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Schneller, besser, frecher

Plagiate aus der Volksrepublik China sind schon seit Jahrzehnten ein ernstes Thema. Doch zum Positiven gewendet hat sich in all dieser Zeit nichts. Im Gegenteil: die Raubkopierer sind schneller, besser, frecher und um ein Vielfaches gefährlicher geworden. Den Schaden für die deutsche Industrie beziffert die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young auf 50 Milliarden Euro.

Plagiate schädigen die deutsche Industrie jährlich um 50 Milliarden Euro.
Plagiate schädigen die deutsche Industrie jährlich um 50 Milliarden Euro.

Es ist schon zu einer Art eingeübtem Ritual geworden: Immer wenn deutsche Regierungs-delegationen ins Reich der Mitte reisen, wird mit ernsten Mienen das Thema Produkt- und Markenpiraterie angesprochen. Und stets geloben die chinesischen Gesprächspartner umfassende Abhilfe. Tatsächlich aber passiert, abgesehen von ein paar Alibiaktionen, so gut wie nichts.

Plagiate überschwemmen den Markt

Trotz vollmundiger Versprechen wird der deutsche Markt mit ständig wachsenden Stückzahlen von Plagiaten aus der Volksrepublik China regelrecht überschwemmt. Peter Gretenkord, Presse- und Rechtsreferent des Aktionskreises gegen Produkt- und Markenpiraterie (APM), nennt Zahlen: Betrug die Anzahl der Aufgriffe gefälschter Produkte an den deutschen Grenzen 2013 noch rund 25.000, mussten im Jahr 2014 45.700 solcher Beschlagnahmemaßnahmen realisiert werden. Dabei wurden gegenüber 2013 (3.926.888 Artikel) fast zwei Millionen mehr Artikel (5.926.777 Artikel) konfisziert. Körperpflegeprodukte (26,65 Prozent), Kleidung (21,75) und Spielzeug (17,86) machten den Bärenanteil aus.

Doch das ist nur die Spitze des Eisberges. Denn die durch Plagiate verursachten Schäden ziehen sich durch sämtliche Industriezweige. Es gibt vereinzelt Unternehmen, die mehr als 50 Prozent Einbußen durch Fälschung ihrer Produkte erleiden. Besonders hart getroffen ist nach wie vor der deutsche Maschinen- und Anlagenbau.

Fatale Auswirkungen

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Für unser Land sind die Fälscheraktivitäten in mehrfachem Sinne fatal: „Geistiges Eigentum ist einer der wichtigsten Antriebsmotoren des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Innovationskraft, Erfindergeist, Forschung, Entwicklung und mustergültiges Design ermöglichen es uns, am Weltmarkt weiterhin eine Spitzenposition einzunehmen“, sagt Dr. Rüdiger Stihl, Ehrenvorsitzender des APM. Neben der materiellen Schädigung droht so über kurz oder lang ein Abkoppeln von der ökonomischen Weltspitze. Von den Negativeffekten auf Arbeitsplätze und Steueraufkommen gar nicht zu reden.

Im Laufe der Jahre sind die Produktpiraten immer effektiver und schneller geworden. Begünstigt durch die Rolle als verlängerte Werkbank des Westens und eine beispiellose Wirtschaftsspionage hat China einen gewaltigen technologischen „Sprung nach vorn“ gemacht. Dauerte es früher geraume Zeit, Neuentwicklungen zu kopieren, geschieht dies jetzt in rasantem Tempo und in erstaunlicher Qualität. So können die Falsifikate bereits in einer Phase auf den Markt geworfen werden, in der sich Forschung, Entwicklung und Markteinführungskosten noch längst nicht gerechnet haben.

Ein relativ neuer Trend ist das Fälschen kompletter Verkaufseinrichtungen. Der Chef der Drogeriemarktkette „dm“, Erich Harsch, fiel aus allen Wolken, als er von einer Filiale in der Stadt Shenyang im Nordosten Chinas erfuhr. Selbst der wortgetreu in Deutsch gehaltene Werbeslogan „Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein“ fehlte nicht.

Hintersinn des Fakes: Chinesische Mütter machen einen großen Bogen um einheimische Babynahrung und Milchpulver, weil sie als verseucht gelten. Deshalb deckten sich viele chinesische Deutschlandreisende in Drogeriemärkten wie „dm“ mit hiesigen Produkten ein. „Made in Germany“ erhielt auch in dieser Beziehung einen guten Ruf. Ein Effekt, den die Kopierer für ihre eigenen Zwecke nutzen wollten.

Neuer Trend

Komplette Filialen zu fälschen, kommt offenbar in Mode. Schon vor Jahren wurde mitten in Peking die Niederlassung eines deutschen Automobilkonzerns eröffnet, von der die deutsche Konzernspitze nicht das Geringste wusste. Ihr Zweck: Produktfälschungen problemlos zu verkaufen, denn wer vermutet schon chinesische Plagiate in einer „original“ deutschen Filiale?

