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Die Quadratur des Kraiss 13. August 2015

Moment mal

Jedem Sachkundigen war und ist klar, was mit „Schließanlage“ und „Zutrittskontrollsystem“ gemeint ist. Doch mit Einzug der Elektronik wird die Begriffsvielfalt groß und sorgt für Unsicherheit.

Mit Einzug der Elektronik bei mechanischen Zylindern etablierten sich Begriffe wie elektronischer oder elektromechanischer Zylinder, Digitalzylinder und elektronisches Schließsystem beziehungsweise Offline-Zutrittskontrollsystem. Die Begriffsvielfalt ist groß, sorgt für Unsicherheit, und elektronische Schließsysteme werden gerne auch als Zutrittskontrollsysteme verkauft.

Auf dem 9. PROTECTOR Forum Zutrittskontrolle stellte Moderator Boris Stamm die berechtigte Frage: „Nehmen wir einmal an, ich ersetze als Betreiber meine alte mechanische Schließanlage und verwende stattdessen nicht mehr das Medium Schlüssel, sondern einen Transponder. Habe ich dann ein Zutrittskontrollsystem?“ Die Antworten der Forumsteilnehmer waren interessant und kontrovers zugleich.

Sicherheit kontra Marketing?

Als Berater und Planer habe ich die Meinung vertreten, dass es sich um ein elektromechanisches und relativ komfortables Schließsystem handelt. Auf Seiten der Zylinderhersteller vertrat man die Meinung, dass es auf die konkrete Ausgestaltung der jeweiligen Anlage ankommt, und die volle Funktionalität einer Zutrittskontrollanlage auch mit elektronischen Schließzylindern sowie der zugehörigen Verwaltungssoftware offline wie online gegeben sein könnte.

Weiter wurde gesagt: Eine vernetzte elektronische Schließanlage ist auch deshalb ein Zutrittskontrollsystem, weil man es von ganz geringen Anforderungen bis hin zu höchste Ansprüchen skalieren kann. An dieser Stelle trennten sich allerdings die Geister: Begriffs-Wirrwarr trifft auf Klärungsbedarf und Verkaufsargumente treffen auf Sicherheitsbedarf. Andere Teilnehmer hingegen waren realistischer und vertraten die Meinung, dass es in erster Linie darum geht, einem Anforderungsprofil an der Tür zu dienen, beziehungsweise dass die Anforderungen der Anwender über die anzuwendende Technik entscheidet.

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Genau das ist der Punkt. Sicher, wer sein altes Schließsystem modernisieren will, wer keine Schlüssel mehr will, sondern Ausweise, oder wer die Schließrechte komfortabel verwalten will, für den stellt sich nicht die Frage, ob Zutrittskontrollsystem oder elektronisches Schließsystem. Da es bei vielen Anwendern aber auch elementar um Sicherheit geht, muss genau hingesehen werden, welches der beiden Systeme oder sogar eine Kombination beider Systeme eingesetzt werden sollte. Ein detailliertes Anforderungsprofil oder auch Sicherheitskonzept ist an dieser Stelle ein absolutes Muss. Wer über diese Grundlage nicht verfügt, fischt im Trüben und ist dem Umgang mit verwirrenden Begriffen, umsatzorientierten Marketingaussagen und im Ansatz falschen Kosten-Nutzen-Betrachtungen hilflos ausgesetzt.

Klärung tut not

Es hat sehr lange gedauert, bis eine EN-Norm für Zutrittskontrollanlagen erarbeitet wurde. Über Inhalt, Vollständigkeit und Aktualität kann diskutiert werden, dennoch sorgt die Norm in gewisser Weise für Ordnung im Bereich der Begriffe, Grundfunktionen, Anforderungen, Bauteile und Systemarchitektur. Die dort beschriebenen Grundfunktionen beziehen sich auf Verarbeitung, Energieversorgung, Sabotageschutz, Zugriffsschutz, Zutrittspunktsteuerung, Identifikation, Anzeige, Signalisierung und Informationsaustausch mit anderen Systemen.

Betrachtet man zusätzlich die unter 4.2 dargestellten Bestandteile eines Zutrittskontrollsystems, erübrigt sich automatisch die Frage, ob ein elektronisches Schließsystem als Zutrittskontrollsystem bezeichnet werden kann. Das kann es eben nicht. Es kann aber auch nicht verboten werden. Eine Norm beinhaltet immer Unschärfen und ist kein Gesetz, sondern „nur“ eine Empfehlung. Darin verwendete Begriffe haben also keine rechtliche Bedeutung, es sei denn, sie sind Vertragsgegenstand. Erst wenn es eine Norm für elektronische Zylinder beziehungsweise elektronische Schließsysteme oder eine entsprechende Erweiterung der bestehenden Norm für Zutrittskontrollanlagen gibt, könnte es auch eine klare und nachvollziehbare Abgrenzung von Leistungen, Funktionen und Begriffe geben. Aus meiner Sicht wird es Zeit dafür.

Vertrauen ist gut …

Ein bekanntes Sprichwort lautet: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“. Solange es also keine Regulierung gibt, muss seitens der Anbieter auf ehrliche Differenzierung von Leistung und Nutzen beider Systeme gehofft werden. Mir würde es gefallen, wenn der Anwender erst den Sicherheitsbedarf sowie die damit verbundenen funktionalen und technischen Anforderungen klar definiert, zur Kontrolle in einem Lastenheft eindeutig beschreibt, und dann ein Auswahl und Ausschreibungsverfahren beginnt.

Volker Kraiss, Senior Security Consultant, Kraiss & Wilke – Security Consult

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