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Forschung im Fokus Chinas

Länder wie China haben ein großes Interesse an technologischer Entwicklung und Forschung – auch unter Einsatz von Spionage.

Forscher und Einrichtungen sollten sich vor illegitimem Wissenstransfer schützen.
Forscher und Einrichtungen sollten sich vor illegitimem Wissenstransfer schützen.

Im Rahmen einer aktuellen Studie wurde der Spionageansatz Chinas näher untersucht und ein niederschwelliger Maßnahmenkatalog für den Schutz von Forschungsergebnissen erstellt, der auf Best Practices aus dem deutschsprachigen Raum beruht. Deutschland zeichnet sich durch Spitzenforschung und wissenschaftliche Innovationen aus – nicht nur aufgrund seiner globalen Vernetztheit. Die enge internationale Zusammenarbeit birgt jedoch nicht nur Chancen, sondern auch Gefahren, denn auch in der Foschung setzen Nationen auf Spionage, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Gerade in der Wissenschaft ist das Risikobewusstsein nicht ausreichend stark ausgeprägt.  

Spionage und Konkurrenzausspähung sind bekannte Gefahren im Wirtschaftssektor. Im Gegensatz dazu wird in der Wissenschaft der Aspekt des Schutzes wertvoller Forschungsergebnisse meist nur marginal behandelt. Geistiges Eigentum wird zwar von den Forschern geschützt, um das Urheberrecht zu sichern oder um den Vorgaben von Auftraggebern zu entsprechen, aber eine institutionsübergreifende, einheitliche Vorgehensweise zum Schutz von Wissen ist im Bereich Wissenschaft und Forschung nur in den seltensten Fällen vorzufinden. Das wurde bereits 2018 im Rahmen des Forschungsprojekts „Wirtschaftsspionage und Konkurrenzausspähung in Deutschland und Europa“ (WISKOS) belegt.

China investiert viel in Forschung und Entwicklung

Seit einiger Zeit wird diese Problematik auch in Europa intensiver diskutiert – der Grund dafür liegt auch daran, dass China – wie aktuell keine andere Nation – umfangreiche Maßnahmen setzt, akademisches Wissen ins Heimatland zu transferieren. Dabei wird gezielt die Forschungsfreiheit im und die Offenheit des Westens ausgenutzt, zuletzt auch, um das eigene Militär aufzurüsten. Die Five Eyes, das ist die Allianz der Geheimdienste der USA, des Vereinigten Königreichs, Australiens, Kanadas und Neuseelands, thematisierten den Diebstahl von Forschungsergebnissen durch China bereits öffentlichkeitswirksam. Die Volksrepublik China braucht wissenschaftliche Innovationen zum Erreichen seiner ambitionierten Ziele: bis zu ihrem 100. Gründungstag (2049) will sie zur militärischen und wirtschaftlichen Supermacht aufgestiegen sein.

Laut der „China Science Investigation“, einem Projekt europäischer Journalisten aus dem Jahr 2022, wurden in Europa seit der Jahrtausendwende mehr als 350.000 wissenschaftliche Studien in Kooperation mit China publiziert. Rund 3.000 davon entstanden in Zusammenarbeit mit chinesischen Forschungseinrichtungen, die eng mit der Volksbefreiungsarmee zusammenarbeiten, darunter fallen beispielsweise die National University of Defense Technology und die sogenannten „Seven Sons of National Defence“. Bei letzterem handelt es sich um sieben chinesische Organisationen, die die Speerspitze der Verteidigungsforschung Chinas bilden. Die meisten dieser für die Volksbefreiungsarmee relevanten Publikationen entstanden in Kooperation mit akademischen Einrichtungen aus dem Vereinigten Königreich, auf Platz zwei folgen bereits jene aus Deutschland. Als Reaktion darauf versprachen viele deutsche Forschungseinrichtungen, Richtlinien wie die „Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft mehr zu berücksichtigen und in ihren Alltag zu implementieren. Die Forderung, Forschungsprojekte auf Missbrauchspotenzial zu prüfen, greift jedoch zu kurz – denn gerade in zukunftsweisenden Forschungsbereichen (wie zum Beispiel der Quantentechnologie) kann nicht lückenlos antizipiert werden, welche Ergebnisse missbräuchlich verwendet werden könnten.

