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Onvif wird fünf

Teil 2

Auf dem PROTECTOR Forum Videoüberwachung gab es auch zum Thema Onvif verschiedene Sichtweisen.
Auf dem PROTECTOR Forum Videoüberwachung gab es auch zum Thema Onvif verschiedene Sichtweisen.

Und Stephan Beckmann von Tyco ergänzt: „Ich glaube, der Markt ist mit einer falschen Erwartungshaltung an das Thema herangeführt worden, was den Umfang angeht. Ich halte Onvif für ein sehr gutes Werkzeug, speziell da, wo etwa ein Distributor Pakete aus verschiedenen Kameras und Softwaremodulen schnürt und Produkte unterschiedlicher Hersteller zusammen packt. Aber alles wird man damit nie abdecken.“

Kleinster gemeinsamer Nenner

Damit wurde deutlich, dass bei Onvif nicht ohne Einschränkung gelten kann: Einer für alle. Viele sehen den Standard eher als kleinsten gemeinsamen Nenner, wenn es um die Funktionalität geht. Albert Unterberger von IPS Intelligent Video Analytics beschreibt die Entwicklung so: „Nach dem Übergang von der Analogwelt in die IP-Videowelt hatte man nicht mehr die Möglichkeit, einfach ein standardisiertes Kabel anzustecken, damit das System lief. Plötzlich musste man Geld in die Hand nehmen, um Kameras zu integrieren. Diese Aufgabe übernimmt nun zu einem gewissen Teil Onvif. Aber das ist nur eine Basis-Integration, damit grundlegende Interoperabilität gegeben ist. Vom üblichen Funktionsumfang der Kameras kann Onvif heute vielleicht höchstens 80 Prozent abdecken. Der Rest bleibt proprietär.“

Diese Einschätzung teilt Udo Riederle: „Ich würde zustimmen, dass man ungefähr 80 Prozent tatsächlich über Onvif abbildet. Das ist auch für die große Masse der Projekte durchaus akzeptabel, denn es gewährleistet in der Regel, dass der Kunde und der Planer am Ende zufrieden sind. Aus der Vergangenheit haben wir aber trotzdem noch viele proprietär eingebundene Kameras, eben weil sich der Standard erst noch entwickelt.“

Für Prof. Hasenpusch ist klar: „Wenn für ein Projekt 80 Prozent der Funktionalität einer Kamera ausreichen, kann man damit vollauf zufrieden sein. Die anderen 20 Prozent werden auch eher für die Projekte relevant sein, die der kleine oder mittelständische Errichter in der Regel nicht mehr umsetzt. Dort agieren andere Firmen, die eine andere Integrationstiefe erzielen wollen und den Standard nicht brauchen. Generell kann man sagen: Es muss auch nicht alles in einem Standard enthalten sein, was prinzipiell denkbar wäre.“

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Eine gewisse Aufteilung der Funktionalitäten hält Björn Haupt von Geutebrück sogar für sinnvoll: „Ein Standard ist natürlich erst einmal sehr vernünftig, um eine einfache Anbindung einer Kamera zu realisieren, aber heutzutage suchen Hersteller auch die Differenzierung zu anderen Mitbewerbern. Und gerade in Projekten, wo man sich differenzieren möchte, ist ein Standard dann gar nicht nötig. Das ist auch alles kein Problem, wenn das Wissen beim Errichter und beim Endanwender vorhanden ist, was von Onvif zu erwarten ist uns was nicht.“

Zweigleisig fahren

Im Markt wird also nach wie vor zweigleisig gefahren, das zeigen die Ausführungen sehr deutlich. Christian Ringler erklärt auch, warum: „Neben Onvif machen wir auch immer noch die native Integration. Das hängt einerseits mit dem Leistungsumfang zusammen, andererseits aber auch mit der Stabilität des Treibers. Die Stabilität des nativen Treibers ist immer noch höher als die des Onvif-Treibers – bei so gut wie jedem Kamerahersteller. Wir haben mittlerweile 450 Kameras integriert und machen immer entsprechende Stabilitätstests.“

„Die Errichter brauchen eine Verlässlichkeit bei der Planung. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass sie mit einem Standard auch die meisten alltäglichen Anforderungen erfüllen können. Sie möchten nicht jedes mal überlegen und zittern müssen, ob das mit der Kompatibilität auch wirklich klappt.“
Oliver Nachtigal, Digivod GmbH

„Onvif sollte die Fokussierung zunächst auf den Bereich Video legen. Aber dennoch muss der Standard künftig auch breiter aufgestellt werden, um dem Druck der Kunden gerecht zu werden. Denn die Kunden fordern heute, dass man nicht nur ein reines Videosystem hat, sondern auch die Zutrittskontrolle oder Einbruchmeldeanlage mit integriert. Und hier würde ich mir schon wünschen, dass sich Onvif zum Standard der Sicherheitstechnik etabliert.“
Christian Ringler, Seetec AG

