Super-Recogniser in Polizeidiensten

Super-Recogniser prägen sich jedes Gesicht ein –und finden so, oft in Polizeidiensten, gesuchte Personen. Auch ein Modell für die Sicherheitswirtschaft?

Super-Recogniser prägen sich jedes Gesicht ein –und finden so, oft in Polizeidiensten, gesuchte Personen.
Super-Recogniser prägen sich jedes Gesicht ein –und finden so, oft in Polizeidiensten, gesuchte Personen.

Super-Recogniser verfügen über die angeborene Fähigkeit, sich Gesichter besonders gut einprägen und wiedererkennen zu können; oft wird diese Fähigkeit in Polizeidiensten genutzt. „Mir reicht ein Bild!“ PROTECTOR im Gespräch mit Kriminalhauptkommissar Andreas H. aus dem Polizeipräsidium München. Bei dem 43-jährigen KHK wurde vor fünf Jahren das Talent der „Gesichtserkenner“ entdeckt. Mit 21 Kollegen gehört er einer Sondereinheit der Bayerischen Polizei an.

Protector: Wann haben Sie Ihre Begabung entdeckt, sich Gesichter gut zu merken und Menschen wiederzuerkennen?

Andreas H.: Nach derzeitigen Stand der Forschungen zum Thema Super-Recogniser handelt es sich bei dieser Fähigkeit um eine angeborene Fähigkeit. Insofern habe ich eigentlich nie bewusst wahrgenommen, dass ich hier etwas besser kann als andere Menschen. Natürlich hat man sich immer mal wieder gewundert, dass man sich an Gesichter und Personen erinnert, aber eher dahingehend, dass sich andere nicht erinnern.

Bewusst geworden ist mir diese Tatsache erst durch die Teilnahme am Test zur Feststellung der Fähigkeiten eines Super-Recogniser. Dieser wurde 2018 beim Polizeipräsidium München durchgeführt und allen Beschäftigten des Polizeipräsidiums München war es möglich, an diesem Test teilzunehmen. Mitte 2018 lagen dann die Ergebnisse vor, und ich war einer von 37 Beschäftigten des PP München, welcher über die Fähigkeiten eines Super-Recognisers verfügt.

Super-Recogniser arbeiten mit Eselsbrücken

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Zur Methode der Wiederkennung: Verwenden Sie für die Zuordnungen von fremden Gesichtern die Charaktereigenschaften oder eine Assoziation von Gesichter Ihnen bekannter Menschen oder öffentlicher Personen?

Andreas H.: Dies findet unterschiedlich statt, aber zwei diesbezügliche Aspekte haben sie schon genannt. Zum Teil baut man sich „Eselsbrücken“ über die Personen, die einem bekannt sind. Beispielsweise sieht aus wie die Frau, die mich immer an der Tankstelle bedient, sieht aus wie mein Nachbar oder sieht aus wie ein bekannter Schauspieler. Zum anderen weisen manche Personen markante Merkmale auf. Beispielsweise Segelohren oder Ähnliches. Ein Aspekt ist aber auch das unterbewusste „Speichern“ eines Gesichtes. Plötzlich erinnert Dich eine Person an eine Person, die man schon einmal gesehen hat.

Eine gute Kriminalprävention dient zunächst der Verbesserung der objektiven Sicherheitslage, was sich auch positiv im subjektiven Sicherheitsgefühl der Bürger ausdrücken sollte.
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Klingt nach Superheldencomics. Wie gestaltet sich Ihr Alltag im dienstlichen Bereich und privat mit Ihren Fähigkeiten?

Andreas H.: Insbesondere durch den Begriff des „Super-Recognisers“ (SR) assoziiert man dies mit einer Superkraft. Wir sehen das nicht so. Es ist aus unserer Sicht ja keine Super-Fähigkeit. Durch den Test zur Fähigkeit ist uns einfach nur bewusst geworden, dass wir etwas besser können als der weitaus größte Teil der Bevölkerung.

