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Versicherungsbetrug 1. Juni 2015

Bedrohliches Ausmaß

Versicherungen schützen vor unkalkulierbaren Risiken, aber sie sind auch selbst erheblichen Risiken ausgesetzt. Steigende Schadenszahlen in Deutschland und die Ausprägung neuer Kriminalphänomene im wirtschaftlichen Umfeld der internationalen Versicherungen sind nur einige der Faktoren, die das aktuelle Lagebild prägen.

Keineswegs selten sind fingierte Diebstähle.
Keineswegs selten sind fingierte Diebstähle.

Roland B. Wörner, Global Head of Counter Fraud GI Claims der Zurich Insurance Company Ltd. (Zürich), brachte es bei der jüngsten 6. DIIR-Anti-Fraud-Management-Tagung des Deutschen Instituts für Interne Revision und der ASW Bundesverband – Allianz für Sicherheit der Wirtschaft e.V. auf den Punkt.

Vor Fachexperten und Spezialisten aus den Bereichen Revision, Security und Compliance legte der hochrangige Manager erschreckendes Zahlenmaterial vor: Gut zehn Prozent der Versicherungsleistungen werden nach seinen Worten durch betrügerische Manipulationen erlangt.

Den daraus resultierenden finanziellen Schaden bezifferte er allein für Deutschland auf vier bis acht Milliarden Euro pro Jahr. In der weltweiten Betrugsbilanz schlügen gar mindestens 700 bis 1.000 Milliarden zu Buche, um die die Versicherungen geschädigt werden.

Staat und Gesellschaft betroffen

Längst haben organisierte Täterstrukturen Kriminalität und sogar „Schurkenstaaten“ die Gesellschaften in den Fokus genommen. Exemplarisch nannte Wörner die „brasilianische Geschäftsidee“. Das Tatmuster: Kriminelle Organisationen führen bewusst Unfälle herbei, bei denen Mittäter verstümmelt und somit zum Versicherungsfall werden.

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Das sei nur ein Punkt in der Liste individueller Kriminalphänomene, auf die geschädigte Versicherungen reagieren müssen. Das bedrohliche Ausmaß der Betrugsdelikte stelle nicht nur für die Versicherer ein alarmierendes Signal dar, sondern auch für Staat und Gesellschaft, so Wörner. Die Volkswirtschaften würden zunehmend belastet.

Ausufernde Schadensfälle und -summen zögen zum einen erhöhte Versicherungsbeiträge nach sich. Zum anderen wirkten sie auch erschwerend auf die Obliegenheiten, die von den Versicherten vertragsgemäß zu erbringen sind, um künftigen Schadensfällen präventiv entgegenzuwirken.

Ein alltägliches Beispiel: Nach wiederholten Diebstählen auf dem Firmengrundstück muss ein Geschädigter einen besseren, aber auch teureren Zaun errichten, die Zutrittskontrollsysteme optimieren und Videokameras sowie eine Flutlichtanlage installieren. Da der Betroffene diese erheblichen Mehrkosten nur bedingt auf die Preise abwälzen kann, muss er vermutlich Einsparungen, im schlimmsten Falle auch personeller Art, vornehmen.

„Das trifft im Ergebnis alle“, kommentierte ein sachkundiger Tagungsteilnehmer. „Kriminalität gegen Versicherungen ist immer auch Kriminalität gegen die soziale Gemeinschaft.“

Folgen der Globalisierung

Mittelbar auf das Tatgeschehen wirkten sich auch die globale Ausprägung der Wirtschaft, die Internationalisierung von Wertschöpfungsketten und die Digitalisierung der Gesellschaft aus, sagte Wörner. Kein gesellschaftlicher Bereich existiere heute autark von diesen Entwicklungen. Diese typischen Kennzeichen der Moderne brächten unzweifelhaft viele Vorteile mit sich, aber es gäbe auch unverkennbare Schattenseiten.

Aufgrund dieser Faktenlage erfolgte laut Wörner in den zurückliegenden zehn Jahren in vielen Bereichen der Versicherungswirtschaft ein Umbau, und das nicht nur im Bereich des Kerngeschäftes, sondern auf allen operativen Handlungsfeldern. Die Gesellschaften agieren im Einklang mit Assekuranzen und Maklern bei den Kunden zunehmend nicht nur als Risikoträger, sondern übernehmen Aufgaben der Beratung und bei Schadenseintritt die Rolle der Troubleshooter.

Waren es vor 20 Jahren meist nur die Bereiche Entführung und Lösegeldversicherung (kidnap & ransom) beziehungsweise Versicherungen gegen Produktkontaminierung, die ein solches stringentes Vorgehen der Versicherer zur Folge hatten, sind es heute alle Bereiche, wie Sach-, Haft-, Transport- und technische Versicherungen, die mit diesem neuen Ansatz berücksichtigt werden.

