Direkt zum Inhalt
Öffentliche Sicherheit 5. Dezember 2022

Herausforderungen an den Bevölkerungsschutz

Pandemie, Krieg, Klimakatastrophen: Der Bevölkerungsschutz steht vor riesigen Herausforderungen. Mitglieder des Kötter Sicherheitsbeirates geben Denkansätze.

Seien es Naturkatastrophen wie Hochwasser oder Krieg: Der Bevölkerungsschutz steht vor riesigen Herausforderungen.
Seien es Naturkatastrophen wie Hochwasser oder Krieg: Der Bevölkerungsschutz steht vor riesigen Herausforderungen.

Wolfgang Bosbach und Fritz Rudolf Körper, Mitglieder des Kötter Sicherheitsbeirates, kommentieren die aktuelle Lage und beschreiben die Herausforderungen, die an den Bevölkerungsschutz gestellt werden.

Krieg und Pandemie als neue Herausforderungen

Herr Bosbach, haben Sie Deutschland und Europa schon einmal in einem vergleichbaren Krisenmodus erlebt?

Wolfgang Bosbach: Nein, glücklicherweise nicht! In der Tat löste in den letzten 15 Jahren eine Krise die andere ab: Zunächst die Euro-Währungs- und Finanzkrise, 2015/2016 die Flüchtlingskrise, dann kamen kurz hintereinander die Coronakrise und der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Als Begleiterscheinung dann auch noch die Energiekrise und parallel dazu die Klimakrise. Immer wieder wurden die Regierungen mit neuen Herausforderungen konfrontiert, und die Bürger fragen sich verständlicherweise, wann denn endlich wieder einmal etwas Ruhe und Normalität einkehren.

Was ist hiervon die größte Herausforderung? Oder sind es ganz andere Risiken?

Anzeige

Wolfgang Bosbach: Neben der Klimakrise und ihren globalen Auswirkungen ganz eindeutig der Krieg in der Ukraine. Er ist ja nicht nur eine Tragödie für das flächenmäßig zweitgrößte Land Europas, für alle Opfer, alle Menschen, die dort leben oder aus dem Land fliehen mussten. Er hat auch mittelbare Folgen für viele andere Länder, die zum Beispiel von der explosionsartigen Verteuerung der Energie, von gestörten Lieferketten oder einer Lebensmittelknappheit betroffen sind. Denn die Ukraine ist bedeutender Erzeuger von Getreide mit einem hohen Exportanteil.

Unternehmen, die zu den Kritischen Infrastrukturen zählen, sind zu umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen verpflichtet. Staatliche Sicherheitsgarantien lassen dagegen oft zu wünschen übrig.
Die Sorgen des sorglosen Staates 
Der Staat versagt beim Schutz der eigenen Infrastruktur, fordert nun aber viel Geld vom Mittelstand für die Umsetzung des geplanten „Dachgesetz “ KRITIS.

Herr Körper, welche notwendigen Konsequenzen ergeben sich daraus für den Bevölkerungsschutz in Deutschland?

Fritz Rudolf Körper: Vorab: In jeder Krise liegt auch eine Chance. Wir leben in einer Zeit dramatischer Veränderungen, für die Staat und Gesellschaft passende präventive Strategien entwickeln müssen. Das betrifft neben der Verteidigungspolitik eben insbesondere auch den Bevölkerungsschutz mit einer Vielzahl von Themen: von Naturkatastrophen und Pandemien über Cybercrime bis hin zu Versorgungsengpässen und Energiekrisen.

Neustart beim Bevölkerungsschutz

Deutschland ist beim Bevölkerungsschutz also nicht umfassend aufgestellt?

Fritz Rudolf Körper: Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Deutschland verfügt schon immer über einen gut aufgestellten Zivil- und Katastrophenschutz. Aber jetzt geht es um die Frage: Wo stehen wir? Und die Antwort lautet: Analog zur Zeitenwende in der Verteidigungspolitik brauchen wir eine solche auch beim Bevölkerungsschutz. Nicht umsonst hat das BMI im Sommer einen Neustart im Bevölkerungsschutz verkündet, um angesichts der eben beispielhaft angeführten Herausforderungen die Schutzmaßnahmen neu auszurichten sowie Deutschland in seiner föderalen Struktur krisenfester und resilienter aufzustellen.

