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Videosicherheit 7. November 2022

Praxistests in Tunneln: Für die Sicherheit unerlässlich

Straßentunnel stellen an die Sicherheit der Nutzer eine besondere Herausforderung dar. Praktische Übungen und Tests sind eine wichtige Hilfe, um Mängel rechtzeitig zu entdecken.

Ein Spezialunternehmen aus Leipzig hat den Rauchversuch mit einem Brandsimulationsfahrzeug durchgeführt.
Ein Spezialunternehmen aus Leipzig hat den Rauchversuch mit einem Brandsimulationsfahrzeug durchgeführt.

Über 270 Straßentunnel mit einer Gesamtröhrenlänge von rund 270 km gibt es mit Stand Ende 2017 im Zuge von Bundesfernstraßen in Deutschland unter Verantwortung des Bundes. Die meisten Tunnel in Bundesfernstraßen gibt es mit über 80 Tunneln in Baden-Württemberg, was über 30 % des Tunnelbestandes ausmacht. Der gesamte Straßentunnelbestand einschließlich der Tunnel in der Baulast der Länder oder Kommunen im Zuge von Land-, Kreis- und Stadtstraßen beträgt etwa 420 Stück mit einer Gesamtröhrenlänge von über 350 km. Über 75 aller Tunnel sind dabei über einen Kilometer lang.

Die ältesten mit über 1.000 m Länge stammen aus den 70er Jahren, die meisten befinden sich in Baden-Württemberg.  Je nachdem, wann die einzelnen Tunnel entstanden sind, galten zu ihrem Baubeginn unterschiedliche Richtlinien und Vorgaben. Die schweren Unglücke um die Jahrtausendwende (Montblanc-Tunnel 1999, 39 Tote und im selben Jahr im Tauerntunnel in Österreich mit 12 Toten) haben damals das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) veranlasst, generell die Sicherheit in deutschen Straßentunneln zu überprüfen. Die neuen Sicherheitsmaßnahmen entsprechen den Richtlinien für die Ausstattung und den Betrieb von Straßentunneln (RABT) 2006 und gehen in vielen Punkten über die dort genannten Mindestanforderungen hinaus. Im Zuge der Prüfung sind in einem umfassenden Programm die bestehenden Tunnel im Zuge von Bundesfernstraßen an die neuen Regelungen angepasst worden, was unter anderem auch im  Zuge der Instandhaltung Anpassungen an den Stand der Technik sowie kontinuierliche Verbesserungen der Sicherheit bedeutet.

Vorgaben für die Tunnelsicherheit und das Einschätzen von Risiken

Die RABT stellt detaillierte Anforderungen an den Bau und die Sicherheit von Straßentunneln in Europa. Ziel ist es gewesen, ein möglichst einheitliches Schutzniveau zu erzielen. Mit der wichtigste Aspekt ist die Risikobeurteilung von Tunneln ab 400 m Länge anhand der die Sicherheit eines Tunnelbauwerkes beeinflussenden Parameter. Auch bei bestehenden Tunneln ist das Verfahren anzuwenden, um den Nachweis eines gleichwertigen oder höheren Sicherheitsniveaus mit gegebenenfalls kompensatorischen Maßnahmen nachzuweisen. Neue und innovative Technologien wie spezielle Löschsysteme für Tunnel können hier einen wichtigen Beitrag leisten. Ebenso sieht die RABT für den wichtigsten Teil des anlagentechnischen Brandschutzes – Die Entlüftung – eine ergänzende Risikoanalyse vor. Auch das Risiko durch Gefahrguttransporte ist zu berücksichtigen.

In die Untersuchung sind Schadenszenarien, empirische Abschätzungen sowie statistisch erhobene Unfalldaten einzubeziehen. Eine detaillierte Analyse kann etwa verschiedene Szenarien enthalten, die nach Ereigniskategorie und Schweregrad aufgegliedert ist. Zu berücksichtigen sind die zahlreichen Unfallmöglichkeiten in einem Tunnel. Beispielsweise Kollisionen von PKWS, LKWs oder Bussen ohne Brand, untereinander oder mit der Tunnelwand, unterschieden nach Frontal und/oder leicht und schwer. Dasselbe wird angenommen mit einem Brandausbruch und leichter oder schwerer Rauchausbreitung sowie dem Übergreifen des Feuers auf andere Fahrzeuge. Und schließlich gibt es die Szenarien, die Ereignisse mit Gefahrgut beinhalten.

