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Versorgungskrisen: Was tun, wenn das Wasser ausgeht?

In Versorgungskrisen ist effektives Katastrophenmanagement gefragt. Das Projekt „Nolan“ erforscht dazu öffentlich-private Partnerschaften.

Naturkatastrophen, Finanzcrash oder Treibstoffmangel – jede dieser drei Notlagen kann zu einem drastischen Engpass an lebensnotwendigen Gütern wie Trinkwasser, kalorien- und nährstoffreichen Lebensmitteln oder auch Babynahrung führen. Um solche Versorgungskrisen professionell bewältigen zu können, braucht es eine strategische Partnerschaft von Experten der Ernährungsmittelvorsorge einerseits und privaten Unternehmen der Lebensmittelwarenketten andererseits. Das Projekt „Nolan“ (Skalierbare Notfall-Logistik im urbanen Raum als Public-Private Emergency Collaboration) erforscht eine solche öffentlich-private Partnerschaft für Versorgungskrisen.

Warum Trinkwasserknappheit schnell zum Extremfall wird

Als sich am 7. Februar 2019 in Heidelberg das Leitungswasser blau färbte, war die Verunsicherung groß: Innerhalb kürzester Zeit war in den Supermärkten kein Trinkwasser mehr verfügbar. Auch wenn die Behörden wenige Stunden später Entwarnung geben konnten, zeigt dieses Beispiel, wie sehr die Wasserversorgung der Bevölkerung von Verfügbarkeit und Qualität des Leitungswassers abhängt. Die Versorgungsketten des Lebensmittelhandels sind für eine kurzfristige Ersatzversorgung nicht ausgelegt und geraten schnell an ihre Grenzen. Wie schlimm hätte sich eine solche Lage möglicherweise entwickelt, wenn es sich um eine tatsächliche Wasserkontamination gehandelt hätte – noch dazu während eines sehr heißen Sommers? Dieses ist eines von drei Gefährdungsszenarien, die im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Verbundprojekt Nolan untersucht werden. Die Projektpartner – Karlsruher Institut für Technologie, Technische Universität Dresden und die 4flow AG – untersuchen dabei, wie sich Versorgungskrisen und Versorgungsengpässe im Katastrophenfall mit einer Partnerschaft aus Bevölkerungsschutz und privaten Unternehmen vermeiden und leichter überwinden lassen.

Nolan-Projekt erforscht drei Katastrophen-Szenarien

Neben qualitativ bedingten Engpässen, wie im Fall der Stadt Heidelberg, kann die Trinkwasserversorgung insbesondere durch den Mangel an Leitungswasser gefährdet sein. Langanhaltende Dürreperioden in den Sommermonaten lassen die private Nachfrage nach Wasser stark ansteigen und verknappen zudem das Angebot in beträchtlichem Umfang. So warnten im Juni 2019 die Wasserversorgungsunternehmen Ostwestfalens vor kritischen Engpässen, sollte der private Wasserverbrauch durch Sprengen der Gärten und Befüllen der Pools weiter zunehmen. Falls dann technische Störungen bei der Aufbereitung oder dem Transport des Wassers hinzukommen, kann es zum Ausfall der leitungsgebundenen Versorgung kommen. Da Extremwetterereignisse wie Hitzewellen auch in Deutschland in Zukunft noch häufiger zu erwarten sind, müssen Vorbereitungen auf Trinkwasserknappheit intensiviert und Maßnahmen zur Erhöhung der Resilienz geplant werden. Ein Ansatzpunkt für eine öffentlich-private Kooperation wäre beispielsweise, dass Unternehmen des Einzelhandels sowie Produzenten zusätzliche Mengen an Trinkwasser in besonders gefährdete Gebiete liefern, um dadurch Einsatzkräfte, die die Verteilung von Trinkwasser organisieren, logistisch zu entlasten.

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Treibstoffmangel als verschärfender Faktor in Versorgungskrisen

Auch das Szenario des Treibstoffmangels lässt sich in aktuelle Ereignisse einordnen. Eine drastische Reduzierung von Straßentransporten führt unmittelbar zu Engpässen in der Lebensmittelversorgung der Bevölkerung. Neben politischen Spannungen als Ursache spielen hier auch lange, heiße Sommer eine entscheidende Rolle: Als Transportmittel von Rohöl für Raffinerien in Süddeutschland wird die Binnenschifffahrt genutzt, die bei langanhaltender Hitze wiederum Kapazitätsengpässen durch Niedrigwasser in Flüssen und Kanälen ausgesetzt ist. Die Frage der effizienten und flexiblen Disposition aufgrund von Treibstoffmangel ist für Logistikfirmen von wachsender Bedeutung, da hier neben Krisenvorbereitung auch ökologische Erwägungen und Zukunftstrends, wie der wachsende E-Commerce-Markt, eine große Rolle spielen.