Viele haben in diesem Kontext die Bilder der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen in Erinnerung. Wurden ausreichende Konsequenzen gezogen?

Wolfgang Bosbach: Wann sind oder waren Konsequenzen jemals „ausreichend“? Wenn damit gemeint ist, dass wir fortan nie mehr von einer ähnlichen Katastrophe heimgesucht werden können, dann muss man ehrlicherweise sagen, dass die Politik eine solche Garantie nicht abgeben kann. Entscheidend ist, dass alle zuständigen Gremien die organisatorischen und politischen Konsequenzen ziehen, die gezogen werden können, um die jeweils betroffenen Regionen und Menschen vor verheerenden Folgen von Unwettern zu schützen. Das gilt unter anderem für die verschiedensten Bereiche wie Raum-und Bauplanung in potenziellen Flutgebieten, den Ausbau des klassischen Hochwasserschutzes oder die Zusammenarbeit der verschiedenen Behörden des Bevölkerungs- und Katastrophenschutzes.

Kritisiert wurden zudem die Defizite bei der Digitalisierung. Wie ist Deutschland seit der Flutkatastrophe vorangekommen?

Fritz Rudolf Körper: Wir müssen hier weiter Tempo machen. Dies betrifft speziell die Einführung des Warnsystems Cell Broadcast, das direkt auf mobilen Endgeräten alarmiert, aber auch andere bewährte digitale Systeme, die Institutionen und Unternehmen mit intelligenten Anwendungen dabei unterstützen, im Ernstfall gezielt zu handeln. Gleichzeitig gibt es keine Alternative zu einer flächendeckenden und durch regelmäßige Tests reibungslos funktionierenden Sireneninfrastruktur – plus das Know-how der Bürger über die Bedeutung der Alarme.

Cyberangriffe als neue Art von Kriegsführung

Aber noch einmal zurück zur Digitalisierung. Sie ist längst auch zum Instrument moderner Kriegsführung geworden.

Wolfgang Bosbach: Das ist leider auch richtig. Zwar sehen wir in der Ukraine wieder klassische Schlachtfelder einer konventionellen Kriegsführung, auf denen die Armeen verfeindeter Staaten mit ihren Waffensystemen aufeinanderprallen. Aber in der Tat ist auch das „Netz“ zu einer Art Schlachtfeld geworden. Und dieses Schlachtfeld ist für die angegriffenen Staaten nicht minder bedrohlich. Viele Cyberangriffe sind von einer – leider muss man so formulieren – „Qualität“, dass man davon ausgehen muss, dass hier zumindest auch staatliche Hilfe hinter den Angriffen steckt. Die konventionelle Kriegsführung wird somit durch eine völlig andere Art von Angriffen flankiert. 

In 20 Jahren des Berufsbildes „Fachkraft für Schutz und Sicherheit“ hat Kötter Security 800 Nachwuchskräfte ausgebildet.
Über 800 „Fachkräfte für Schutz und Sicherheit“ von Kötter ausgebildet
In 20 Jahren des Berufsbildes „Fachkraft für Schutz und Sicherheit“ hat Kötter Security 800 Nachwuchskräfte ausgebildet.

Wo bestehen gegebenenfalls weitere Verbesserungen?

Fritz Rudolf Körper: Die Coronakrise hat vor allem die Relevanz von Risiko- und Business Continuity Management gelehrt. So können die erforderlichen Prozesse und Ressourcen für die Bewältigung der Krisenfälle gezielt gesteuert werden: angefangen bei der Vorhaltung von Schutzkleidung und Medikamenten in der Pandemie über Backup-Systeme gegen Cyberangriffe bis hin zur Wasserversorgung bei Dürren oder die Notstromversorgung im Falle eines Blackouts.

Und was betrifft die administrative Aufstellung?

Fritz Rudolf Körper: Bei der Hochwasserkatastrophe sind erhebliche Probleme bei der Kooperation im operativen Bereich deutlich geworden. Wir müssen also noch klarere Zuständigkeiten, eindeutige Informations- und Entscheidungsketten sowie effektive Meldewege schaffen – von Innen- und Umweltministerien in Bund und Ländern über das Bundesamt für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz (BBK) bis hin zu Kreisverwaltungen und Landratsämtern, denen im Ernstfall eine entscheidende Funktion zukommt. Das neue Gemeinsame Kompetenzzentrum (GeKoB) beim BBK zur Stärkung der operativen Bund-Länder-Zusammenarbeit ist ein wichtiger Schritt.