Auch andere Unternehmen müssen mit Nachahmungen leben. So fiel Ende August 2015 in Shenzhen (nahe Hongkong) ein Finanzinstitut auf, das sich „Goldman Sachs Financial Leasing Co.“ nennt und auch das typische Logo verwendet, doch mit der USInvestmentbank nicht das Geringste zu tun hat. Die von AFP zitierte Aussage einer Mitarbeiterin der falschen „Goldman-Sachs-Filiale“ verwundert: Zugegeben, der Name klinge ähnlich, aber das sei keine Absicht.

Ikea war chinesischen „Kujaus“ gleichfalls eine Kopie wert. Im südwestchinesischen Kunming wurde bereits 2011 ein wirklich „unmögliches“, weil komplett gefälschtes Möbelhaus entdeckt. Gleichfalls 2011 erfuhr der US-Konzern Apple von fünf gefakten Läden in Kunming. Übrigens: Drei dieser Läden gibt es noch, allein die Apple-Logos mussten entfernt werden. Die beiden anderen Geschäfte wurden nur deshalb geschlossen, weil deren Betreiber keine gültige Lizenz besaßen - sonst wären sie wohl heute noch am Markt. Rechtliche Konsequenzen nach „Peking-Art“.

Immer unverfrorener wird auch mit ähnlichen Namen operiert. Ein Beispiel: Die gefakten Apple-Läden nannten sich „Apple Stoer“ statt Store. Auch gibt es in chinesischen Metropolen Bratstationen mit dem goldenen M, die sich aber McDouald nennen. Kopien einer US-amerikanischen Kaffeeausschank- Kette firmieren als Buckstar. iPhones werden bei annähernd identischem Design in China als „aPhone“ angeboten. Und auch chinesische Marken-Smartphones sehen verdächtig nach Anleihe aus.

Aktiver Geheimdienst

Parallel dazu floriert das dunkle ‚Geschäftʼ der Wirtschaftsspionage. Um an geschützte Informationen deutscher Unternehmen zu kommen, hat die Volksrepublik China einen wohl weltweit einzigartigen Spionageapparat aufgebaut. Er funktioniert nach dem pfiffigen Prinzip „Agent on demand“. Neben hauptamtlichen nachrichtendienstlichen Mitarbeitern, die gezielt nach Deutschland geschickt werden, gibt es Legionen von meist studentischen Perspektivkandidaten, die erst aktiviert werden, wenn sie Zugang zu interessierenden Unternehmen oder Forschungseinrichtungen erhalten. So lange das nicht der Fall ist, ahnen sie vielfach noch nicht einmal, dass die Geheimdienste ihres Staates ein wachsames Auge auf sie geworfen haben.

Über das Leben ihrer Landsleute sind die chinesischen Dienste auch ohne den klassischen Einsatz von Agentenführern bestens informiert. Wer wo ein Praktikum macht, wer wann als studentische Hilfskraft, Werkstudent oder Gastwissenschaftler tätig wird, das erfahren die Geheimdienstler von Vertrauensleuten in den zahlreichen chinesischen Kultur- und Studentenvereinigungen. In jeder dieser Vereinigungen ist nach zuverlässigen Angaben mindestens ein Informant platziert. Darüber hinaus finden Abschöpfungsgespräche in den Botschaften und Konsulaten statt, in denen sich die in Deutschland lebenden Chinesen regelmäßig einfinden müssen. Sicherheitsexperten sprechen von einen „engmaschigen Netz“, das über die chinesische Auslandsgemeinde gespannt ist.

Nach sicheren Angaben können die chinesischen Geheimdienstler auf ein immenses Reservoir an „Agenten on demand“ zurückgreifen. Rund 30.000 der rund 94.000 in Deutschland lebenden Chinesen, darunter zirka 26.000 Studenten, kommen nach internen Einschätzungen theoretisch für einen nachrichtendienstlichen Einsatz in Frage. Werden Kandidaten von Geheimdienstlern angesprochen, haben sie praktisch keine Möglichkeit, sich einer Mitarbeit zu entziehen. Es ist bekannt, dass es Chinesen, die sich einer Spionagetätigkeit verweigern, bei ihrer Rückkehr in ihr Heimatland sehr schwer haben, um es vorsichtig auszudrücken. Entscheiden sie sich aber dafür, in Deutschland zu bleiben, besteht die Gefahr, dass ihre Verwandten Repressalien ausgesetzt werden.

Deshalb sagen viele Chinesen Ja. Vor allem, weil ihnen vorgaukelt wird, dass es ja nur um einen einzigen Auftrag ginge. Das ist natürlich eine glatte Lüge, denn eine „Quelle im Objekt“ lässt kein Geheimdienst totalitärer Prägung los, solange sie sprudelt. Ein Teufelskreis.

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