Vor einem Jahr befragte PROTECTOR Rainer von zur Mühlen, Gründer der Von zur Mühlen‘sche GmbH (VZM), zu Krisenmanagement im Allgemeinen und zur Coronakrise im Besonderen. Wie sieht es hier nach einem Jahr aus?
Unternehmen sollten grundsätzlich auf Krisen vorbereitet sein, das war eine Ihrer Kernaussagen im vergangenen Jahr. Was ist daraus geworden?
Rainer von zur Mühlen: Erstaunlich viel. Sowohl das produzierende Gewerbe, aber auch Planer und Berater, teilweise auch der Handel, haben sich erstaunlich schnell umorientiert und Strategien entworfen, mit der Pandemie fertig zu werden. Auch einige Beherbergungsbetriebe haben Wege gefunden, zumindest Deckungsbeiträge zu erwirtschaften, die das Überleben möglicherweise sichern. Sandro Heinemann, ein Bonner Unternehmer der Veranstaltungsbranche, hat statt Konzertveranstaltungen und anderer Events Coronatestzentren gegründet. Andere organisieren Autokinos oder ähnliches. Hotels bieten ihre Zimmer als Homeoffices an, wenn die Mitarbeiter nicht mehr in ihre Firmen können und sie zu Hause keine ruhige Büroecke haben, um ungestört zu arbeiten.
Der Einzelhandel macht Online-Geschäfte, betreut seine Kunden mit Online-Angeboten, liefert nach Hause. Und die Solidarität der Kunden ist erstaunlich. Der Handel hat es aber schwer, denn er wird zusätzlich von Ebay und Amazon erdrückt. Am schwersten hat es die Gastronomie, und da viele Vermieter kurzfristig denken und auf Mieteinnahmen nicht verzichten wollen, die Mieten auf keinen Fall senken, wird es Pleitewellen in einem Ausmaß geben, wie wir sie noch nie gekannt haben. Am schlimmsten scheint sich die katholische Kirche da hervorzutun. Sie ist vor allem in rheinischen Großstädten oft größter Immobilienbesitzer und kennt da keine Moral.
Krisenmanagement hilfreich in der Coronakrise
Wir haben uns vor einem Jahr darüber unterhalten, wie vorbereitet Unternehmen auf etwas wie die Coronakrise waren. Viele Ihrer Kunden hatten bereits vorher Krisenmanagement-Konzepte entwickelt. Sind die gut durch die Krise gekommen?
Rainer von zur Mühlen: Eindeutig Ja! Selbst wir als kleine 40-Mann-Beratung. Wir hatten, ohne an eine Pandemie zu denken, Homeoffice-Projekte aufgesetzt, die Anforderungen an Heimarbeitsplätze auch unter Sicherheitsaspekten definiert und die Mitarbeiter mit firmeneigener Hardware dafür ausgestattet, damit keine Kontamination von Privat- und Firmenhardware entsteht. Das konnten wir alles innerhalb von wenigen Tagen umsetzen. Nur wenige Arbeitsplätze waren noch nicht vorgesehen, aber sofort nachgerüstet. Eine Frage von Tagen. Aber nicht nur wir. Ich bin über die Reagibilität erstaunt und glücklich.
Einige Großunternehmen aus unserem Kundenkreis haben auch global reagiert und die Lieferketten überprüft und teilweise recht kurzfristig einseitige Abhängigkeiten abzubauen begonnen. Das wird aber im Fertigungsbereich ein längerer Prozess und hat zunächst mit Logistik und Lagerhaltung wichtiger Vorprodukte begonnen. Entscheidend ist ein erkennbares Umdenken. Das wird übrigens noch durch die Suezkanal-Sperrung befeuert werden.
Sie erwähnen Großunternehmen; wie sieht es aber mit eher kleinen, mittelständischen Unternehmen aus? Diese haben nicht die Ressourcen wie ein Großkonzern …
Rainer von zur Mühlen: Das ist richtig. Aber im Mittelstand zeigt sich, was Kreativität heißt. Ich bin da auch wesentlich optimistischer, obgleich ich für dieses Segment der Wirtschaft auch schon vor einem Jahr Optimismus zeigte.
Wie sieht das in der Praxis aus? „Business as usual“ auch in der Krise ist ja einer Ihrer Leitsätze. Wie hat der sich in der Pandemie anwenden lassen?
