Direkt zum Inhalt

Mehrdimensionale Anforderungen

Die Videobranche agiert heute verstärkt in einem Spannungsfeld aus Preisverfall, Innovationsdruck und Investitionsschutz. Doch inwieweit wirken sich diese teils gegenteiligen Trends auf die Qualität der Anlagen aus? Und welche Maßstäbe können Anwender und Errichter heute noch anlegen?

Teilnehmer des ersten Tages des PROTECTOR Forums Videoüberwachung 2014.
Teilnehmer des ersten Tages des PROTECTOR Forums Videoüberwachung 2014.

Gleich zu Beginn eröffnete Moderator Dirk Ostermann mit zahlreichen Fragen die Diskussion und forderte zur Klärung auf, wie man Qualität heute beurteilen kann: „Spannend ist auch der Blick zurück: Wie hat man in der Vergangenheit Qualität von Videosystemen beurteilt, beziehungsweise was ist aus den Maßstäben von damals geworden? Wir erleben heute eine nie dagewesene Schnelllebigkeit im Markt, die ständig neue Funktionen und smarte Features hervorbringt, die zwar intensiv vermarktet werden, aber in kein traditionelles Schema passen. Der Knackpunkt ist: Leidet unter diesem Innovationsdruck womöglich sogar die Qualität?“

Dies ist eine These, die Torsten Anstädt von Mobotix, nicht unterstützen will, für ihn ist klar: „Vor zehn Jahren konnte man ganz klar sagen: Hohe Bildfrequenzen sind das Qualitätsmerkmal. Damals arbeiteten IP-Kameras auch noch deutlich bildverzögerter und lieferten nur wenige Bilder pro Sekunde – heute sieht das ganz anders aus. Dennoch wird die alte Analogtechnik noch hoch gelobt, obwohl diese nur niedrig aufgelöste CIF-Bilder liefert beziehungsweise aufzeichnet. Doch was bringt eine absolut verzögerungsfreie Darstellung, wenn man nur eine so geringe Auflösung wie CIF oder 4CIF hat und ich in vielen Fällen anhand dieser Bilder keine Identifikation vornehmen kann? Das ist in den meisten Anwendungen nicht mehr zeitgemäß und meiner Meinung nach eine Fehlinvestition.“

Beim Übergang in die IP-Welt hat sich also die Technik massiv gewandelt und verbessert, die Erwartungen der Anwender scheinen aber in einigen Punkten noch sehr konservativ. Anstädt plädiert daher für die Anwendung neuer Kriterien: „Wir müssen sehen, welche neuen Maßstäbe heute gelten und welche modernen Kriterien wirklich zählen. Da muss neben einem hochauflösenden Live-Bild auch die Übertragung und Aufzeichnungsqualität berücksichtigt werden. Hier sind die Codecs und die Art der Komprimierung klare Qualitätsmerkmale.“

Mit Ausfall rechnen

Auf technischer Seite dienen aber nicht nur Ausstattungsaspekte von Kameras und Komponenten als Anhaltspunkt für die Qualität, es gibt auch in Bezug auf die Haltbarkeit messbare oder berechenbare Kriterien. Fedja Vehabovic von JVC zieht einen leider in der Praxis zu selten berücksichtigen Faktor heran: „Ich warne auch immer vor einem Überhitzen der Kamera durch Nichtwissen. Oft fallen Kameras aus, weil der Hersteller glaubt, ein beliebiger Chipsatz und ein Sensor in einem Gehäuse machen schon eine verlässliche IP-Kamera, aber das stimmt natürlich nicht. Man muss auch das Gehäuse optimieren, die Firmware abstimmen und vieles mehr. Und selbst das reicht lange nicht, die Kameras müssen natürlich auch 90.000 Stunden MTBF liefern ohne auszufallen.“

Anzeige

„Bei den heutigen hohen Auflösungen müssen wir auch über die Kompression der Bilder sprechen. Denn jeder, der hohe Bildqualität sehen und aufzeichnen will, setzt nicht auf H.264. Denn bei Megapixel-Kameras sprechen wir oft über JPEG-2000 oder, wie wir, MxPEG, unsere eigenentwickelte Videokompression, um auch in der Nachrecherche detaillierte Bildinhalte darstellen und analysieren zu können. Dies ist nur ein Beispiel von vielen, um hohen Qualitätsstandards immer wieder gerecht zu werden und Eigenentwicklungen unumgänglich zu machen.“
Torsten Anstädt, Mobotix AG

„Ein moderner Qualitätsbegriff umfasst natürlich die MTBF-Zeiten, aber auch das Gesamtkonzept: die Produktqualität, die Bildqualität, die Servicequalität. Denn es bleiben technische Geräte, bei denen irgendwann auch Komponenten kaputt gehen, spätestens dann kommt das Servicekonzept ins Spiel.“
Stefan Bange, Avigilon

Auf diese Mean Time Between Failures (MTBF) – also die mittlere Betriebsdauer zwischen Ausfällen – kommt auch Ludwig Bergschneider von Aasset Security zu sprechen: „Die MTBF, das wissen die wenigsten, basiert auf einer komplizierten Berechnung und nicht etwa auf der Erfahrung aus der Praxis. An der MTBF kann sich der Anwender jedoch gut orientieren. Die MTBF von Kameras liegt bei den meisten Herstellern bei mehr als 100.000 Stunden, was meistens eine ausreichend lange Zeit ist.“ Dass man darauf aber nicht blind vertrauen sollte, gibt Bertrand Völckers von Flir zu bedenken: „Eine Angabe wie die MTBF-Zeit kann sicher als Anhaltspunkt dienen, aber die andere Frage ist, inwieweit der Hersteller bereit ist, hier in die Pflicht zu gehen, um Garantien zu geben. Flir gibt eine Garantiezeit von zehn Jahren auf den Detektor der Flir-Wärmebildkameras.“

Diesen Ansatz sieht Uwe Höppner von Eneo Security aktuell nicht verwirklicht: „MTBF ist kein Allheilmittel und auch keine Garantie. Man bekommt eine errechnete Zahl für ein Produkt, wobei man niemals sicherstellen kann, dass in der Praxis diese Betriebsstunden garantiert erreicht werden.“ Eine Lösung sieht Stefan Bange von Avigilon in der Kombination: „Ein moderner Qualitätsbegriff umfasst natürlich die MTBF-Zeiten aber auch das Gesamtkonzept: die Produktqualität, die Bildqualität, die Servicequalität. Denn es bleiben technische Geräte, bei denen irgendwann auch Komponenten kaputt gehen, spätestens dann kommt das Servicekonzept ins Spiel.“

Mindestens zehn Jahre

Dass Geräte ausfallen, ist also ein Fakt, den kein Hersteller leugnen wird. Dennoch wirkt sich auf Kundenseite sonst nichts derart gravierend auf den subjektiven Eindruck von Qualität aus. Vor allem, da viele Anwender noch aus Analogzeiten eine imaginäre „Schallmauer“ von zehn Jahren im Kopf haben. Das unterstreicht auch der Errichter Wilhelm Fischer von Netzwerkservice Fischer: „Für den Kunden ist Qualität, wenn etwas lange hält. Denn es geht ihm um Investitionsschutz. Qualität ist deshalb eine Langlebigkeit von mindestens zehn Jahren, alles andere ist nicht akzeptabel. Der eine oder andere Hersteller kann das auch gewährleisten – andere sind dafür sehr kulant beim Austausch und verkaufen das auch als Qualität.“

1 - 2 - 3 nächste Seite

Passend zu diesem Artikel