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Spionage nicht immer offensichtlich

Erschwerend kommt hinzu, dass eine reine Prüfung des Missbrauchspotenzials noch keinen Schutz relevanter Forschungsergebnisse vor Diebstahl impliziert. Zwar wird die Notwendigkeit der Prüfung der Nutzungsrechte in dieser Richtlinie angesprochen, eine Prävention von Wissenschaftsspionage lässt sich daraus jedoch nicht ableiten. Besonders mit Hinblick auf China bleibt diese Forderung zahnlos, zeichnet sich die Herangehensweise Chinas an das Sammeln von Information doch gerade durch seinen gesamtgesellschaftlichen Spionageansatz aus, der staatliche, wirtschaftliche und akademische Einrichtungen sowie einzelne Bürger mit einbezieht. Rechtliche Verankerung findet diese Strategie im 2017 verabschiedeten „Neuen Geheimdienstgesetz“, welches chinesische Staatsangehörige, chinesische Unternehmen und sonstige chinesische Organisationen im In- und Ausland zur Kooperation mit den chinesischen Geheimdiensten verpflichtet. Für den deutschen Wissenschaftsbetrieb bedeutet dieses Gesetz, dass bei chinesischen Gastforschern und Austauschstudenten an den hiesigen Forschungseinrichtungen nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie im Interesse Chinas Informationen sammeln und in die Heimat weiterleiten. Bereits 2023 warnte Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger daher vor staatlich geförderter Wissenschaftsspionage durch chinesische Stipendiaten.

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Schutz von Ergebnissen und Know-how

Doch wie sollen Forschungseinrichtungen mit dieser Problematik umgehen? Immerhin sind Forscher auf Wissensaustausch und den Zugriff auf Forschungsdaten angewiesen, um Wissenschaft betreiben zu können. Der internationale Austausch von Forschungsergebnissen gehört daher ebenso wie Forschungsaufenthalte im Ausland zur gelebten Praxis im Wissenschaftsbetrieb. Dieser Umstand eröffnet aber auch unzählige Ansatzmöglichkeiten, um Informationen unentdeckt abzugreifen. Dass das Sammeln von Information durch Einzelpersonen der strategischen Ausrichtung Chinas dient, zeigt sich, wenn man einen Blick auf verschiedene chinesische Strategiepapiere wirft, wie etwa „Made in China 2025“, „Space Science and Technology in China“, „A Roadmap to 2050“ oder „The National Key Technologies R&D Program“. Diese beschreiben diejenigen Felder, in denen China aufzuholen plant. Aus diesen Dokumenten lässt sich ableiten, in welchen wissenschaftlichen Bereichen China vermehrt auf einen Wissenstransfer aus dem Ausland zurückgreift, um Rückstände ressourcenschonend aufholen zu können, darunter fallen beispielsweise die Sektoren Automatisierung und Robotik, Luftfahrt, Maritime Ausrüstung oder Neue Materialien.

Die Beschaffung der benötigten Information wird zwar zentral von der Kommunistischen Partei Chinas orchestriert, aber dezentral organisiert. Zu den informationsbeschaffendenden Einrichtungen gehört unter anderem auch das Ministerium für Staatssicherheit, der wichtigste zivile Nachrichtendienst Chinas. Der Großteil der Informationen aus dem Technologie- und Wissenschaftsbereich wird nicht von chinesischen Agenten, sondern von sogenannten „non-traditional collectors“ gesammelt, also von Personen ohne nachrichtendienstliche Spezialausbildung, die auch nicht bei einem Geheim- oder Nachrichtendienst angestellt sind. Chinesische Forscher und Studierende im Ausland werden gezielt für Spionage eingesetzt, weil sie über umfangreiches Wissen im Bereich der Wissenschaft und Technik verfügen und bereits Teil der wissenschaftlichen Community sind. Dadurch haben sie Zugang zu den benötigten Daten und können relevante Informationen rasch identifizieren.

Staatlich organisierter Wissenstransfer

Verbreitung, Verteilung und Verwertung findet die so gesammelte Information aus dem Bereich Wissenschaft und Technik in Politik, Militär, Forschung oder Industrie. Zu den wichtigsten nationalen Organisationen, die in China in den Informationsverteilungsprozess involviert sind, gehören beispielsweise das Institute of Scientific and Technical Information of China sowie das Military Science Information Research Center, deren Aufgabe in der Verbreitung wissenschaftlicher und technologischer Informationen aus dem Ausland in China besteht, um beispielsweise die nationale Industrie, das Militär oder Entscheidungsträger zu unterstützen.