Rainer von zur Mühlen: Genau das meine ich, beim Mittelstand beobachten zu können. Zulieferer, die sonst Kantinen belieferten, haben zum Teil erfolgreich mit Sonderangeboten auf Fertiggerichte umgestellt und beliefern den Einzelhandel. Einige haben die Tankstellen als Zielgruppe aufgetan, Fertiggerichte frisch auszuliefern. Sicher kein Ersatz für die großen Umsätze, aber sie kommen mit Kurzarbeit hinsichtlich der Personalkosten recht gut zurecht. Hoffentlich auch nachhaltig. Aber in einigen Branchensegmenten wird das natürlich nicht ausreichen, und es wird noch viele Insolvenzen geben.
Probleme der Frachtschifffahrt
Sie erwähnten eben den Suezkanal. Eines der gravierendsten Probleme dieser Tage und Wochen war und ist die Unterbrechung der Lieferketten. Wie hat man hier inzwischen reagiert?
Rainer von zur Mühlen: Der Frachter im Suezkanal wird den Handel mit Ostasien nachhaltig beeinflussen. Den meisten ist nicht bekannt, dass die Ever Given hinsichtlich Größe und Konstruktion, obgleich sie ein ganz junges Schiff ist und erst im dritten Jahr fährt, schon einen durchaus ähnlichen Unfall hatte. Vor zwei Jahren rammte sie auf der Elbe die HDAG-Fähre „Finkenwerder“. Ergebnis: Totalschaden der Fähre und Zerstörung des Anlegers, an dem die Fähre lag. Grund war ein Sturm.
Diese Riesenpötte bieten dem Wind gewaltige Angriffsflächen. Zudem verfügt die Ever Given offensichtlich über zu wenig Power, mittels Bug- und Heckstrahlruder solchen Stürmen wie auch am Suezkanal Widerstand leisten zu können. Das führt zu einer unzureichenden Manövrierfähigkeit! Das gilt auch für viele Hochseefähren und Kreuzfahrtschiffe. Ich erinnere an die Frahm der Hurtigroute in der Antarktis – die vom Sturm auf einen Eisberg gedrückt wurde - und an die Seenot eines vergleichbaren Schiffes zwischen den Schären vor Norwegen vor ungefähr einem guten Jahr. Immer größer ist die falsche Entwicklung.
Die Ever Given soll den Zielhafen Rotterdam noch nicht erreicht haben. Wie lange kann so etwas denn noch dauern? 20.000 Container auf dem Schiff haben doch auch wichtige und terminlich bedeutsame Produkte an Bord?
Rainer von zur Mühlen: Sicher. Aber eine Prognose ist unmöglich. Die Banken, Gesellschafter, Versicherer und Abnehmer dürften heftig miteinander streiten. Das ist übrigens ein Problem, welches die meisten Business Continuity Manager vernachlässigen. Wir nennen es Wiederherstellungs- und Rückstandsaufholungszeit. Die Empfänger haben schlechte Karten, und die betroffenen Unternehmen dürften wohl kaum darauf vorbereitet sein, dass die Verzögerung Monate dauern kann. Folgerisiken eines vermeintlich kleinen Schadens sind im BCM einzuplanen. Als einmal in einem Frankfurter Rechenzentrum ein Industriestaubsauger verschwelte, entstand eine wochenlanger Streit zwischen Feuerversicherer und der Gesellschaft, die die Betriebsunterbrechung abfedern sollte. Die einen wollten eine Rauchgassanierung machen lassen (einige Wochen Betriebsunterbrechung), die anderen bestanden auf Neuanschaffung der Systeme (ca. acht Kalendertage für das Kerngeschäft). In der Zeit der ca. sechs Wochen verharzten die Rauchniederschläge auf der Elektronik so stark, dass sie nicht mehr saniert werden konnte - ohne Hammer und Meißel … BC-Manager unterschätzen das und lassen sich diesbezüglich nur selten beraten.
Haben Sie etwas über die Auswirkungen auf die Lieferketten in Erfahrung bringen können?
Rainer von zur Mühlen: Ja, ein Hamburger Großhändler hatte 15 Container auf dem Schiff. Eine vertragsgerechte Auslieferung war unmöglich. Mein letzter Stand ist, dass man verhandelte und auch die Versicherungsverträge prüfte. Da hilft dann auch kein Krisenmanagement, es sei denn man hat vorher eine helfende Strategie umgesetzt und versendet auf verteilten Schiffen. Das wird der Großhändler wohl künftig tun.
