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Öffentliche Sicherheit 11. Oktober 2021

Katastrophenschutz: Auf Hochwasser schlecht vorbereitet

Leider hat der Katastrophenschutz, Stichwort Hochwasserereignisse, seine Defizite, wie ein Experte im Top-Interview erläutert.

Die Ereignisse vom Ahrtal haben gezeigt, dass der Katastrophenschutz nicht ausreichend auf ein solches Hochwasser vorbereitet war.
Die Ereignisse vom Ahrtal haben gezeigt, dass der Katastrophenschutz nicht ausreichend auf ein solches Hochwasser vorbereitet war.

Die Krisenbilder von den jüngsten Hochwasserereignissen haben sich einmal mehr in das Bewusstsein vieler Menschen eingeprägt und Fragen nach dem Katastrophenschutz aufgeworfen. Und das Hochwasser ist leider kein Einzelfall in einer langen Reihe an Naturkatastrophen, die in den letzten Jahren an Intensität zugenommen haben. Und wie so oft hinken der Katastrophenschutz und damit verbundene organisatorische Abläufe dem Thema hinterher. Mehr noch: Herbert Saurugg, Experte für die Vorbereitung auf den Ausfall lebenswichtiger Infrastrukturen, stellt der Gesellschaft ein katastrophales Zeugnis aus. Denn diese sei nicht mehr auf Großschadenslagen vorbereitet. Ein Interview über Behördenversagen, eine verpönte Krisenvorsorge und das fehlende gesellschaftliche Bewusstsein.

Katastrophenschutz mit massiven Problemen

Die jüngsten Hochwasserereignisse in Teilen von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen haben einmal mehr die Verwundbarkeit der Menschen drastisch aufgezeigt. Wie beurteilen Sie das hiesige Krisen- und Katastrophenmanagement?

Herbert Saurugg: Ich kann das natürlich nur aus der Ferne beurteilen. Aber hier scheint vieles schiefgelaufen zu sein. Nicht erst in der Krise, sondern bereits deutlich davor. In der medialen Berichterstattung ging es bisher hauptsächlich um technische Probleme, ob die Alarmierung nun funktioniert hat oder nicht. Dass es hier massive Probleme gibt, wurde ja bereits 2020 im Rahmen des bundesweiten Warntages festgestellt. Der neuerliche Test wurde zudem kurz davor auf nächstes Jahr verschoben. Nun hat sich schmerzhaft in der Praxis bestätigt, sobald die Basis fehlt, kann auch auf höherer Ebene nichts funktionieren. Das gilt nicht nur für die technischen Warnsysteme, sondern noch viel mehr für die organisatorischen Abläufe. Wenn Alarmierungen nicht ausgelöst wurden, weil man die Bevölkerung nicht verunsichern wollte, dann deutet das auf ein massives Versagen der Verantwortlichen hin. Noch schlimmer ist, wenn die Bevölkerung weder mit den notwendigen Handlungsanweisungen versorgt wird noch ein entsprechendes Verhalten an den Tag legt. Wenn dann auch noch Hilfskräfte tagelang in Bereitschaftsräumen untätig warten müssen, ist wohl der Gipfel erreicht. Die Dimensionen wurden in jeder Hinsicht völlig unterschätzt. Wir sind als Gesellschaft offensichtlich nicht mehr auf Großschadenslagen vorbereitet. Zusammengefasst: Ein katastrophales Zeugnis für eine moderne Gesellschaft.

Ist aus Ihrer Sicht eine Vielzahl unterschiedlicher Warn-Apps zielführend, um die Bevölkerung im Ernstfall umfassend zu warnen?