Durch die Analyse zeigt sich: Der Wissenstransfer aus der Forschungsnation Deutschland nach China mag auf den ersten Blick vernachlässigbar erscheinen, er ist aber nichtsdestoweniger ein strategisches Mittel der Volksrepublik China, um den eigenen Aufstieg zur neuen militärischen Weltmacht zu unterstützen. Wissenschaftsspionage ist nicht leicht zu detektieren und ihre Konsequenzen sind im Vergleich zur Wirtschaft schwieriger zu quantifizieren, was aber nicht bedeutet, dass sie nicht existieren. Sie sind in ihrer Gesamtheit eine Bedrohung für den Wissenschaftsstandort Deutschland, indem sie zu einem Verlust von Aufträgen bzw. Patenten und der Aufhebung wissenschaftlicher Kooperationen aufgrund des Reputationsschadens führen können und damit die wissenschaftliche Integrität und die führende Rolle Deutschlands in der Forschung gefährden Im Bereich der dual-use-fähigen Forschung (also ziviler Forschung mit militärischer Anwendbarkeit, wie beispielsweise Raumfahrt, Biotechnologie oder Quantentechnologie) stellt Wissenschaftsspionage zudem eine Gefahr für die nationale und internationale Sicherheit dar: Durch den illegitimen Zugriff auf Forschungsergebnisse und Technologien aus Dual-Use-Bereichen können ausländische Akteure potenziell neue Sicherheitsrisiken schaffen.

Forschung lässt sich schützen

Die Frage, wie Deutschlands Forschungseinrichtungen mit der Gefahr der Wissenschaftsspionage umgehen können, erlaubt eine optimistische Antwort: Um illegitimen Wissenstransfer zu verhindern, muss das Rad nicht neu erfunden werden. Für den Schutz von Wissen gibt es Normen und Leitfäden, die Orientierung bieten, etwa die ISO 27001, die internationale Norm für Informationssicherheits-Managementsysteme (ISMS). Auch wenn ein ISMS keinen vollumfänglichen Schutz vor Wissenschaftsspionage bieten kann, ermöglicht es den Aufbau eines soliden Fundaments. Selbst, wenn die Ressourcen innerhalb der eigenen Organisation nicht für eine Zertifizierung ausreichen, ist es dennoch lohnend, Anleihe daran zu nehmen. Zusätzlich dazu bieten Studien wertvolle Einblicke und Best Practices, wie etwa das Forschungsprojekt „Wirtschaftsspionage und Konkurrenzausspähung in Deutschland und Europa“ (WISKOS) oder die aktuelle Studie „Forschungseinrichtungen im Spannungsfeld zwischen Forschungsfreiheit und Wissensschutz. Wissenschaftsspionage am Beispiel China“. Letztere widmet sich der Frage, wie sich Forschungseinrichtungen vor illegitimem Wissenstransfer schützen können und bietet einen umfassenden Katalog an Maßnahmen für Forschungseinrichtungen.

Die Diskussion über Wissenschaftsspionage und den Schutz wertvoller Forschungsergebnisse verdeutlicht das Dilemma zwischen Forschungsschutz und Forschungsfreiheit, dem Forschungseinrichtungen weltweit gegenüberstehen. Besonders mit Blick auf den aggressiven Wissenstransfer nach China müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die Integrität der wissenschaftlichen Arbeit sicherzustellen. Normen, Leitlinien und bewährte Verfahren bieten Forschungseinrichtungen Orientierung für den Aufbau einer robusten Sicherheitskultur. Letztlich erfordert der Schutz wertvoller Forschungsergebnisse eine ausgewogene Strategie, die den Schutz und die Offenheit in der Forschung gleichermaßen berücksichtigt, um die Zukunft von Forschung und Innovation in Deutschland sicher gestalten zu können.

Daniela Kirchmeir, MA, ist Security Consultant bei der Hisolutions AG

China hat großes Interesse an ausländischem Wissen und Technologie. 
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