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Analyse-Software 11. März 2015

Ideale Ergänzung

Als die letzte Polizeiliche Kriminalstatistik vorgestellt wurde, gab besonders die Entwicklung beim Wohnungseinbruchdiebstahl keinen Grund zur Freude. In Bayern greift man nun zu neuen Instrumenten. PROTECTOR befragte dazu den Leitenden Kriminaldirektor Karl Geyer vom Polizeipräsidium Mittelfranken in Nürnberg.

Die Analyse-Software kann die Polizeibeamten bei der Lagearbeit unterstützen, aber nicht ersetzen.
Die Analyse-Software kann die Polizeibeamten bei der Lagearbeit unterstützen, aber nicht ersetzen.

PROTECTOR: Welches war denn Ihre erste Reaktion auf die wieder gestiegenen Fallzahlen beim Einbruchdiebstahl?

Karl Geyer: Obwohl Bayern im Verhältnis zu allen anderen Bundesländern die niedrigsten Häufigkeitszahlen beim Wohnungseinbruch aufweist, so ist dies dennoch kein Grund, mit der Entwicklung zufrieden zu sein. Ganz im Gegenteil. So wie auch in den anderen Regionen Deutschlands steigen die Wohnungseinbrüche von Jahr zu Jahr an, obwohl die Polizei ihre präventiven wie repressiven Maßnahmen deutlich verstärkt hat.

>In der Öffentlichkeit, aber auch in Fachkreisen wird nun eine hitzige Diskussion darüber geführt, ob es sich um Gelegenheitstäter oder professionelle Banden – zum Teil aus dem Ausland – handelt. Wie sind hier Ihre Erkenntnisse?

Wir gehen davon aus, dass es sich bei den Tätern sowohl um professionelle Banden, vorzugsweise aus Südost-Europa, aber auch um örtliche Gelegenheitstäter und um Betäubungsmittel-Konsumenten handelt, die einbrechen, um damit ihre Sucht zu finanzieren.

Bei einer Aufklärungsquote von bundesweit nur zehn bis 20 Prozent bleibt aber ein hohes Dunkelfeld.

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Karl Geyer ist Leitender Kriminaldirektor im Polizeipräsidium Mittelfranken in Nürnberg.

Tel.: +49 911 2112-1301

Nun setzen Sie auf eine neue „Waffe“: Precobs. Was verbirgt sich dahinter?

Precobs liefert eine neue Qualität in der polizeilichen Lageauswertung. Das Computer-Programm gleicht damit einem Frühwarn-System zur Erkennung zukünftiger Einbrüche. Das ist unsere hochgesteckte Erwartung und unsere Hoffnung an die Prognose-Software.

Die Precobs-Methode ist keine reine Mathematik, sondern geografisch angewandte Kriminologie. Für den Wohnungseinbruch gibt es eine Reihe von internationalen Studien, die belegen, dass es in geografischen Bezirken, in denen zurückliegend Einbrüche begangen wurden, häufig in kurzer Zeit zu Nachfolgetaten kommt. Diesen Effekt bezeichnet man in der Wissenschaft als Near-Repeat-Effekt – als musterbasiertes Täterverhalten –, das sich die Analyse-Software zunutze macht.

Aus den Informationen leitet das Programm dann ab, welche Gegenden besonders gefährdet sind. Die Analyse-Software richtet sich also in erster Linie gegen professionelle Täter, nicht den Gelegenheitstäter.

Der Begriff Smart Home ist auf dem Vormarsch. Er dient dabei als Oberbegriff für technische Verfahren und Systeme vernetzter und fernsteuerbarer Geräte und Installationen, welche zum Beispiel Beleuchtung und Heizung, aber auch Unterhaltungselektronik und Sicherheitstechnik im Haus untereinander vernetzen.

Der mechanische Schutz wird allerdings immer einen hohen Stellenwert behalten. Oft verhindert oder zumindest erschwert die Mechanik, dass ein etwaiger Täter in ein Gebäude gelangt. Die Verknüpfung mechanischer und elektronischer Möglichkeiten stellt somit die optimale Lösung zum Schutz gegen Einbruch dar, denn im Idealfall ergänzen sie sich in ihrer Anwendung.

