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Öffentliche Sicherheit 8. Dezember 2022

Hochwasserrisiken mit Künstlicher Intelligenz frühzeitig erkennen

Innovative Frühwarnsysteme können dank Künstlicher Intelligenz Hochwasserrisiken frühzeitig erkennen und unliebsame „Überraschungen“ künftig verhindern.

Mehrere Messstellen in einem Gebiet messen den Niederschlag, die Wassersättigung des Bodens sowie den Pegelstand von Bächen und Flüssen und senden die Daten in die Cloud. Künstliche Intelligenz kann dabei das Hochwasserrisiko frühzeitig erkennen. 
Mehrere Messstellen in einem Gebiet messen den Niederschlag, die Wassersättigung des Bodens sowie den Pegelstand von Bächen und Flüssen und senden die Daten in die Cloud. Künstliche Intelligenz kann dabei das Hochwasserrisiko frühzeitig erkennen. 

Hochwasser sind natürliche Ereignisse, stellen aber gleichzeitig eine große Gefahr da; Künstliche Intelligenz hilft nun dabei, Hochwasserrisiken frühzeitig zu erkennen. Denn Hochwasserfluten können tödlich sein, Häuser werden zerstört, ganze Existenzen einfach weggespült. Im Ahrtal 2021 schossen damals die Pegel von Bächen und Flüssen in vielen Gebieten unerwartet schnell nach oben. Innovative Frühwarnsysteme können solche gefährlichen Überraschungen künftig verhindern. Durch Sensormessungen und Künstliche Intelligenz (KI) erstellen sie Prognosen – und ermöglichen so die ganzheitliche Überwachung der Situation vor Ort und die frühzeitige Einleitung von Schutzmaßnahmen.

Wie entsteht Hochwasser?

Hochwasser entstehen in Folge langanhaltender und großräumiger Niederschläge, kurzem und lokal begrenztem ⁠Starkregen⁠ oder durch Schneeschmelze. Besonders betroffen sind dabei gebirgige Regionen, aber auch Landschaften, die von Tälern oder Schluchten geprägt sind. Gerade Gewässer zweiten und dritten Grades, die oftmals nicht oder nur geringfügig überwacht werden, entwickeln sich dann schnell von kleinen Rinnsalen zu reißenden Strömen.

Bei Niederschlägen versickert ein Teil des Wassers im Boden und trägt zur Grundwasserneubildung bei. Ein weiterer Teil wird im Boden zwischengespeichert oder verdunstet. Der Rest fließt über die Bodenoberfläche in die Gewässer. Wie viel Wasser tatsächlich abfließt, hängt von den Eigenschaften des Bodens, dem Versiegelungsgrad und somit der Wasserdurchlässigkeit sowie der Topografie der Landschaft ab. All diese Punkte begünstigen im schlechtesten Fall einen schnellen Oberflächenabfluss, der so zu einer Überschwemmung führen kann. Oftmals zählen hier Minuten, um rechtzeitig Schutzmaßnahmen einleiten zu können.

Hilfe leistet hier das Frühwarnsystem Netilion Flood Monitoring, das mit Sensormessungen und KI die Hochwassergefahr prognostiziert und frühzeitige Maßnahmen ermöglicht. Entwickelt wurde es gemeinsam vom Messtechnikspezialisten Endress+Hauser und Okeanos Smart Data Solutions, einem Start-up mit Wurzeln an der Ruhr-Universität Bochum.

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Datenbasierte Entscheidungshilfe – Analyse mittels Künstlicher Intelligenz

Ziel des Frühwarnsystems ist es, die Entscheidungsträger von Behörden, Kommunen und Rettungskräften im Falle eines drohenden Hochwassers mit genügend Vorlauf zu informieren. „Wir möchten mit unserer Lösung dafür sorgen, dass die Anwender das Überschwemmungsrisiko für ihr Gebiet genau einschätzen und zielgerichtet die nötigen Entscheidungen treffen können“, sagt Okeanos-Gründer Benjamin Mewes. Ob Bürgermeister, Feuerwehrleute, das Technische Hilfswerk (THW) oder Mitarbeitende von Bauhöfen oder Ingenieurbüros: Sie alle werden online per Smartphone oder Computer in Echtzeit darüber informiert, wie sich Gewässer in ihrem Gebiet entwickeln und ob kritische Werte erreicht sind.

Grundlage hierfür sind lokale Messwerte, die direkt an den Bachläufen und deren Umgebung gesammelt werden. Um ein Gebiet so gut wie möglich zu verstehen, werden Pegelmessgeräte, Starkregensensoren, Regenmengenmesser und Bodenfeuchtsensoren installiert. Die verschiedenen Sensoren senden ihre Messwerte in die Cloud-Plattform Netilion von Endress+Hauser. Dort verrechnet eine KI sie miteinander. Auf Basis der Werte sowie weiterer Daten wie zum Beispiel der Wetterprognose und der Beschaffenheit des Geländes kann die KI vorhersagen, ob und wann ein Hochwasser droht und an welchen Stellen die Ursachen dafür liegen. Anwender erhalten diese Vorhersagen als eindeutige Information, müssen die Messdaten also nicht selbst interpretieren.