Wie gesagt, es ist uns angeboren, und von daher kennen wir es einfach gar nicht anders. Im dienstlichen Kontext ist jeder Einsatzbereich denkbar, bei dem es um Gesichter, ob auf Bild- oder Videoaufnahmen oder in Live-Situation geht. Beispiele hierfür können Vergleiche von Bildern unbekannter Täter mit möglichen Tatverdächtigen oder Observationsmaßnahmen sein. Im Privaten hat diese Fähigkeit aus meiner Sicht keine besondere Auswirkung, außer dass ich mich manchmal an Begegnungen erinnere, an die sich mein Gegenüber nicht mehr erinnern kann.

Die an der Kieler Universität tätige Wissenschaftlerin, Dr. Lara Aylin Petersen, bestätigt die Aussage des Kriminalisten H.: Personen mit überdurchschnittlichen Fähigkeiten werden durch ihre Leistungen in Gesichtserkennungstests identifiziert. Diese stabile Fähigkeit ist angeboren, nicht trainierbar und einfach gesagt: ein Talent. In ihrer Dissertation steht die Untersuchung von Faktoren, welche die individuelle Gesichtserkennungsleistung von zwei Gesichtserkennungstests modulieren und die Überprüfung der psychometrischen Qualität belegen. Der Cambridge Face Memory Test hat die Kriterien für einen zuverlässigen und validen Eingangstest erfüllt. Allerdings müssen weitere Tests folgen, bis man vom „Super-Recogniser“ spricht.

Einsatz im Polizeidienst

Würden Sie Ihrer Tätigkeit als "Verbrecherjagd" bezeichnen?

Andreas H.: Ich bin Polizeibeamter. Insofern ist es natürlich mein Job, Straftäter „zu jagen“. Wir versuchen, mit unserer Fähigkeit Ermittlungsdienststellen zu unterstützen. Wir versuchen, Serien- und Tatzusammenhänge zu erkennen und Hinweise zur möglichen Identifizierung einer bislang unbekannten Person zu geben, um den Ermittlungsdienststellen bei der Tataufklärung zu helfen.

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In welchen Bereichen oder bei welchen Ereignissen wurden Sie bisher eingesetzt?

Andreas H.: Wie bereits erwähnt, sind die möglichen Einsatzbereich für Super-Recogniser vielfältig und reichen von einer reinen „büromäßigen“ Abklärung im Rahmen von Ermittlungsverfahren bis hin zu vor-Ort-Einsätzen bei Veranstaltungen und Versammlungen oder im Rahmen von Fahndungsmaßnahmen.

So waren wir beispielsweise im Zusammenhang mit den Ermittlungen zu den Ausschreitungen beim G 20-Gipfel in Hamburg unterstützend tätig, aber auch bei Musikkonzerten, Sportveranstaltungen oder dem G 7-Gipfel. Wir unterstützen bei Ermittlungen zu Kapitaldelikten wie auch zu einfacheren Delikten wie EC-Karten-Betrug, Körperverletzungsdelikten oder Diebstahlsdelikten.

Wäre die Verwendung von Sicherheitsmitarbeitern als SR im Bereich des Sicherungs- und Ordnungsdienstes im Veranstaltungsschutz bei Sicherheitsdienstleistern für Sie vorstellbar oder sinnvoll? Oder sollte dies Aufgabe der Polizei bleiben?

Andreas H.: Ich denke, dass sich auch im „privaten“ Sicherheitsbereich Synergien durch den Einsatz von Beschäftigten mit Fähigkeiten eines Super-Recognisers ergeben können, beispielsweise beim Personenschutz. Derzeit gibt es nach meinem Kenntnisstand im deutschsprachigen Raum noch keinen Dienstleister, der eine solche Fähigkeit anbietet.

Unterstützen die Ermittlungsarbeit

Was waren bisher Ihre herausragenden Ermittlungserfolge?