Viel hängt von der Finanzausstattung ab …

Wolfgang Bosbach: Hier gilt das, was in der Haushaltspolitik generell gilt: Es gibt keinen einzigen Bereich, kein Aufgabenfeld, auf dem der Staat nicht noch mehr tun könnte oder gar tun müsste. Also gilt das auch für den Bevölkerungs- und Katastrophenschutz. Finanziell, technisch und personell.

Tragende Säulen des Bevölkerungsschutzes

Und was betrifft die Kooperation mit wichtigen gesellschaftlichen Playern?

Fritz Rudolf Körper: Das ist natürlich ein wichtiges Thema, da THW, Feuerwehren und Wohlfahrtsverbände tragende Säulen des Bevölkerungsschutzes sind. Dieses Zusammenspiel von Staat und bürgerschaftlichem Engagement ist nicht hoch genug einzuschätzen. Und sollte angesichts steigender Aufgaben bei gleichzeitig begrenzten staatlichen Ressourcen sowie dem unter anderem auch im Feuerwehrsektor abnehmenden Freiwilligen-Engagement forciert werden.

Mit Blick auf Public-Private-Partnership (PPP) gibt es also noch Potenziale?

Fritz Rudolf Körper: Dies betrifft speziell die mögliche verstärkte Einbeziehung geeigneter Sicherheitsdienstleister. Bevölkerungsschutz lebt vom Kooperationsgedanken. Hier kann die Sicherheitswirtschaft neben Bund, Ländern, Kommunen, Hilfsorganisationen und Feuerwehren mit ihren Erfahrungen – zum Beispiel im Brandschutz, beim Risikomanagement, beim Schutz Kritischer Infrastrukturen oder in der Nachsorge, etwa der Traumabewältigung – eine wichtige ergänzende Säule sein.

Perspektivwechsel: Wie sensibilisiert sind die Bürger selbst für die Vorbereitung auf Krisen, zum Beispiel bei der Energieversorgung?

Wolfgang Bosbach: Sehr! Aus vielen Begegnungen und Gesprächen mit Bürgern weiß ich um den hohen Stellenwert dieser Thematik – um nicht zu sagen: Dramatik. Da geht es ja parallel um die Dämpfung der explodierenden Energiekosten für Private und die Wirtschaft, um die Umstellung der Energieversorgung auf alternative Methoden der Energieerzeugung und -nutzung und natürlich um die schlichte Drosselung des Energieverbrauchs. Die Menschen machen sich große Sorgen, und das leider nicht grundlos.

Zum Schluss der Blick nach vorn, Herr Bosbach: Welche Entwicklung beziehungsweise gegebenenfalls Verschärfung der Risikolage erwarten Sie für die Zukunft?

Wolfgang Bosbach: An Verschärfungen der Lage möchte ich gar nicht denken, sie ist angespannt genug! Wer politische Verantwortung trägt, sollte auch der Versuchung widerstehen, Tag für Tag zu erklären, wie schlimm alles möglicherweise noch kommen könnte – und das gilt nicht nur für den Gesundheitsminister. Man sollte den Ernst der Lage zutreffend und betont sachlich beschreiben, aber auch Lösungsmöglichkeiten aufzeigen und entsprechend handeln. Ich persönlich fürchte, dass wir in der Ukraine einen zähen Abnutzungskrieg erleben werden.

Und Ihre Einschätzung zu möglichen zukünftigen Entwicklungen, Herr Körper?

Fritz Rudolf Körper: Entscheidend für mich ist: Wir müssen uns so gut wie möglich auf jede denkbare Katastrophe vorbereiten. Bei allen Digitalisierungschancen sind Kooperation und der Faktor Mensch dabei die zentralen Faktoren. Die Akteure müssen sich gut kennen und das gemeinsame Handeln regelmäßig proben – nicht nur virtuell, sondern in realen Übungen. Genauso erforderlich in Sachen Resilienz ist, die Bevölkerung für die Krisenvorsorge etwa mit Lebensmittel- und Wasservorräten zu gewinnen.

Das Interview führte Carsten Gronwald, Pressesprecher der Kötter GmbH & Co. KG Verwaltungsdienstleistungen.

Passend zu diesem Artikel