Neben den Absicherungsmöglichkeiten an Fenster und Türen, welche über die Kriminalpolizeilichen Beratungsstellen in Erfahrung gebracht werden können, sollten Haus- und Wohnungsbesitzer aber auch ihr eigenes Verhalten stets bedenken. So nützt auch das beste, einbruchhemmende Fenster nichts, wenn dieses gekippt oder offen steht, Türen nur zugezogen und nicht abgeschlossen werden.

Aber auch einen bewohnten Eindruck am Objekt zu hinterlassen, kann schon dazu führen, dass ein Täter sich ein anderes Objekt aussucht. So täuschen zum Beispiel Lampen, gesteuert über Zeitschaltuhren, oder Simulationsgeräte, welche das Flackern eines Fernsehers imitieren, Anwesenheit vor. Zudem sollte man nicht zögern, die Polizei über den Notruf 110 über verdächtige Wahrnehmungen zu informieren.

www.polizei-beratung.de

Warum kehren Einbrecher überhaupt in die Nähe vom Tatort zurück? Müssen sie nicht damit rechnen, dass die Nachbarschaft stärker sensibilisiert und vorsichtiger ist?

Professionelle Täter wägen das Kosten-Nutzen-Risiko ab – baldowern die Gegend oft aus. Dort, wo sie erfolgreich waren, wissen sie, dass Beute zu machen ist, kennen Fluchtwege, das bestärkt sie. Im übrigen vertrauen die Täter darauf, dass sie nicht „erwischt“ werden. Mit Blick auf die niedrige Aufklärungsquote trifft das ja auch in gewisser Weise zu – leider.

Ihre Kollegen in Zürich setzen die Software schon längere Zeit ein. Tauschen Sie sich aus?

Ja, wir waren in Zürich und haben uns mit den dortigen Kollegen intensiv ausgetauscht. Die Erfahrungen in Zürich haben uns ermutigt, das System nun auch in München und bei uns in Mittelfranken zu testen.

Sie setzen Precobs seit einem halben Jahr ein. Wie sieht Ihre Zwischenbilanz aus?

Aus unserer Sicht hat die Software das Potential, die polizeiliche Lagearbeit zu optimieren, um auf diese Weise den polizeilichen Streifen- und Fahndungseinsatz noch besser steuern zu können. Die Umsetzung von Prognose-Alarmen erfolgt jedoch nicht automatisiert, sondern bedarf immer der abschließenden Beurteilung und Freigabe eines erfahrenen Polizeibeamten.

Das System kann und soll die bisherige Lagearbeit aber nicht ersetzen. Wir erhöhen damit die Wahrscheinlichkeit, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein – eine Garantie gibt es jedoch auch mit Precobs nicht.

Gibt es auch kritische Stimmen? Wie reagieren die Öffentlichkeit und auch Ihre Kollegen?

Kritische Stimmen kamen zum Teil aus dem Bereich mancher Datenschützer, die ich jedoch guten Gewissens beruhigen kann. Die Analyse-Software arbeitet ausschließlich mit anonymen Tatdaten wie Tatort, Tatzeit, Beute und Begehungsweise. Daten von Geschädigten oder Tatverdächtigen werden nicht eingelesen.

Sicherlich gab und gibt es auch im eigenen Polizeibereich Skeptiker, die erst noch überzeugt werden wollen – wir arbeiten daran. Überrascht hat uns jedoch die hohe Aufmerksamkeit der Medien und der Bevölkerung, die sich sehr an den Erfahrungen und Ergebnissen interessiert zeigt – so wie Sie auch. Wir sind dafür sehr dankbar, da es kaum ein Kriminalitätsphänomen gibt, dass die Menschen so sehr berührt.

Werden Sie die Software nach Ablauf der Erprobungsphase weiterhin zur „Vorhersage“ nutzen?

Die Analyse-Software ist bei uns erst seit Mitte Oktober 2014 im Einsatz. In den zurückliegenden Monaten hat es immer wieder einen engen Austausch zwischen dem System-Entwickler und den polizeilichen Anwendern im Zentralen Lagedienst gegeben.

Das System wurde so immer wieder auf die örtlichen Verhältnisse angepasst und – wenn Sie so wollen – weiter optimiert. Für eine abschließende valide Einschätzung ist die Erprobungszeit allerdings noch zu knapp.

Annabelle Schott-Lung

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