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Videosicherheit 4. November 2019

Videoaufzeichnungen für Verhöre ab 2020 verbindlich

Ab 2020 sind Videoaufzeichnungen von Verhören in bestimmten Fällen verbindlich. Behörden sollten sich deshalb rechtzeitig mit Video-Equipment ausrüsten.

Verhöre sollten in bestimmten Fällen durch Videoaufzeichnungen dokumentiert werden, ab 2020 ist die für Behören oft sogar verbindlich. Der Missbrauchsfall in Lügde beherrschte lange Zeit die Schlagzeilen, nicht nur aufgrund der außergewöhnlichen Schwere des Vergehens, sondern auch wegen zahlreicher Ermittlungspannen. Neben dem ungeklärten Verschwinden von 155 Datenträgern aus einem Dienstraum der Kreispolizeibehörde Lippe wurden auch Mängel bei der Vernehmung der teils minderjährigen Zeugen angeführt. Ein Bericht des nordrhein-westfälischen Innenministeriums moniert, die Anhörungen der Kinder in der Behörde in Lippe hätten „nicht allen kriminalfachlichen Standards entsprochen“. Unter anderem sei vermutlich nicht in jedem Fall eine Videoaufzeichnung vorgenommen worden.

Experten bemängeln: Es gibt zu wenig Videoaufzeichnungen bei Verhören

Dass gerade im Zeitalter digitaler, hochauflösender Videotechnik nicht in jedem Fall und bei jeder Aussage von dieser mittlerweile relativ preiswerten Technik Gebrauch gemacht werde, bemängelte Eberhart Kempf, seit Jahrzehnten einer der profiliertesten Strafverteidiger der Bundesrepublik, schon 2018: „Weder die Aussagen und Vernehmungen im Ermittlungsverfahren bei Staatsanwaltschaft und Polizei noch die in einer Hauptverhandlung werden wörtlich aufgezeichnet oder protokolliert. Das ist ein Skandal.“

Verwunderlich ist der bislang oft eher zögerliche Einsatz von Videoaufzeichnungen nicht zuletzt deshalb, weil die Vernehmungsbeamten selbst immer wieder betonen, wie wichtig Verhörsituation und Körpersprache bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit sind. „Ob jemand lügt, muss man immer anhand mehrerer Kriterien überprüfen“, erklärt Marco Löw, der lange Zeit als Polizist und Verhörspezialist tätig war. Häufiges An-die-Nase-Fassen deute zum Beispiel auf eine Falschaussage hin, oder die Mikromimik und die Pupillenbewegungen. „Die sagen sehr viel über die Gefühle aus und werden über das autonome Nervensystem gesteuert.“

Gesetzgeber reagiert für bestimmte Fälle mit neuer Regelung für Behörden

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Auf die Kritik von Fachleuten hat nun auch der Gesetzgeber reagiert und die Videoaufzeichnung bei Verhören ab Anfang 2020 durch eine Änderung der Strafprozessordnung verbindlich gemacht, wenn auch nur in ganz bestimmten Fällen.

Demnach besteht gemäß § 136 StPO künftig eine Aufzeichnungspflicht von Vernehmungen, und zwar dann, wenn:

  • der Verdacht auf ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt besteht (§ 136 Abs. 4 Nr. 1 StPO) oder
  • eine Aufzeichnung der besseren Wahrung schutzwürdiger Interessen von Minderjährigen dient oder
  • Beschuldigte vernommen werden, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder schwerwiegenden seelischen Störungen leiden (§ 136 Abs. 4 Nr. 2 StPO).

Videoaufzeichnungen werden in vielen Fällen bereits von den Ermittlungsbehörden vorgenommen. Sie sind nicht nur zur Einhaltung gesetzlicher Vorgaben notwendig und empfehlenswert, sondern, wie bereits erwähnt, aus ermittlungstaktischen Gründen. Zeugen oder Beschuldigte offenbaren bei der Befragung eben mehr Information, als sich in einem rein schriftlichen Protokoll festhalten lässt. Eine Videoaufzeichnung erlaubt die ausführliche und nachträgliche Analyse, sogar unter Hinzuziehung erfahrener Spezialisten.

Welche Konfiguration und welches Video-Equipment sind erforderlich?

Aus den gesetzlichen Vorgaben, aber auch aus der täglichen Vernehmungspraxis, lassen sich die technischen Anforderungen für ein für den Einsatz bei Verhören geeignetes Videosystem ableiten:

  • Hochauflösende Aufzeichnung aus zwei Perspektiven (HDTV-Video H.264, Audio: AAC, 16 Bit)
  • Verschlüsselte Datenspeicherung
  • Automatisch generierter und eingeblendeter Zeitstempel
  • Zusätzliche Transfer- und Konferenzfunktionen, zum Beispiel Konferenzen mit einem Zeugenraum oder tele­fonische Einbeziehung eines Übersetzers
  • Protokollierte Aufzeichnung mit Datenprüfung als Textdatei, Gerichtsverwertbarkeit
  • Audioausgabe (MP3/Wav) für Verschriftung oder Transkriptions-Software

Wichtig: Gerade bei der Speicherung der ebenso umfangreichen wie sensiblen Daten sollte man keine Kompromisse eingehen. Da die Datenträger besonders zu sichern sind, empfiehlt sich der Einsatz von externen Festplatten mit AES-256-Verschlüsselung. Damit erfüllt man die BSI-Vorgabe nach § 9 BDSG.

Video-Equipment für Verhörräume richtig zusammenstellen

Bei der Zusammenstellung der Komponenten braucht man allerdings das Rad nicht noch einmal zu erfinden. Anbieter wie Johnson Controls haben bereits funktionale und fertig konfigurierte Komplettlösungen für Vernehmungs- und Technikräume im Portfolio. Sie werden auf Wunsch fertig installiert und konfiguriert (siehe Schaubild). Die Aufzeichnung erfolgt über zwei hochauflösende Kameras und zwei Raummikrofone. Zusätzlich ist eine Dome-Kamera installiert. Ausschnittvergrößerungen während und nach der Aufzeichnung sind problemlos möglich. Die Lösung ist auch als portable Version erhältlich, für die Aufzeichnung über zwei Kameras mit integrierten Mikrofonen und einen Windows-10-Notebook. Sie wird in einer stabilen Tasche geliefert, mit der alle Kabel unverlierbar verbunden sind.

Universell einsetzbares Komplettsystem für Verhöre bei Polizei und Co.

Ein solches mobiles oder stationäres Komplettsystem eignet sich natürlich nicht nur für die Polizeiarbeit, sondern zum Beispiel auch für die Dokumentation von Therapiesitzungen. Videoüberwachung und Aufzeichnung sind aus der Sicherheitstechnik von heute nicht mehr wegzudenken und bei Polizei und Justiz auf freiwilliger Basis bereits im Einsatz. Einer Ausweitung steht heute technisch und wirtschaftlich nichts mehr im Wege. Ab 2020 wird die Videoaufzeichnung in bestimmten Fällen verbindlich – sinnvoll ist sie allemal.

Sinisa Kolaric

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