„Ich würde zustimmen, dass man ungefähr 80 Prozent tatsächlich nur über Onvif abbildet. Das ist auch für die große Masse der Projekte durchaus akzeptabel, denn es gewährleistet in der Regel, dass der Kunde und der Planer am Ende zufrieden sind. Aus der Vergangenheit haben wir aber aktuell noch viele proprietär eingebundene Kameras, eben weil sich der Standard erst noch entwickelt.“
Udo Riederle, Indigovision

„Grundsätzlich ist es wünschenswert, dass die Onvif-Organisation aktiver wird; dass sie schneller und besser in der Kommunikation agiert. Auch den Punkt der Zertifizierungen für bestimmte Produkte sollte dort ernsthaft überlegt werden. Denn im Grunde haben die Hersteller Interesse daran, den Standard nach vorne zu bringen und als verlässliche Basis zu etablieren. Onvif darf nicht einfach nur ein Name sein, sondern jeder sollte wissen, was sich dahinter verbirgt und welche Funktionen abgedeckt sind.“
Dirk Ostermann, Moderator des PROTECTOR Forums Videoüberwachung

Eine Argumentation, die Uwe Kühlewind nicht unkommentiert stehen lassen will: „Dass die Onvif-Treiber immer eine geringere Stabilität haben sollen als die nativen Treibers kann ich so nicht bestätigen. Natürlich mag es manchmal so sein, aber wir haben gute Beispiele, wo nur der Onvif-Treiber implementiert ist, und die Anlagen sehr zuverlässig laufen. Dort wäre es vielleicht auch einfacher und günstiger gewesen, eine direkte Integration zu machen, aber man wollte über den Standard gehen.“

Doch nicht nur die Stabilität sei anfangs und teilweise bis heute problematisch, findet Roland Bauer: „Wir müssen auch einen recht großen Aufwand treiben, um Onvif zu implementieren. Es ist ein sehr komplexes Thema und aus der Entwicklersicht manchmal auch problematisch. Denn es kommt noch hinzu, dass wir bei komplexeren Anlagen, auch die 20 Prozent nutzen, die mit Onvif nicht abgedeckt werden. Das bedeutet doppelten Aufwand. Dennoch ist Onvif aus meiner Sicht für kleinere Anlagen günstig, weil dort die nötige Austauschbarkeit gegeben ist. Bei komplexen Anlagen wird es wieder schwierig, weil man eben auch viele speziellere Funktionen nutzen muss.“

Der Mehraufwand sei eher relativ, meint dagegen Uwe Kühlewind:„Natürlich kann es kompliziert sein, den Onvif-Treiber zu implementieren. Der Vorteil ist aber, dass man das nur einmal tun muss und dann darauf aufbauen kann. Man muss nicht jedes Mal wieder den projektorientierten Treiber für einzelne Kameras schreiben.“

Auf einem guten Weg

Aktuell scheint Onvif also auf einem guten Weg, sich zumindest für einen Teil der Anwendungen zu etablieren. Dennoch ist auch ein Standard niemals als abgeschlossen zu betrachten und muss sich weiter entwickeln, um mit neuen Anforderungen und technischen Möglichkeiten Schritt zu halten. So ist gerade bei Onvif die Frage, in welche Richtung sich der Standard entwickeln soll beziehungsweise wie er in Zukunft ausgestalten wird. Hierfür gibt es verschiedene Optionen und Perspektiven. Ein Manko, das in Form von „schwarzen Schafen“ bereits angesprochen wurde, ist die mangelnde unabhängige Überprüfung und Zertifizierung, wie auch Rainer Gräfendorf weiß: „Ich denke, ein Problem ist, dass die Onvif-Organisation einen Standard zur Verfügung stellt, aber in der Konsequenz nicht wirklich prüft, ob die Vorgaben in den Produkten auch alle umgesetzt werden. Jeder Kamerahersteller und jeder Videomanagementhersteller müsste sich bei Onvif oder einer entsprechenden Stelle zertifizieren lassen.“

Das würde sicher für mehr Transparenz und eine besser Kommunikation sorgen, findet René Kiefer: „Das Onvif-Gremium muss erkennen: Es gibt nicht nur die Mitgliedsfirmen, also Hersteller, mit denen man kommunizieren muss, sondern auch Endanwender und Integratoren. Auch bei diesen Zielgruppen liegen Interessen und Nutzen, die verstanden und kommuniziert sein müssen. Diese sollten ebenfalls genau informiert sein, was den Onvif-Standard heute ausmacht und welcher Fortschritt geplant ist. Das ist insofern wichtig, weil neben den heute berücksichtigten Audio- und Videobeschreibungen schon an der Integration von Zutrittskontrolle gearbeitet wird."