Zwangsläufig müssen auch beim Risk Management und der pragmatischen Entwicklung von Präventionskonzepten neue Wege gegangen werden, wie Wörner verdeutlichte. Der Manager nannte in diesem Kontext folgende Kernpunkte:

  • Implementierung von Instrumenten eines ganzheitlichen Risk Managements mit funktionellen Schnittstellen zu den Kundenstrukturen
  • Konsequente Analyse der zur Verfügung stehenden Daten und Informationen
  • Erarbeitung von nutzbaren Lagebildern für die Beurteilung von relevanten Kriminalphänomenen
  • Fortschreibung der Risk- Management-Maßnahmen bei den Kunden durch aktive Beratung und Festlegung geeigneter Obliegenheiten
  • Schaffung von internen Ermittlungseinheiten zur konsequenten Schadensaufklärung bei begründeten Verdacht auf kriminelles Handeln gegen die Unternehmen und Versicherer
  • Mitarbeit in Gremien und Organisationen zur strategischen Gefahrenabwehr und Prävention
  • Sensibilisierung der Wirtschaftsbeteiligten zu Kriminalphänomenen, Schadensentwicklungen, begünstigenden Rahmenbedingungen und geeigneten Schutzmaßnahmen
  • Zusammenarbeit mit staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen im Bereich der Repression
  • Unterstützung wissenschaftlicher Projekte und Forschungsvorhaben im Bereich des Risikomanagements.

Neue Masche

Weitere plakative Beispiele für die Erscheinungsformen der Versicherungskriminalität nannte im Gespräch mit PROTECTOR der externe Schadensermittler Frank John, Desa Investigation + Risk Protection, Berlin. Das Vortäuschen von Fehlgeburten durch inszenierte Auffahrunfälle ist unter anderem eine Spielart der kriminellen Aktivitäten in Italien. Diese Begehungsart zielt darauf ab, das Schmerzensgeld in Anspruch zu nehmen.

Wie der Experte erläuterte, berichteten die Medien von mehreren Hunderten fingierter Auffahrunfälle, die einer italienischen organisierten Tätergruppe aus Süditalien zuzuschreiben sind. „Hielt die Yakuza in Japan früher für Aussteiger und ‘Verräter’ das Wakizashi-Schwert bereit, so wird heute dem ‘Verurteilten’ ein Schlüssel für einen hochmotorisierten Pkw übergeben“, so Frank John weiter. Der Sachschaden sei kalkuliert und die Auszahlung einer Lebensversicherung „der Mehrwert für die organisierten Täter“.

Eher die Ausnahme, aber hinsichtlich der Schadenshöhe nicht zu vernachlässigen, seien staatlich sanktionierte kriminelle Aktivitäten gegen internationale Versicherungskonzerne, machte John auf einen besonderen Aspekt aufmerksam.

„Nach Veröffentlichung der Washington Post, soll Nordkorea in den vergangenen Jahren mehrere hundert Millionen Dollar von Versicherungen kassiert haben. Bezug genommen wurde auf diverse von der nordkoreanischen Regierung angemeldete Ansprüche für Transportunfälle, Fabrikbrände, Flutschäden und andere angebliche Katastrophen. Nach Angaben der US-Regierung und Justizbehörden aus mehreren Ländern in aller Welt handele es sich um „staatlich sanktionierte Kriminalität“.

Haftungsketten unberücksichtigt

Bezeichnend für die Globalisierung der kriminellen Strukturen sei es nach den Worten des Schadensermittlers, wenn Tätergruppen aus Großbritannien ein Trainingslager für vorgetäuschte Verkehrsunfälle in Johannisburg anbieten und in Medien offerieren. Frank John: „Bei der Betrachtung der weltweit realisierten Schadensszenarien bleiben häufig die im Hintergrund bestehenden Haftungsketten der international agierenden Versicherungsunternehmen unberücksichtigt.“

Inzwischen seien die Folgen der Piraterie vor den Küsten Afrikas nicht nur ein Problem für die Reedereien und akut Betroffenen an Bord der Containerschiffe und Tanker. Diverse Versicherungen für Ware, Schiffe und sonstige Risiken konfrontierten auch zunehmend die Versicherer mit Sitz innerhalb der Europäischen Union mit den Schäden.

Der auf innereuropäische Szenarien ausgerichtete Blick lasse keinesfalls Entspannung erwarten, so der Schadensermittler. Die anhaltende negative Schadensentwicklung im Transportbereich wie auch in der gesamten Sparte Schadensversicherung verdeutliche den notwendigen Handlungsbedarf.

Klaus-Henning Glitza

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