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Vernetzte Gebäude 12. November 2015

Im Dschungel der Standards

Ein beliebtes Argument, sich nicht mit dem Thema Smart Home zu beschäftigen, lautet: „Es gibt noch keinen Smart-Home-Standard, und darum warte ich erst einmal ab.“ Doch diese Einschätzung ist falsch.

Es gibt viele Standards im Smart Home, die den unterschiedlichen Sub-Systemen geschuldet sind.
Es gibt viele Standards im Smart Home, die den unterschiedlichen Sub-Systemen geschuldet sind.

Zugegeben, es ist nicht einfach, sich mit den vielen Bezeichnungen, Schnittstellen, Protokollen und Standards rund um das vernetzte Gebäude zurechtzufinden. Der Ruf nach dem einen, allumfassenden Standard ist allerdings wenig zielführend. Das Smart Home ist eine Gewerke übergreifende Systemlösung. Ganz unterschiedliche Branchen sind am schlauen Haus beteiligt – und das hat Konsequenzen. Unterschiedliche Aufgaben im schlauen Haus benötigen unterschiedliche Lösungen, die allerdings miteinander interagieren sollen.

Elektroinstallationen

Bei den Elektroinstallationen geht es um die 230- beziehungsweise 400-Volt-Anwendungen wie Kochen, Waschen, Licht, elektrische Heizung, Lüftung, Rolloantrieb, Torantrieb und weitere Aufgaben. Die Stromversorgung einer Leuchte wird ein- oder ausgeschaltet oder sie wird per Befehl auf einen bestimmten Wert gedimmt. Ein Rollladen ist oben oder unten oder auf einer definierten Position dazwischen. Ein Tor ist offen oder geschlossen. Die Übertragung der Steuerkommandos kann sich bei diesen Anwendungen auf wenige Bytes beschränken. Die Übertragung findet nur dann statt, wenn eine Änderung erfolgen soll, also seltene Übertragungen von ganz geringen Datenmengen.

IP-Kameras

Im Gegensatz zur Steuerung der Elektroinstallation werden Bilder und Videosequenzen kontinuierlich übertragen. Je besser die Bildqualität sein soll, desto mehr Daten müssen gesendet und empfangen werden. Die Internet-Protokolle UDP, FTP und TCP sind dafür sehr gut geeignet. Viele Daten müssen in kurzer Zeit von der Kamera zu einem Recorder und/oder einer Anzeigeeinheit gesendet werden.

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Diese beiden Beispiele zeigen, dass wir es im Smart Home mit ganz unterschiedlichen Datenmengen und Echtzeitanforderungen zu tun haben. Das Video soll möglichst verzögerungsfrei sein. Bei der Reaktion einer Heizung auf eine Temperaturänderung kommt es auf eine Sekunde nicht an. Doch welches Smart-Home-System und welcher Standard soll diese Anforderungen gleichermaßen erfüllen? Dazu kommen der Kostenfaktor und der Energieverbrauch: Je mehr Daten per Funk oder Kabel übertragen werden sollen, desto höher ist der dafür notwendige Stromverbrauch. Sensoren, die per Batterie oder sogar batterielos durch „Energy Harvesting“ betrieben werden, müssen mit jedem Mikrowatt geizen.

Der Ruf nach dem einen, universellen Standard zeugt also von fehlendem technischen Verständnis für die tatsächlichen Zusammenhänge im vernetzten Gebäude. Aber warum gibt es für sehr ähnliche oder sogar gleiche Aufgaben unterschiedliche Lösungen? Kann man hier nicht wenigstens vereinheitlichen? Eigentlich schon, aber in unterschiedlichen Regionen der Welt haben sich über die Jahre bestimmte Standards durchgesetzt, deren Anbieter alle den interessanten Markt Deutschland für sich erobern wollen.

Funkstandards im Wettbewerb

Neben ungezählten proprietären Hersteller-Funkverfahren haben sich im Smart-Home-Segment die Standards Zigbee, Z-Wave, EQ3, RWE-Smarthome, Enocean, aber auch Bluetooth, DECT und Wi-Fi etabliert. Bluetooth, DECT und Wi-Fi gehören zu den Verfahren, die große Datenmengen übertragen. Die anderen genannten Funkstandards übertragen kurze Datensätze bei wenig Energie. Enocean kommt dank Energy Harvesting sogar ohne Batterien und Kabel aus.

Zigbee, Z-Wave EQ3, RWE und Enocean nutzen in Europa gemeinsam das lizenzfreie 868-Megahertz-Band. Die Auflagen der Netzagentur für einen Funksender in diesem Frequenzbereich sind unter anderem die Begrenzung der Sendeleistung auf 25 Milliwatt (mW) und einen maximalen Arbeitszyklus von einem Prozent. Das bedeutet, dass ein Sender in einer Stunde in der Summe nur 36 Sekunden senden darf. Das ist für die Gebäudeautomation mehr als genug, eine Audio- oder Bildübertragung ist so allerdings nicht realisierbar. Hinter diesen Standards stehen Interessengruppen, die für „ihren Standard“ kämpfen und ihn weiterentwickeln. Und genau das ist ein wichtiger und positiver Aspekt: Solange es Wettbewerb zwischen den Systemen gibt, werden Produkte besser und günstiger. Mit den Unannehmlichkeiten kann man leben.