Übrigens: Der „Blitzkrieg“ Israels gegen den Rest der arabischen Welt hatte ja schon durch den damals versenkten Betonfrachter die Verwundbarkeit des Kanals nachgewiesen. Da hat man nichts daraus gelernt.
Die Pharmabranche war ja im vergangenen Jahr Ihrer Einschätzung nach nicht sehr „lernfähig“. Hat sich das geändert?
Rainer von zur Mühlen: Nein, nicht wirklich, zumindest noch nicht sichtbar im Ergebnis. Hier muss vermutlich die Unfähigkeit zu Lösungen durch Reglementierungen der Politik erzwungen werden. Und durch Initiativen, dass nicht ein Land wie China den alleinigen Zugriff auf bestimmte Rohstoffe bekommt.
Kommen wir zu einem ganz anderen Aspekt: Homeoffice hat in den letzten Monaten einen starken Schub bekommen. Sie haben im letzten Jahr allerdings die Sicherheitsauflagen angemahnt. Ist man dem nachgekommen?
Rainer von zur Mühlen: Nicht überall. Aber im Wesentlichen, zumindest ist man dabei. Aber eine gesetzliche Verankerung des Rechts auf Homeoffice halte ich für töricht. Unter dem Druck von Corona macht man überwiegend gute Erfahrungen. Ob dies aber Bestand hat, muss man abwarten. Ein Gesetzesanspruch würde Rechte zementieren, selbst wenn sie sich nicht bewähren. Tarifvertragliche Regelungen sind da besser.
Steigende Zahl von Cyberattacken
Leider hat die Zahl der Cyberattacken ebenfalls einen Schub bekommen … Wie haben die Unternehmen darauf reagiert?
Rainer von zur Mühlen: Überwiegend hilflos. Ich fürchte auch, dass die Tatsache, dass der Brand der OVH-Rechenzentren unter anderem Darknet-Plattformen von Hackern und Ransom-Erpressern sowie einigen Nachrichtendiensten mit Malwareaktivitäten betroffen hat, deren Aktivität nicht beeinflusst. Denn die verstehen genug von Datensicherung in anderen Umfeldern und werden ungestört weitermachen.
Kommen wir zur Kommunikation in der Krise, einem ganz wichtigen Faktor beim Krisenmanagement. Wie bewerten Sie denn die durch die Politik? Kommuniziert man dort richtig?
Rainer von zur Mühlen: Meines Erachtens wird die Politik zu viel gescholten. Klar macht sie unglaubliche Fehler. Aber wenn man die Kommunikationsfehler analysiert, dann stellt sich heraus, dass die Kommunikation gutwillig war, Hoffnung statt Resignation wecken sollte. Aber gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Man kann nicht eine Pressemitteilung an die Presse herausgeben, in der man die Öffnung der Impfungen für die nächste Gruppe avisiert, ohne dass die Impfzentren schon vorab informiert wurden und sich vorbereiten können.
Am schlimmsten ist das Hickhack zwischen den Ländern. Aber dafür kann die aktuelle Politik nichts. Das liegt am Grundgesetz, dem Föderalismus und natürlich auch an der Profilierungsneurotik vor der Wahl. Wenn der Ministerpräsident des größten Bundeslandes eine Idee umgesetzt sehen möchte, stellt man dem CDU-Vorsitzenden das Beinchen. Die Kleinkariertheit ist erschreckend und durch den Föderalismus noch schlimmer.
Wagen Sie erneut eine Prognose? Wie werden die deutsche Wirtschaft und die Gesellschaft in einem Jahr aussehen?
Rainer von zur Mühlen: Vor einem Jahr waren meine Prognosen, wie wir heute wissen, recht zutreffend. Ich hatte auch ab Herbst 2020 eine Aufholjagd der Wirtschaft erwartet. Dass wir konjunkturell keine Wunden lecken mussten, war Erfolg der beginnenden Aufholjagd. Sie wird sich, wenn sich die Impfungen schneller entwickeln, weiter fortsetzen. Und wenn heute über ein Minus von vielleicht 4 Prozent lamentiert wird, dann sind wir auf dem Niveau von 2019. Da ging es uns verdammt gut.
Schlimm ist es allerdings für die kleinen Unternehmen in Gastronomie und Tourismus.