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Öffentliche Sicherheit 4. März 2021

Software unterstützt Notfallmediziner

Eine Software für die Erfassung und Bewältigung bei einem Massenanfall von Verletzten verschafft Notfallmedizinern einen wichtigen zeitlichen Vorsprung.

Die Software bietet den Notfallmedizinern sowohl eine vollständige Übersicht über alle Patienten als auch über Rettungsmittel und Kliniken.
Die Software bietet den Notfallmedizinern sowohl eine vollständige Übersicht über alle Patienten als auch über Rettungsmittel und Kliniken.

Massenkarambolagen, Zugunglücke, Terroranschläge oder auch Unfälle in Industrieunternehmen haben eins gemeinsam – sie sind eine Ausnahmesituation, die Rettungskräfte vor Ort und Notfallmediziner in den Krankenhäusern extrem herausfordert. Bei einem MANV-Ereignis (MANV = Massenanfall von Verletzten) gilt es, den Überblick zu behalten, die Verletzten schnellstmöglich mit Schweregrad der Verletzung zu erfassen, die Erstversorgung sicherzustellen und für einen umgehenden Transport zu dem nächstgelegenen Krankenhaus zu sorgen, das über adäquate Behandlungskapazitäten verfügt. Was logisch und einfach klingt, bedeutet im Ernstfall eine echte Herausforderung für alle Beteiligten.

Unterschiedliche Zuständigkeiten 

Katastrophenschutz und Krisenpläne für Großschadensereignisse liegen in der Zuständigkeit der Länder beziehungsweise der Kommunen und Landkreise. Städte ab 100.000 Einwohner haben eine Berufsfeuerwehr, über die auch der Rettungsdienst organisiert ist. Kleinere Städte organisieren den Rettungsdienst in Kooperation mit Hilfsorganisationen wie ASB, DLRG, DRK, Johanniter Unfall-Hilfe oder Malteser Hilfsdienst oder auch kommunalen oder privaten Rettungsdiensten. Bei einer Luftrettung sind Rettungshubschrauberbetreiber oder auch die Krankenhäuser direkt involviert.  Die Verständigung der Rettungskräfte untereinander erfolgt vielfach über Funk oder telefonisch. Je nachdem, wo ein Großschadensereignis eintritt, können also verschiedenste Organisationen auch aus umliegenden Städten und Kommunen involviert sein. Wer übernimmt aber dann vor Ort die Einsatzleitung? Wer koordiniert, welche Rettungsorganisation welche Patienten in welches Krankenhaus bringt? Hinzu kommt, dass häufig weder die Organisationen und Krankenhäuser untereinander noch mit dem zuständigen Krisenstab oder der Einsatzleitung digital vernetzt sind. 

Notfallmediziner unter Zeitdruck

Wie problematisch das sein kann, zeigt sich vor allem bei der Lagesondierung vor Ort. Noch immer werden bei vielen MANV-Ereignissen für eine Sichtung, das heißt die methodische Priorisierung medizinischer Hilfeleistungen, farbig codierte Papierkarten oder Armbänder genutzt. Hastig ausgefüllt und schlecht lesbar bieten sie vielfach nur einen ersten Anhaltspunkt für weiterbehandelnde Ärzte. Informationen werden notgedrungen mehrfach erfasst – zunächst auf Papier, dann im System des Rettungsdienstes und erneut bei Ankunft im Krankenhaus in der digitalen Krankenakte – sofern denn vorhanden. Disparate Systeme der verschiedenen Beteiligten erfordern somit häufig eine mündliche oder manuelle Informationsweitergabe, die jedoch gerade unter Zeitdruck sehr fehleranfällig ist. Wertvolle Zeit geht verloren, bis der Patient tatsächlich im Krankenhaus versorgt werden kann – Zeit, die viele Schwerverletzte nicht haben.

