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Öffentliche Sicherheit 14. November 2019

Risk Management für Supply Chain ist Chefsache

Wie kann man in stürmischen Zeiten die Supply Chain sicher gestalten? Antworten gibt Michael Jahn-Kozma von der Risk Management Association e.V.
Containerschiff
Containerschiff

Die globalen Handelsbeziehungen gestalten sich derzeit schwierig: Michael Jahn-Kozma, Mitglied des Vorstands der Risk Management Association e.V., gibt im Interivew mit PROTECTOR Antworten auf die Fragen, wie eine Supply Chain abgesichert werden kann und welche Rolle das Risk Management dabei spielt.

Welche Herausforderungen warten auf Unternehmen in diesen unruhigen und zugleich instabilen Zeiten?

Michael Jahn-Kozma: Wir befinden uns in einer Zeitenwende, in der bis dato gültige Handelsvereinbarungen nicht mehr bestehen oder von heute auf morgen aufgekündigt werden. Unternehmen müssen sich auf diese wirtschaftspolitischen Fliehkräfte einstellen und ihren Weg finden, um in diesen unruhigen Zeiten zu bestehen. Im Grunde vergeht ja kaum ein Tag ohne Meldungen zu den drei großen Ländern – USA, China und Russland – und deren Ringen um weltweiten Einfluss.

Den Beteiligten geht es darum, ihre wirtschaftliche und militärische Position im globalen Maßstab weiter auszubauen und vor allem zu festigen. Und auch innerhalb der EU gewinnen nationalistische und protektionistische Haltungen an Bedeutung – von Großbritannien über Italien bis nach Ungarn. Kurzum, die geopolitische Welt hat sich verändert von einer bipolaren Welt alten Zuges hin zu einer multipolaren Unordnung in der sich Staaten und Unternehmen schneller auf wechselnde Bündnisse sowie Marktgegebenheiten einstellen müssen.

„Hilfreich ist ein Supply Chain Risk Mangement, um Planungssicherheit zu gewinnen.“

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Welche Unternehmen sehen Sie besonders gefährdet?

Michael Jahn-Kozma: Vor allem produzierende Unternehmen und Zulieferer sind von den weltpolitischen Schwankungen betroffen. Gut beraten ist, wer in diesen volatilen Zeiten flexibel auf sich verändernde Märkte und deren Rahmenbedingungen reagieren kann und frühzeitig die richtigen Weichen stellt. Hilfreich ist ein Supply Chain Risk Management, um Planungs- und Handlungssicherheit zu gewinnen.

Welche Krisen haben Sie im Blick und warum?

Michael Jahn-Kozma: Wenn die US-Administration Sanktionen gegen den Iran oder China mit Strafzöllen belegt, so ist dies längst kein bilateraler Konflikt mehr. Denn im Zuge der weltweiten Verflechtung und Vernetzung im Finanz-, Waren- und Rohstoffaustausch können diese scheinbar zwischenstaatlichen Aggressionen Zulieferketten sprengen. Wer auf Öl aus dem Iran angewiesen ist oder chinesische High-Tech-Produkte für die eigene Produktion benötigt, hat schnell das Nachsehen. Sprich, im schlimmsten Fall droht ein kompletter Produktionsstopp.

Dabei müssen es nicht immer die großen weltpolitischen Spannungen sein, die zu Zulieferproblemen führen. Deutlich wurde das im Jahr 2011 als der isländische Vulkan Eyjafjallajökull ausbrach und zu massiven Flugausfällen führte, was wiederum Teile der weltweiten Industrie über Wochen behinderte.

Dass der Fehler im Detail stecken kann, das zeigt sich in den Billigfertigungen der Armenhäuser dieser Welt. Steht eine Bekleidungsfabrik in Asien in Flammen, so kommt in Europa die Weiterverarbeitung oder Auslieferung ganzer Bekleidungsserien ins Stocken. Hinzu kommen weitere Risiken, wie LKW-Streiks, Demonstrationen oder die Insolvenz eines (Sub-)Lieferanten. Von daher brauchen Unternehmen, die zwingend von funktionierenden Lieferketten abhängig sind, neue Wege und Lösungen im Risikomanagement.

„Unternehmen heute vor einer Vielzahl an Herausforderungen.“

Wie können sie Unternehmen auf mögliche Ausfallrisiken vorbereiten?