Zutrittskontrolle einzubinden ist also eine aktuelle Option für Onvif, aber nicht die einzige realistische Möglichkeite. Albert Unterberger fände dagegen eine Erweiterung in anderer Richtung sinnvoll: „Wir wollen den Standard gerne implementieren, auch mit der Videoanalyse. Allerdings muss dann bei Onvif noch mehr passieren. Wir bieten Videoanalyse auf der Kameraplattform, und ich sehe hierfür eigentlich fast keine Abbildung in Onvif. Es mögen einige Rahmendefinitionen enthalten sein, aber das ist viel zu allgemein. Die detaillierten Funktionsweisen sind bisher zu wenig berücksichtigt.“

Konzentration statt Ausweitung?

Man kann aber such gegenteiliger Meinung sein: Onvif sollte eher seine Kernkompetenz in der Videoübertragung festigen, statt neue unsichere Betätigungsfelder zu erschließen. Roland Bauer etwa findet: „Es ist unmöglich, einen Standard zu schaffen, der alle Bereiche abdeckt. Ich würde, statt einem gemeinsamen Standard für unterschiedliche Gewerke, mehrere Stufen des Standards im Videobereich schaffen. Man könnte, etwa indem man ein Prinzip von verschiedenen Klassen einführt, mehr Transparenz auf Seiten der Errichter und Integratoren erreichen. Hier wäre es so, dass eine Kamera beispielsweise die Klassen A und B, aber nicht C abdeckt. Und wenn diese Klassen klar definiert sind, weiß man genau, welchen Leistungsumfang man zu erwarten hat.“

Udo Riederle pflichtet bei: „Wenn wir den Standard ausweiten, um mehr Gewerke zu integrieren und um die Kommunikation der Gewerke zu unterstützen, dann kann es sein, dass damit wieder die Ungewissheit und Verwirrung im Markt wächst. Wir haben mit Mühe klargestellt, dass Onvif ein Standard ist, der nur bis zu einem gewissen Grad die Funktionen abdeckt. Doch wenn wir neue Felder dazu nehmen, beginnt die Aufklärung gleich auf mehreren Ebenen von vorne.“

Dem kann auch Oliver Nachtigal nur zustimmen: „Natürlich bietet sich die Möglichkeit, nun sprichwörtlich alles in einen Topf zu werfen. Aber vermutlich sollte man zunächst Onvif als zuverlässigen Videostandard etablieren, bevor man über Erweiterungen und dergleichen nachdenkt. Denn die Akzeptanz draußen im Markt ist noch längst nicht so, wie sie eigentlich sein sollte.“

Und auch im Videobereich sollte man seine Grenzen kennen, findet Achim Hauschke von der Vidicore GmbH: „Es wäre auch vermessen, zu sagen, der Onvif-Standard soll künftig festlegen, wie ein Signalrauschabstand gemessen wird oder nach welchen Kriterien die Güte des Objektivs oder die Lichtempfindlichkeit beurteilt wird. Derlei zu standardisieren, wurde die letzten 25 Jahre vergeblich versucht. Ein Übertragungsstandard kann auch kein Prüfstandard sein, das liegt in der Natur der Sache.“

Chancen nutzen

Die letzten fünf Jahre haben gezeigt, dass sich Onvif gut entwickelt hat und die schlimmsten Befürchtungen der Anfangszeit nicht wahr geworden sind. Dennoch muss weiter daran gearbeitet werden, mahnt auch René Kiefer: „Es ist doch so, dass ein standardisierter Informationsaustausch den technischen Fortschritt oder Kreativität nicht behindert. Vielmehr gewinnt eine solche Standardisierung des Informationsaustausches an strategischer Bedeutung für jedes Unternehmen. Denn das sogenannte Internet der Dinge, der Informationsaustausch der Geräte untereinander, wird kommen. Und wir müssen uns Gedanken machen, wie wir daran teilhaben können. Dafür brauchen wir den standardisierten Informationsaustausch – ob er nun Onvif heißt oder anders, das sei dahingestellt.“

Bis es soweit ist, wird man weiter noch zweigleisig fahren, um alle Projekte abdecken zu können, wie auch Christian Ringler in Erinnerung ruft: „Um eine gewisse Doppelstrategie wird man jetzt und auf absehbare Zeit nicht herumkommen. Der Weg muss natürlich dahin gehen, dass ein gemeinsames Protokoll für die Sicherheitstechnik zu definieren ist. Das wird einfach benötigt, weil man so viel Integration mit anderen Gewerken hat.“

Onvif hat eine Chance, dieser Standard zu werden, allerdings nur, wenn alle dazu beitragen. Vor allem das Onvif-Gremium selbst muss noch viel für eine bessere Kommunikation und für die Transparenz tun. Auch Punkte wie Zertifizierung und Klasseneinteilung sollten baldmöglichst angegangen werden, wenn man Errichter und Endkunden nicht weiter um Unklaren lassen möchte, was Onvif kann und was sich vielleicht momentan noch nicht umsetzen lässt. Denn eines kann ein Standard keinesfalls gebrauchen: unerfüllte Erwartungen und unzufriedene Anwender.

Michael Gückel

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