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Herbert Saurugg: Darüber kann man lang und breit diskutieren. Das Problem liegt aber woanders. Wie bereits gesagt: Wenn die Bevölkerung nicht in der Lage ist, die Informationen auch zu verstehen und entsprechende Handlungen zu setzen, scheitert jede Warnung, egal über welchen Kanal sie kommt. Wir sind nicht mehr gewohnt, mit außergewöhnlichen Ereignissen umzugehen. Wir wiegen uns alle in eine große und gefährliche Scheinsicherheit und sehen die Verantwortung immer bei anderen. Diese wird dann von allen im Kreis geschoben. Niemand ist wirklich verantwortlich. Krisenvorsorge ist in Deutschland verpönt und wird häufig mit Randgruppenphänomenen gleichgesetzt. Stichwort: Prepper. Das Fatale ist, dass die Medien und die öffentliche Wahrnehmung nicht zwischen einer sinnvollen Vorsorge und einer kleinen Gruppe, die dieses Thema auch noch für andere Zwecke missbraucht, unterscheiden.

Bevor wir breiter über Warn-Apps diskutieren, müssen wir einmal die Basis herstellen: Die Selbstwirksamkeit und Eigenversorgungsfähigkeit der Bevölkerung. Dazu gehört auch eine entsprechende Risikokompetenz, um mit solchen Warnungen umgehen zu können. Aber noch viel mehr, um selbst erkennen zu können, ob man sich in einer potenziell gefährlichen Situation befindet, oder nicht. Denn das ist der wichtigste Punkt: Eine Warnung kann nie so feingranular sein, um die individuelle Gefährdung vorherzusagen.

Welchen Stellenwert nehmen in diesem Zusammenhang noch „analoge“ Techniken, wie Sirenen oder das Radio ein?

Herbert Saurugg: Diese sind bei Großschadenslagen, wo es häufig rasch zum Ausfall der Telekommunikationsversorgung kommt, eine robuste Rückfallebene, die auch noch mit einfachen Mitteln aufrechterhalten werden kann. Daher geht es nie um „entweder oder“, sondern immer um ein „sowohl als auch“.

Zuständigkeiten und Kompetenzgerangel sind nichts Neues im deutschen Föderalismus. Ein Umstand, der nicht immer dienlich ist, will man schnell auf Krisen und Katastrophen reagieren. Wie verhält es sich in Österreich um das zentrale Management von Gefahren?

Herbert Saurugg: Wir haben in Österreich denselben Föderalismus wie in Deutschland, nur um den Faktor zehn kleiner. Auch in Österreich ist Katastrophenschutz Angelegenheit der Länder. Unser Vorteil ist aber, dass wir uns aufgrund der überschaubaren Größe doch besser kennen und die Kooperation meistens funktioniert, wenn es dann notwendig ist. Zudem kann bei uns das Bundesheer bei Großschadenslagen rasch und unkompliziert eingesetzt werden, was die ehrenamtlichen Feuerwehren, die vor allem die Erstlast zu tragen haben, häufig entlastet.

Hochwasserereignisse werden sich wiederholen

Viele der Unglücke sind von Menschen verursacht, sprich durch Versiegelung von Flächen, der Begradigung von Flüssen und einer teils rücksichtslosen Bauweise. Holt uns diese Blindheit im Umgang mit der Natur nunmehr verstärkt ein?

Herbert Saurugg: Auf jeden Fall. Eine Katastrophe tritt erst ein, wenn Naturereignisse auf Menschen beziehungsweise Infrastrukturen treffen. Und das wird sich in den kommenden Jahren wohl deutlich verschlimmern. Lange stabile Zeiten und die Ignoranz holen uns nun ein. Wenn wir es nicht schaffen, uns rechtzeitig anzupassen, werden die Schäden immer schlimmer werden. Daher sollten wir uns gut überlegen, wo in den Katastrophengebieten wieder etwas aufgebaut wird. Denn die nächste Flutwelle kommt bestimmt.

Ein vorausschauendes Risikomanagement ist wichtig, gerade beim Schutz von Mensch, Tier und Natur. Wie kann eine weitsichtige Gefahrenabwehr aus Ihrer Sicht aufgebaut werden?