Ein für alle Mal festgelegt?

Wenn man sich für ein Auto mit Benzinmotor entscheidet, ist man dauerhaft auf diesen Kraftstoff festgelegt und kann nicht auf Diesel wechseln, auch wenn dieser an der Tankstelle viel preiswerter ist. In der automobilen Bewegungsfreiheit schränkt man sich allerdings nicht ein. Benzin oder Diesel bekommt man überall.

Ähnlich ist es mit den Smart-Home-Funkstandards. Wenn man sich für ZWave entscheidet, kann man keine Zigbee-Komponenten nutzen. Warum auch? Man bekommt für den einen Standard die gleichen Funktionalitäten wie für den anderen. Auch die Preise sind sehr ähnlich. Es gibt also eigentlich gar keinen Grund, gleichzeitig mehrere Standards nutzen zu wollen. Trotzdem gibt es inzwischen sogar Multi-Standard-Produkte, die sich entsprechend erweitern lassen. Dazu ergänzt man die Smart-Home-Zentraleinheit um den entsprechenden Funk-Sender/Empfänger, meist als USB-Stick oder LAN-Gateway.

IP als Allheilmittel?

Die allermeisten Smart-Home-Systeme verfügen über eine LAN-Schnittstelle. Damit können prinzipiell alle am Smart Home beteiligten Systeme Daten austauschen. Nur hilft es uns nicht wirklich weiter, wenn sich Datenpakete fehlerfrei und sicher zwischen den Systemen verschieben lassen. Was bedeutet denn das vom Gateway der Hausgeräte gerade erhaltene Datenpaket? Ist die Tiefkühltruhe offen oder meldet der Geschirrspüler, dass er nicht genug Klarspüler hat? Und was soll das Gartenbewässerungssystem mit diesen Informationen? Ohne eine Interoperabilität auf Anwendungsebene hilft es nichts, Daten zwischen den Subsystemen im Smart Home übertragen zu können. Das Problem ist also nicht der eine Standard oder das umfassende Protokoll – das hätten wir ja mit IP. Sondern die Anwendungen müssen einander verstehen lernen.

Es gibt drei Lösungsansätze: Zum einen kann man eine umfassende Anwendung verwenden, beispielsweise „Myhomecontrol“ von Bootup, IP-Symcon von Symcon oder die Gebäudesoftware von Akktor. Diese Softwaresysteme unterstützen gleichzeitig viele Hardware-Standards und Protokolle wie Enocean, KNX, LCN, CAN, Modbus, 1Wire, Dali und viele andere. Die Software sorgt dafür, dass der Errichter eines Projektes sich nicht mit den Standards und Protokollen auseinandersetzen muss, sondern nur logische Zustände und Nutzdaten verknüpft. Alles andere erledigt die Software „unter der Motorhaube“. Dieser Gruppe ist auch Digitalstrom zuzurechnen. Das System unterstützt neben den eigenen Komponenten heute so viele unterschiedliche Geräte und Systeme, dass quasi kein Wunsch mehr unerfüllbar ist.

Eine weitere Möglichkeit ist eine so genannte Middleware wie der EEBUS. Diese Software arbeitet zwischen den einzelnen Systemen und bildet die Datendrehscheibe zwischen eigentlich nicht interoperablen Produkten. Der EEBUS ist damit der „Reparaturbetrieb“ für die Versäumnisse der Produktentwickler.

Die dritte Möglichkeit ist die Verwendung einer neutralen Plattform wie Qivicon der Deutschen Telekom. Qivicon ist mit dem Ziel angetreten, der zentrale Knoten im smarten Haushalt zu sein. Hersteller wie Miele, Bitron, eQ3 (ELV), D-Link, Osram und Philips Hue nutzen derzeit schon die Telekom-Plattform. Sie selbst bietet neben der integrativen Software nur die „Home Base“ und den Zigbee-Funkstick an. Qivicon soll nicht Wettbewerber zu den Smart-Home-Geräteherstellern sein, sondern der gemeinsame Manager.

Viele Standards

Es gibt also eine Vielzahl von Standards im Smart Home, die den unterschiedlichen Aufgaben und Sub-Systemen geschuldet sind. Das eine, allumfassende System über alle Anwendungen ist nicht notwendig und auch nicht sinnvoll, dazu sind die Anforderungen an die Subsysteme zu heterogen. Nahezu alle Systeme können über das Internetprotokoll IP und das lokale Netzwerk miteinander kommunizieren. Eine Interoperabilität zwischen den Subsystemen entsteht dadurch jedoch noch nicht. Erst umfassende Software-Produkte oder die Middleware EEBUS ermöglichen den sinnvollen Austausch von Daten zwischen den einzelnen Subsystemen. Und umfassende, herstellernunabhängige Software-Produkte bieten eine tiefe Integration auf Anwendungsebene.

Günther Ohland

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