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Land unter?

Es wäre nicht schlecht, wenn man als Unternehmer bereits bei der Standortplanung wüsste, ob eine neue Niederlassung vielleicht in einer gefährdeten Region steht. Für wen sich das Analysetool ZÜRS Geo eignet, wollte PROTECTOR von Simon Goeden-Eicken, VdS Schadenverhütung GmbH, wissen.

Extreme Wetterlagen werden künftig zunehmen – ein wachsendes Risiko für Industriebetriebe.
Extreme Wetterlagen werden künftig zunehmen – ein wachsendes Risiko für Industriebetriebe.

PROTECTOR: Trügt es oder stimmt es tatsächlich: Nimmt die Zahl der Naturkatastrophen zu?

Simon Goeden-Eicken: Darüber ist sich die Wissenschaft nicht endgültig einig. Fakt ist aber, dass Ost- wie Süddeutschland innerhalb von gerade mal zehn Jahren von gleich zwei „Jahrhundertfluten“ heimgesucht wurden – auf 6,7 Milliarden Euro beziffert das Bundesinnenministerium allein die durch die Flut im vergangenen Jahr entstandenen Schäden.

Diese Massierung von „Jahrhundertfluten“ hat sehr deutlich vor Augen geführt, dass der Schutz vor Überschwemmungen verstärkt und verbessert werden muss. Eine eigens erstellte Klimastudie des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft kommt zu dem Schluss, dass extreme Wetterlagen mit sehr starken Niederschlägen in Zukunft vermehrt auftreten werden, und zwar in jeder Region Deutschlands.

Können Sie ein Beispiel geben: Welchen Schaden verursacht ein Hochwasser bei einem mittelständischen Industriebetrieb?

Ist ein Betrieb nicht adäquat vorbereitet, kann jedes Hochwasser existenzbedrohend sein. Das Schadensausmaß hängt dabei von vielen Faktoren ab, ob beispielsweise mobile Schutzmaßnahmen vorhanden waren oder der Betrieb deichgeschützt war.

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Produktionsmaschinen und für den Unternehmenserfolg wichtige Materialien können durch das Wasser vollständig zerstört werden, hinzu kommen teils enorme Verschmutzungen durch das von den Wassermassen mittransportierte Material und dann natürlich die Schimmelgefahr.

Aber das sind noch nicht einmal die schlimmsten Bedrohungen, denn dagegen kann man sich problemlos versichern. Doch bleibt durch Hochwasserschäden üblicherweise erst einmal die Leistungserbringung des Betriebes aus. Egal, ob es sich um ein Einkaufszentrum, einen Ein-Mann-Elektro-Reparaturbetrieb oder ein großes Produktionswerk handelt: Bis der ursprüngliche Zustand wieder hergestellt ist, was lange Zeit in Anspruch nehmen kann, ruht der Betrieb.

Selbst loyale Kunden müssen deshalb zwangsweise zu Mitbewerbern wechseln. Diese extremen Verluste sind nicht versicherbar und gefährden betroffene Betriebe noch sehr viel schlimmer als die primären Hochwasserschäden.

Die Versicherungswirtschaft hat nun vor einigen Jahren „ZÜRS“ entwickelt. Was verbirgt sich dahinter?

Das Zonierungssystem für Überschwemmung, Rückstau und Starkregen – kurz ZÜRS Geo – ist eine Entwicklung der deutschen Versicherungswirtschaft, erstmals entwickelt als Reaktion auf das verheerende Oderhochwasser 1997. Es erlaubt eine deutschlandweite Einschätzung von Hochwasserrisiken per Internet-Direktzugriff.

Geht es dabei nur um Hochwasserdaten oder werden auch die Risiken anderer Naturkatastrophen erfasst?

ZÜRS Geo bündelt versicherungsrelevante Geodaten und dient zunächst zur Einschätzung des Überschwemmungsrisikos eines Standortes. Zusätzlich neben dem Hochwasserbaustein bietet es auch einen Haftpflichtbaustein zur Abfrage des Umgebungsrisikos insbesondere bezüglich geschützter Tier- und Pflanzenarten.

Das Risiko eines Umweltschadens kann von jeder beruflichen Tätigkeit oder Betriebsstätte ausgehen. Eine große Rolle spielt der Standort, etwa seine Nähe zu Flüssen und Seen oder zu einem Schutzgebiet.