Herbert Saurugg: Indem wir akzeptieren, dass Schutz und Risikobetrachtungen nicht mehr ausreichen. Wir brauchen eine komplementäre Robustheits- und Resilienzbetrachtung, wo es nicht nur um die Schadensverhinderung, sondern vor allem um den Umgang mit Schäden und Schockereignissen geht. Also weniger auf einzelne Szenarien fokussieren, als vielmehr die Handlungskompetenz der Menschen stärken. Und wo ich bereits absehen kann, dass größere und nicht beherrschbare Schäden auftreten könnten, lernen und anpassen, bevor es passiert. Also nicht zuwarten, bis es zu spät ist. Daher brauchen wir auch stärkere Frühwarnsysteme, wobei sich das nicht nur auf technische Lösungen bezieht.

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Welche Möglichkeiten bieten in diesem Kontext moderne Analyse- und Vorhersagemöglichkeiten?

Herbert Saurugg: Wenn das in eine funktionierende Kette bis hin zum Einzelverhalten der Menschen eingebunden wird, eine tolle Sache. Aber wir neigen noch dazu, nur die Technik zu sehen. Das reicht eben nicht aus.

Haben Sie ein Praxisbeispiel für die Leser?

Herbert Saurugg: Wenn es bereits sehr konkrete Warnungen vor extremen Niederschlägen gibt, dann gibt es eine Reihe von Möglichkeiten zum rechtzeitigen Handeln. Bewegliche Güter, wie Autos, können einfach aus den Gefahrenbereichen verbracht werden. Schutzeinrichtungen lassen sich aufbauen und Straßen sperren. Baumaschinen vor Ort können Verklausungen beseitigen, noch bevor sie Infrastrukturschäden anrichten. Sie müssen aber schon vor Ort gebracht werden, wenn die Sonne noch scheint. Und dann geht es auch um Früherkennung, durch Sensoren oder menschliche Beobachtung, um Entwicklungen zu beobachten und noch darauf reagieren zu können.

Das größte Problem: Wenn es dann doch nicht so schlimm kommt, werden die Maßnahmen häufig als übertrieben wahrgenommen und beim nächsten Mal wird daher darauf verzichtet. Es hat also wieder mit uns als Menschen und unserem Risikoverhalten zu tun.

Gesellschaftliches Bewusstsein schaffen

Abschließend die Frage: Wenn Sie nach vorne schauen, was wünschen Sie sich, um ein zukunftsfähiges Krisen- und Katastrophenmanagement stärker in der Gesellschaft zu verankern?

Herbert Saurugg: Es braucht ein breites gesellschaftliches Bewusstsein, dass man lieber einmal unnötig vorsorgt, als dann böse überrascht zu werden. Das sehe ich derzeit in Deutschland als größtes Problem. Wir neigen dazu, nach technischen Lösungen zu suchen oder über diese zu diskutieren. Diese sind sicher wichtig und hilfreich. Aber wir müssen uns zuerst selbst bei der Nase nehmen. Egal ob als Individuum, Gemeinde oder Unternehmen. Wenn jeder seine Hausaufgaben gemacht hat, dann dürfen wir auch von den anderen mehr einfordern. Aber zuerst sollten wir einmal vor der eigenen Haustür kehren.

Zum anderen ist zu erwarten, dass Großschadenslagen in Folge von Extremwetterereignissen zunehmen werden. Daher braucht es ein System, um rasch von woanders Hilfe zuführen und koordinieren zu können. Denn die lokalen/regionalen Kräfte werden mit sich selbst beschäftigt und überfordert sein. Das erfordert entsprechende Führungs- und Logistikstrukturen, wie sie etwa ein Militär hat. Das bedeutet, dass die Zivil-Militärische-Zusammenarbeit, kurz ZMZ, für solche Ereignisse deutlich ausgebaut werden sollte.

Herbert Saurugg, Experte für die Vorbereitung auf den Ausfall lebenswichtiger Infrastrukturen und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge
Herbert Saurugg, Experte für die Vorbereitung auf den Ausfall lebenswichtiger Infrastrukturen und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge

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