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Die Vollsperrung des Fahrlachtunnels bleibt bis zur Behebung der Mängel bestehen.
Die Vollsperrung des Fahrlachtunnels bleibt bis zur Behebung der Mängel bestehen.

Tests und Studien als wichtiger Erkenntnisgewinn

In der Vergangenheit hat es immer wieder Studien und praktische Versuche gegeben, die Auswirkungen von PKW sowie LKW mit und ohne Gefahrgut zu erforschen. Diese Erkenntnisse sind nicht nur für die Konstruktion von Tunneln, sondern auch für den Brandschutz und die Angriffstaktiken der Feuerwehr von großer Bedeutung (Kasten). Lässt sich etwa ein Brand auf ein Fahrzeug begrenzen, das den Brand verursacht hat, unterscheidet sich das Vorgehen der Feuerwehr in der Regel nicht von einem Brand, der außerhalb geschieht. Wird der Brand früh genug erkannt, ist dieser sogar mit tunneleigenen Brandbekämpfungsmitteln wie Feuerlöscher durch die Personen selbst möglich. Der relevante Faktor, wie schwer ein Brand ausfällt, ist die Wärmefreisetzungsrate (heat release rate - HRR) der durch Feuer erzeugten Wärme. Je höher die HRR, desto höher sind die Entflammbarkeit eines Stoffes oder Materials und die sich daraus ergebende Brandgefahr. Die Rate für PKW beträgt etwa zwischen 1,5 und acht Megawatt (MV). Bei zwei PKW steigt die HRR bereits auf bis zu zehn MV. Für LKW lag der Wert lange Zeit bei 20 MW, gilt aber als zu niedrig, da bei Bränden in Tunneln mit LKW-Beteiligung deutlich höhere Werte ermittelt worden sind (bis zu 400 MW bei mindestens zehn beteiligten LKW).

„Bei PKWs ist ferner zu berücksichtigen, dass durch immer neuere Verbundstoffe und Materialien die HRR in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen ist“, erklärt Mario König, Abteilungsleiter Vorbeugender Brand- und Gefahrenschutz der Stadt Mannheim.  Die HRR zeigt auch, in welche Entfernung von der Brandquelle weitere Brände aufgrund der Hitzeentwicklung entstehen können. Tests zufolge, kann die Hitzeentwicklung eines LKWs, der mit Polystyrolbecher in Pappkartons auf Holzpaletten beladen ist und im Vollbrand steht, nach etwa 7,5 Minuten noch Polymere in einer Entfernung von rund 57 m verbrennen. Damit besteht also auch ein hohes Risiko des Brandübersprungs, sollten sich brennbare Objekte wie andere Fahrzeuge, in der Nähe des Brandherdes befinden.

Regelmäßige Überprüfungen – im Bestand wie im Neubau

Neben den Studien zum Brandverhalten von Fahrzeugen in Tunneln sind auch Übungen und Tests des baulichen, anlagentechnischen und organisatorischen Brandschutzes wichtig. Gerade bei Tunneln,  die vor der RABT entstanden sind, lassen sich so etwaige Sicherheitsmängel herausfinden – wie das Beispiel Fahrlachtunnel in Mannheim zeigt. Der 1994 fertiggestellte Tunnel ist 2021 nach einer Prüfung vorerst gesperrt worden, da diese diverse Mängel aufgezeigt hatte. Ein Brandrauchversuch sollte Klarheit bringen, welche Maßnahmen für eine möglichst baldige Öffnung durchzuführen sind. Mit einem präpariertem Autowrack und Nebelmaschinen ist das Fahrzeug an verschiedenen Stellen im Tunnel abgestellt worden, um die Rauchausbreitung und die Leistung der Entlüftungsturbinen entlang der Tunnellänge zu prüfen. Die Entlüftung ist nicht nur für den Rauch, sondern auch für die Abfuhr der Wärme kritisch, um die heißen Rauchgase zu reduzieren. „Die Ergebnisse des Brandversuchs haben leider die Prüfmängel bestätigt. Derzeit ist eine effektive automatisierte Entrauchung der Tunnelröhre nicht möglich, die Kapazität der Ventilatoren reicht nicht aus“, erklärt König.