So liegen zum Beispiel nahezu alle deutschen Industriebetriebe, genau 97,6 Prozent, weniger als zehn Kilometer von einem FFH-Schutzgebiet (nach der „Fauna-Flora-Habitatrichtlinie“) entfernt, mehr als vier Prozent sogar unmittelbar in einem FFH-Gebiet. Nach dem Umweltschadensgesetz bestehen öffentlich-rechtliche Verpflichtungen zu einer umfassenden Sanierung nach Unfällen mit Umweltbeeinträchtigungen.

Dies betrifft alle Betriebe von der Bäckerei bis zum Chemiewerk. Wir bauen ZÜRS Geo immer weiter aus, erweitern es um von unseren Partnern gewünschte spezielle Services und reichern die Datenbank auch mit Informationen zu Erdbeben, Hagelzonen, Blitzeinschlägen und dergleichen an. Es wächst also täglich weiter.

Woher stammen all diese Daten?

Der Adress- und Koordinatensatz stammt aus amtlichen Quellen der Landesvermessung. Dies garantiert unseren Partnern jederzeit und für alle angebotenen Gebiete eine hohe Präzision und Aktualität. Umfassende und flächendeckende Umweltschutzgebietsdaten ermöglichen zusätzlich eine detaillierte Analyse des Umgebungsrisikos für alle Standorte in Deutschland. Neuerdings können selbst Risikogebiete im angrenzenden europäischen Ausland abgefragt werden.

Dieses Instrument war ja vorrangig für die Versicherer gedacht. Könnte es nicht auch für andere interessant sein?

Sie haben recht, wir erweitern ZÜRS Geo, wie gesagt, kontinuierlich und umfassend. Zahlreiche Branchen haben bereits Interesse an diesen passgenauen Risikobewertungen vermeldet, so dass wir gerade spezielle Oberflächen für neue Partner erarbeiten. Das mögliche Einsatzgebiet ist groß – auch Immobilienentwickler- und betreiber, Werksfeuerwehren und Risikoingenieure könnten solche Daten gut gebrauchen. Ebenso wie Banken und Finanzdienstleister, die Ausfallrisiken beherrschen müssen.

Zusätzlich hat VdS eine Kooperation mit verschiedenen Bundesländern und Behörden verabredet – letztendlich wird sich so auch der einzelne Bürger über Hochwassergefahren in seiner Umgebung informieren können. Ich sehe also noch enormes Wachstumspotenzial für unser Angebot.

Denn generell wird Standortplanung in Zeiten intensiverer Wetterphänomene immer wichtiger werden. Unser System macht also für jeden Sinn, der ein Interesse an Standorten hat, die möglicherweise Natur- oder Umweltgefahren ausgesetzt sein könnten. Sie sehen: Uns wird in den nächsten Jahren sicher nicht langweilig.

Wäre das Instrument dann nicht auch prima zur Standortplanung für Industriebetriebe geeignet?

Gerade für Industriebetriebe könnte das Tool interessant sein. Bei Standortneuplanungen und bei der Planung der Gefahrenabwehr bestehender Standorte sind unsere Gutachten ebenfalls sehr wichtig. Diese Gutachten enthalten die Darstellung von unterschiedlichen Risikodaten zu einem Standort. Beispielsweise fließen die Gefährdungsklassen zu Hochwasserwahrscheinlichkeit, Hinweise zu Hochwasserschutzmaßnahmen oder Entfernungen zu Gewässern in die Begutachtung ein.

Wie könnte für so einen Nutzer der Ablauf einer Risikoanalyse aussehen?

Voraussetzung ist ein gemeinsames Briefinggespräch zur Ausrichtung des individuellen Gutachtens, des Weiteren die Bereitstellung postalischer Adressen oder Geokoordinaten zur Einstufung der Risikoklasse. Wir kalkulieren auf Basis des vorhandenen Informationsbedarfs individuell und garantieren eine höchste Datenqualität mit jährlich aktualisierten Daten. Wir halten alle relevanten Datenschutzstandards ein – und das bei schnellen Reaktionszeiten. Neben der datenseitigen Analyse sind außerdem Begutachtungen vor Ort möglich.

Kann ein solches Tool auch beim Aufbau eines Katastrophenmanagements helfen?

Natürlich, das können wir uns sogar gut vorstellen. Es ist beruhigend zu wissen, dass ZÜRS im Ernstfall die Arbeit der Retter erfolgreich unterstützen kann.

Interview: Annabelle Schott-Lung

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