Ursachen für den im dritten Szenario betrachteten Ausfall des elektronischen Zahlungsverkehrs können technische Störungen im Zuge von Cyber-attacken auf einzelne Komponenten des komplexen Netzwerks der Zahlungsdienstleistungen sein, welche infolge der zunehmenden Digitalisierung der einzelnen Bestandteile und Abläufe von hoher praktischer Relevanz sind. Ebenso kann die Verwirklichung von vielfältigen, übertragbaren Systemrisiken – endogener oder exogener Natur – im Finanzsystem in Form einer Systemkrise (Finanzkrise) auch zum Ausfall der Übermittlung von Zahlungen und damit zu schwerwiegenden Folgen für den Binnenmarkt und die Realwirtschaft führen. Im Gegensatz zur Behebung kurzfristiger technischer Störungen ist es eine besondere Herausforderung bei der Bewältigung von Systemkrisen, dem möglichen allgemeinen Vertrauensverlust in die Währung zu begegnen und den Zusammenbruch der Lebensmittelwarenketten zu verhindern.

Öffentlich-private Partnerschaft für den Katastrophenfall

Die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Akteuren kann auf verschiedene Arten geschehen. Zunächst ist hier die Notwendigkeit eines regelmäßigen und intensiven Informationsaustauschs zu nennen, und zwar sowohl im Voraus (Planung) als auch im Notfall selbst (Maßnahmenkoordination). Behörden müssen im Notfall sofort wissen, wo sie die benötigen Lebensmittel beschaffen können. Die Unternehmen können ihrerseits mit Marktinformationen unterstützen, im günstigsten Fall können auffällige Marktveränderungen auch als eine Art Frühwarnsystem für die öffentliche Notfallvorsorge dienen. Auch die wichtige Frage, in welchem Fall die Firmen mit einem staatlichen Eingriff zu rechnen haben (zum Beispiel Beschlagnahmung von Fahrzeugen) ist Teil der informativen Zusammenarbeit.Weiterhin bietet eine enge Abstimmung die Chance einer höheren Kompatibilität geplanter behördlicher Maßnahmen mit den logistisch-technischen Gegebenheiten moderner Lebensmittelwarenketten.

Zusätzlich ist es denkbar, dass Firmen im Rahmen ihrer Corporate Social Responsibility (CSR)-Aktivitäten auch Maßnahmen für den Krisenfall in ihre Prozesse integrieren und somit Katastrophenschutzbehörden im Katastrophenfall gezielt unterstützen könnten. Vorbild dafür könnten Coca Cola oder die Brauerei Anheuser-Busch aus den USA sein, die Reserveressourcen vorhalten und sogar darauf vorbereitet sind, im Katastrophenfall eigens Produktionsanlagen umzurüsten.

Filialnetze zur Verteilung von Lebensmitteln und Versorgungsgütern

Neben Produktion und Transport können private Unternehmen Behörden auch bei der Verteilung von lebensnotwendigen Gütern unterstützen. Hier ist konkret eine Unterstützung durch den Lebensmitteleinzelhandel mit seinem engmaschigen Filialnetz denkbar. So könnte beispielsweise eine separate „Notfallkasse“ aktiviert werden, über die Hilfsgüter ausgegeben und vom Warenwirtschaftssystem erfasst werden. Neben der leichten Erreichbarkeit für die Bevölkerung, da diese die Güter über die gewohnten Strukturen erhält, hätte diese Prozedur auch den zusätzlichen Vorteil für den Katastrophenschutz, dass eine möglichst hohe Transparenz und Nachvollziehbarkeit gewährleistet werden kann.

Die genannten Bereiche bieten erste Ansatzpunkte dafür, wie sich die Marktkompetenz und Routine der auf „Versorgung im Normalfall“ optimierten privaten Wirtschaft mit den Fähigkeiten der auf extreme Lagen spezialisierten Zivilschutzbehörden bündeln lassen. Das übergeordnete Ziel einer solchen Kooperation bleibt dabei stets, die Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Gütern sicherzustellen.  

Autoren: Florian Diehlmann (KIT-IIP), Markus Lüttenberg (KIT-IIP), Prof. Dr. Frank Schultmann (KIT-IIP), Kathleen Michalk (TU Dresden), PD Dr. Athanasios Gromitsaris (TU Dresden), Prof. Dr. Martin Schulte (TU Dresden), Alexander Zienau (4flow AG), Eric Breitbarth (4flow AG), Wendelin Groß (4flow AG)

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