Der Tunnel muss also erst brandschutztechnisch ertüchtigt werden, um wieder in Betrieb genommen werden zu können. Solche Tests sind aber nicht nur an älteren Bestandstunneln notwendig, auch bei erst kürzlich fertiggestellten Tunneln zeigen solche Versuche, ob die Technik hält, was sie verspricht. Der neue, über 1.300 m lange neue Tunnel in der Karlsruher Kriegsstraße ist ebenfalls einem Brandversuch unterzogen worden. Simuliert wurden zwei Szenarien: Ein Kleinwagenbrand mit Hilfe von Stahlwannen mit jeweils fünf Liter Benzin und der Abbrand einer Autoattrappe, um einen Brand während eines Staus zu simulieren. Insbesondere die Brandfrüherkennung und die Entrauchung standen im Fokus der Versuche. Die ersten Tests haben ergeben, dass die automatischen Systeme gut funktionieren. Die Sicherheitstechnik erkennt selbstständig das Feuer, alarmiert die Feuerwehr, startet die Notbeleuchtung und die passende Belüftung - je nach Rauchentwicklung und Verkehrssituation.

Der Tunnel an der B 535 bei Schwetzingen ist mit Lautsprechern für Durchsagen, Videoüberwachung und Schranken ausgestattet.
Der Tunnel an der B 535 bei Schwetzingen ist mit Lautsprechern für Durchsagen, Videoüberwachung und Schranken ausgestattet.
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Sicherheitssysteme für Tunnel-Forschungsanlage
Das Zentrum am Berg (ZaB), eine unterirdische Tunnel-Forschungsanlage, hat von Honeywell umfassende Brandschutz- sowie Sicherheitssysteme erhalten.

Schutzziele frühzeitig erkennen

Brandereignisse in Tunneln können die Feuerwehr und Rettungskräfte mitunter vor große Herausforderungen stellen. Umso wichtiger ist es, dass baulich und anlagentechnisch seitens der Verantwortlichen alles getan ist, um die Risiken für schwerwiegende oder katastrophale Ereignisse zu minimieren. Die Beispiele Mannheim und Karlsruhe zeigen, dass Simulationen unabhängig vom Alter des Tunnels sinnvoll sind, um die Technik  im Zusammenspiel mit dem organisatorischen Brandschutz zu überprüfen. Es ist davon auszugehen, dass die RABT auch weiterhin fortentwickelt wird, basierend auf neuen Erkenntnissen aus Studien, Tests oder schlimmstenfalls, Unglücken. Die derzeitigen Richtlinien der RABT dienen neben der Vermeidung von Ereignissen vor allem der verbesserten Selbstrettung im Tunnel befindlicher Personen.  Zentrale Elemente hierfür sind neben einer Brandmeldeanlage zur genauen Detektierung eines Ereignisses  die ausreichende Be- und Entlüftung im Brandfall, Notfallbeleuchtung, Nothalte- und Pannenbuchten sowie Notgehwege samt Fluchtwegen und Notausgängen aus dem Tunnel oder bei Tunneln mit zwei Röhren, in den Nachbartunnel.

Ergänzt werden können diese Maßnahmen bei Tunneln mit Anbindung an eine Leitstelle durch eine Videoüberwachung und eine Verkehrsregelung, die auch die Sperrung der Zufahrt mittels Schranken beinhalten kann. Auch innovative technische Lösungen wie Tunnellöschsysteme und einfach zu bedienende Anlagen und Mittel zur Erstbekämpfung können helfen, schlimmere Szenarien zu verhindern. All diese Maßnahmen sind dafür gedacht, Menschen rechtzeitig aus dem Gefahrenbereich zu bringen. Damit dies gelingt, sollten Verantwortliche für Tunnel auf kommunaler Ebene die Möglichkeiten zur Optimierung der in der RABT dargestellten Schutzziele gerade im Bestand frühzeitig angehen.

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