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Zentrale Software-Plattform 

Digitale MANV-Bewältigungslösungen können hier Abhilfe schaffen. Systeme wie das seit 2017 im Einsatz befindliche System Rescuewave von Vomatec nutzen beispielsweise eine Kombination aus Hardware und App, um auf einer zentralen Software-Plattform sämtliche Informationen zu bündeln und Einsatzkräfte zu koordinieren. Rettungskräfte nutzen so vor Ort keine Papierkarten, sondern kleine Hardwareboxen, die den Betroffenen und Verletzten zum Beispiel umgehängt werden können. Auf ihnen kann mit einem Handgriff der Farbcode der Sichtung eingestellt werden. Diese „Rescue.Nodes“ übermitteln per Funk den Standort des Verletzten und die Farbcodierung sowie eine eindeutige Kennung an die zentrale Softwareplattform. Die Einsatzleitung hat somit innerhalb kürzester Zeit einen Überblick über Anzahl und Standort der Verletzten sowie Schweregrad der Verletzungen. Notärzte können noch vor Ort wichtige Informationen über die vorgenommene Erstversorgung wie zum Beispiel verabreichte Schmerzmittel oder ähnliches über die zugehörige App auf einem Tablet schnell und einfach erfassen. Über eine Schnittstelle werden diese Informationen noch während des Transports an das Krankenhaus gesendet, sodass ein qualifiziertes Ärzteteam den Patienten sofort in Empfang nehmen und ohne Zeitverzug behandeln kann.

Schnittstellen für alle Beteiligten

Für ein koordiniertes Vorgehen bei einem MANV-Ereignis sind die Ressourcen aller normalerweise beteiligten Organisationen im System hinterlegt oder können über Schnittstellen an die digitale Lösung angebunden werden. Weitere Rettungs- und Hilfsorganisationen können dann gezielter von der Einsatzleitung angefordert werden und erhalten genaue Transportaufträge für bestimmte Patienten inklusive Angabe des Standorts des Patienten. Sind alle Kliniken im Einzugsgebiet angebunden, kann die Einsatzleitung zudem genau sehen, welche Klinik noch Kapazitäten hat oder für die Behandlung einer bestimmten Verletzung besonders geeignet ist, beispielsweise über die Abfrage von Versorgungsnachweissystemen. Der Abtransport der Verletzten und die Behandlung können damit deutlich schneller und gezielter erfolgen, wenn spezielle Fachrichtungen in Krankenhäusern gefordert sind und es essenziell ist, dass das Behandlungsteam bei Ankunft sämtliche verfügbaren Informationen hat. 

Digitalisierung zahlt sich aus

Die größte Herausforderung bei der Einführung eines MANV-Bewältigungssystems ist es, alle Beteiligten davon zu überzeugen, dass sich die Investition in eine gemeinsam genutzte, zentrale Plattform für alle auszahlt. Vermeintliche Konkurrenz der Hilfsorganisationen und Krankenhäuser untereinander, hohe Investitionen in eigene Softwarelösungen und vielerorts unklare Zuständigkeiten führen dazu, dass wichtige organisationsübergreifende Digitalisierungsprojekte, die im Ernstfall tatsächlich Leben retten, noch zu oft auf der Strecke bleiben. In Vorreiterkommunen wie dem Landkreis Germersheim ist ein solches System bereits erfolgreich im Einsatz: „Geschwindigkeit und strukturiertes Vorgehen spielen bei Großschadensereignissen eine wesentliche Rolle. Wir gehen damit auch einen wichtigen Schritt in Richtung Digitalisierung im Katastrophenschutz“, erläutert Dr. Fritz Brechtel, Landrat des Kreises Germersheim, die Entscheidung für das MANV-Bewältigungssystem.

Infrastruktur nutzen

Eine zentrale Software-Plattform für die Erfassung von Patienten, Koordination von Transporten und Übersicht von Krankenhauskapazitäten eignet sich darüber hinaus auch für die Pandemiebekämpfung. Ärzte, Krankenhäuser oder Testlabore können Patienten zentral über die Software registrieren, sodass der Krisenstab nicht nur jederzeit einen Überblick über infizierte Personen in häuslicher Quarantäne hat, sondern auch jeweils aktuelle Belegungszahlen mit infizierten Patienten in den Krankenhäusern mit Zusatzinformationen, zum Beispiel ob diese beatmet werden müssen. Gesundheitsämter können die Kontaktnachverfolgung ebenfalls über die Plattform organisieren. Präzise einstellbare Zugriffsrechte sorgen dafür, dass der Datenschutz gewahrt bleibt, aber alle Beteiligten von einer deutlich höheren Transparenz über die Gesamtlage profitieren. Krankenhäuser profitieren in besonderem Maße von einer digitalen MANV-Bewältigungslösung in der Prähospitalphase, weil sie mit dem Einsatz eines solchen Systems wertvolle Zeit vor der Behandlung von lebensbedrohlich verletzten Patienten gewinnen – ein Argument, das auch Städte und Kommunen überzeugen dürfte.

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