Michael Jahn-Kozma: Wie umrissen, stehen Unternehmen heute vor einer Vielzahl an Herausforderungen in puncto möglicher Ausfallrisiken von Lieferketten. Angefangen bei geopolitischen Risiken, wie Protektionismus, Sanktionen und Kriege, über Finanz- und Compliance-Risiken bis zu Cybergefahren und Naturkatastrophen. Dementsprechend groß ist der Radius verantwortlicher Personen und Bereiche, die in diesem Umfeld involviert sein müssen. Diese reichen von der Führungsebene, dem Einkauf und der Logistik sowie dem Risikomanagement, der Informationssicherheit bis zu Compliance-Experten und dem Business Continuity Management.

Alle unter einen Hut zu bekommen, ist Führungs- und Risikomanagementaufgabe zugleich. Denn Ziel muss es sein, zu einer organisationsweiten sowie auf das jeweilige Unternehmen abgestimmten Vorgehensweise im kompletten Zulieferermanagement zu gelangen.

Keine leichte Aufgabe für Organisationen, oder?

Michael Jahn-Kozma: Das stimmt. Vielfach scheitert das Supply Chain Management bereits an dieser Einstiegshürde. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von einer mangelnden Kommunikation zwischen den Abteilungen und über den initiierten Risikomanagementprozess. Hinzu kommt eine fehlende Unternehmenskultur im offenen Umgang mit Risiken und Chancen. Daraus resultiert eine Art „Wagenburgmentalität“, in der sich Abteilungen abschotten, Wissen und Know-how nicht weitergeben und auf Insellösungen setzen. Gepaart mit dem Glauben, die jeweilige Software wird den notwendigen Überblick ermöglichen, werden potenzielle Risiken in der Zulieferkette oft in einer Art Häkchenmentalität behandelt und abgearbeitet.

An dieser sensiblen Nahtstelle zwischen Unternehmensleitung, den Abteilungen, Zulieferern und Sublieferanten, muss das Risikomanagement stehen. Mitteln und Vermitteln, Zusammenführen und Schwächen im Verbund mit allen Beteiligten erkennen und benennen sowie Handlungsoptionen aufzeigen, das ist die primäre Aufgabe des Risikomanagements.

Ein Supply Chain Risk Management muss in der Gesamtorganisation fest verankert und die handelnden Personen mit dem dafür notwendigen Mandat und Wissen ausgestattet sein. Denn das Risikomanagement kann nur so gut sein, wie die Personen, die es ausfüllen müssen. Von daher trifft der alte Spruch nach wie vor zu: (Supply Chain) Risk Management ist Chefsache.

„Unternehmen müssen neue Methoden in ihr Supply Chain Risk Management integrieren.“

Wie lassen sich mögliche Supply-Chain-Risiken reduzieren?

Michael Jahn-Kozma: Unternehmen muss es darum gehen, neue Methoden in ihr Supply Chain Risk Management zu integrieren. Dabei spielen neue Analyseverfahren und Auswertungen im Big-Data-Umfeld eine wichtige Rolle, um beispielsweise mithilfe von Szenarien zu validen Aussagen über die Risikolage in einzelnen Ländern, Regionen oder weltweit zu gelangen. Damit lassen sich Komplexitäten in der kompletten Zulieferkette reduzieren und wertvolle Informationen für das eigene Handeln gewinnen.

Dies setzt aber Experten voraus, die in der Lange sind, Daten zu überprüfen und vor allem die richtigen Schlüsse für das weitere Vorgehen zu ziehen. Denn die größte und beste Datengrundlage wird nutzlos, wenn Unternehmen intern nicht in der Lage sind, diese zu interpretieren und auf Kausalität zu prüfen. Doch dies alleine genügt nicht. Unternehmen müssen in unseren sensiblen Zeiten regelmäßig die eigene Zulieferkette und die Fertigungsstrategie auf den Prüfstand stellen.

Dabei spielen unter anderem Fragen nach den Fertigungsbedingungen in Offshore-Ländern eine Rolle, aber auch Just-in-Time-Lieferungen sowie Produktionsstandorte, die in Erdbebenregionen liegen oder durch Terror und Krieg bedroht sind. 

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