Andreas H.: Einen herausragenden Ermittlungserfolg würde ich für das Ergebnis unseres Tuns nicht nennen. Wir selbst gehören keiner Ermittlungsdienststelle an. Wir leisten einen Beitrag, sind ein Teil einer Vielzahl an polizeilichen Ermittlungsschritten wie beispielsweise Vernehmungen, Auswertungen von daktyloskopischen oder DNA-Spuren. Die Hauptarbeit leisten die Ermittlungsdienststellen. Wir können jeden Tag und zu allen möglichen Deliktsbereichen eine Beitrag leisten, und das freut uns. Denn eigentlich geht es darum, einem bislang unbekannten Täter die Anonymität zu nehmen und dem Strafverfahren zuzuführen.

Können Sie das konkretisieren? Ich denke zum Beispiel an internationale Taschendiebe oder Serienbrandstifter beim G-20 Gipfel?

Andreas H.: Reisende Täter – international agierend, wie zum Beispiel Taschendiebe, Wechseltrickbetrüger, EC-Karten-Betrüger, banden-/gewerbsmäßige Ladendiebe, Geldautomatensprenger, Randalierer und Straftäter im Umfeld von Demonstrationen oder Veranstaltungen wie Fußballspielen.

Wo ist Ihre Leistungsgrenze, müssen nicht irgendwann mal die Augen tränen oder ermüden?

Andreas H.: Eine konkrete Leistungsgrenze kann ich Ihnen tatsächlich nicht benennen. Natürlich haben Sie Recht – bei konzentrierten Beobachtungen oder Recherchen tritt irgendwann eine Ermüdung ein, und die Konzentration lässt nach. Aber dann nimmt man sich aus der Situation, macht eine kurze Pause und setzt dann wieder neu an.

Position im Gerichtsverfahren

Bei Fahndungserfolgen und Anklagen müssten Sie doch vor Gericht auch als Zeuge aussagen. Reicht da Ihre Aussage aus oder bedarf es weiterer Beweise?

Andreas H.: Wie bereits erwähnt, ist ein Hinweis durch einen Super-Recogniser nur ein ermittlungsunterstützender Baustein der Ermittlungen und findet im Zusammenspiel mit anderen Dienststellen und Schritten statt. Bislang befanden wir uns noch nicht in der Situation, dass es lediglich auf den Hinweis eines Super-Recogniser ankam.

Wir sind keine Gutachter oder  ähnliches. Insofern hat eine Aussage eines Super-Recognisers kein höheres Gewicht im Rahmen eines Gerichtsverfahrens.

Könnten Programme der Künstlichen Intelligenz Ihre Fahndungsarbeit unterstützen?

Andreas H.: Die grundsätzliche Aussage lautet: Ja! IT-basierte, automatisierte Prozesse können im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben natürlich den menschlichen Ermittler unterstützen.

Ergebnisse, die durch Software-Anwendungen erlangt werden, können den „analogen“ Ermittler entlasten. Ermittlungen beziehungsweise möglicherweise sogar konkrete Tatvorwürfe sollten aber natürlich nicht nur auf Basis von Software basieren. Das Sachgebiet 524 beim Bayerischen Landeskriminalamt verwendet bereits seit einigen Jahren ein Gesichtserkennungssystem. In der Schnelligkeit von Bildvergleichen ist eine solche Anwendung natürlich super. Der Mensch, der Super-Recogniser hat hier aber auch noch Vorteile. So können wir zum Beispiel noch mit Bildmaterial arbeiten, welches für die Software derzeit noch ungenügend ist.

Einsatzgebiete

Der Gründer von der britischen Super Recognisers International Ltd, Mike Neville, sagt das Super Recogniser des privaten Sicherheitsdienstes bereits bei vielen britischen Veranstaltungen erfolgreich eingesetzt wurden wie: Musikkonzerte, Fußballspiele  einschließlich der Premier League (Suche nach  rassistischen/verbotenen Fans oder illegalen Wetten), Wimbledon-Tennismeisterschaft, Royal Windsor Horse Show (besucht von der Queen) sowie privaten Ermittlungen. Etliche deutsche Studenten haben Kurse zur Einstufung als anerkannter Super Recognisers  absolviert. 

Klaus Kapinos für PROTECTOR 

 

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