Der Katastrophenschutz setzt auf innovative Technologien wie Drohnen, die beim Aufspüren von Verschütteten wertvolle  Informationen liefern können.
Innovative Technologien im Katastrophenschutz
Innovative Technologien wie Miniroboter, Drohnen und moderne Kommunikationssysteme optimieren im Katastrophenschutz die Ortung und Bergung von Verschütteten.

Dabei gilt: Je länger das System im Einsatz ist und je mehr Daten zusammengetragen werden, desto tiefer sind die Erkenntnisse, die sich daraus ableiten lassen. „Der große Vorteil einer KI liegt darin, dass sie sich selbstständig optimiert. Der Algorithmus lernt mit der Zeit dazu und versteht ein Gebiet somit immer genauer“, sagt Mewes. „Die Digitalisierung ermöglicht also nicht nur schnellere Entscheidungen, sondern auch langfristige Verbesserungen der Hochwasserschutzkonzepte.“ Beispielsweise können kritische Stellen durch das gewonnene Wissen über die Gebietsreaktion gezielter gesichert werden.

Schnell installiert und förderfähig

Wenn feststeht, wo die Messstellen sein sollen, ist das Frühwarnsystem innerhalb von einem Tag installiert. Fast alle Sensoren sind batteriebetrieben und bedürfen keiner Infrastruktur wie beispielsweise Veränderungen am Gewässer, der Schaffung von Querschnitten oder der Errichtung von Pegelhäuschen. Aufwendige Baumaßnahmen oder Genehmigungen sind für die Installation ebenfalls nicht nötig, denn die Sensoren lassen sich an vorhandenen Querbauwerken wie Rohrleitungen, Brücken, Unterführungen, Mauern oder Straßen anbringen. Bestehende Systeme wie die Landespegelmessstellen werden in die Analyse integriert. Nach Installation der Sensoren liefert das Hochwasserschutzsystem vom ersten Tag an zuverlässige Hinweise. Die Finanzierung des Systems ist zudem förderfähig: Kommunen können auf Antrag Zuschüsse vom Land erhalten, um ihren Hochwasserschutz zu optimieren.

Erfolgreicher Einsatz im Schwarzwald

In Lenzkirch ist Netilion Flood Monitoring bereits im Einsatz. Die Gemeinde im Schwarzwald wurde zuletzt 2018 von einer Überschwemmung überrascht, die Schäden in Höhe von mehreren hunderttausend Euro anrichtete. Die Ortschaft befindet sich in einer Kessellage, umgeben von Bergen und Hügeln. Zusätzlich fließen zwei Flüsse mitten durch den Ort. „Im Falle eines Starkregens ist die Gefahr groß und die Vorlaufzeit gering“, sagt Andreas Graf. Der Bürgermeister von Lenzkirch erinnert sich: „Damals ist das Wasser unheimlich schnell angestiegen, was an einem Unwetter mit gleichzeitiger Schneeschmelze lag.“

Heute sind rund um Lenzkirch verschiedene Messstellen verteilt: In den Böden stecken sechs Bodenfeuchtesensoren. Sie verraten, ob das Erdreich noch genügend Regenwasser aufnehmen kann oder bereits gesättigt ist. Am Dachgiebel des Bauhofs und an einem weiteren Standort ist jeweils ein Niederschlagsensor angebracht, sie messen die Regenintensität. Und an insgesamt neun Stellen entlang der Flüsse und Bäche sind Radar-Pegelmessgeräte installiert, die den Stand der Gewässer anzeigen.

Die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr von Lenzkirch sind vom Nutzen der digitalen Kontrollmöglichkeiten überzeugt. „Als zuletzt im Februar 2021 kritische Hochwasserwerte erreicht wurden, konnten wir von unserer Leitwarte aus die Pegelstände überwachen und mussten nicht die einzelnen Stellen abfahren. Das spart nicht nur wertvolle Zeit, sondern erhöht auch die Sicherheit für die Einsatzkräfte“, sagt Gesamtfeuerwehrkommandant Thomas Raufer.

Ein Blick auf die Technik ist nicht genug

Nur die Technik – und somit die frühe Warnung vor einem drohenden Hochwasser – reicht natürlich nicht aus, um Katastrophen zu verhindern. Hier sind die Kommunen gefragt, entsprechende Krisenkonzepte mit konkreten Handlungen zu etablieren. „Für uns ist die technologische Unterstützung sehr willkommen“, sagt Graf. „Das System kann ein Hochwasser natürlich nicht vermeiden, aber wir gewinnen durch die frühe Warnung wertvolle Zeit. Und bei einer Überschwemmung zählt schließlich jede Minute.“

Florian Falger, Business Model and Market Manager bei Endress+Hauser

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