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Verbände 17. Februar 2022

Herausforderungen durch digitale Transformation für Deutschland

Die digitale Transformation bringt für die Wirtschaft Deutschlands neue Herausforderungen mit sich, wie Dr. Christian Endress vom ASW Bundesverband erläutert.

Die digitale Transformation bietet viele Chancen, aber auch Herausforderungen für Deutschland.
Die digitale Transformation bietet viele Chancen, aber auch Herausforderungen für Deutschland.

Die neue Regierung steht, der Koalitionsvertrag gibt erste Einblicke, welche Schwerpunkte zu erwarten sind; gleichzeitig steht Deutschland durch die digitale Transformation vor neuen Herausforderungen. Dr. Christian Endreß, Geschäftsführer des ASW-Bundesverbands, erläutert PROTECTOR, ob man die Interessen der Sicherheitswirtschaft entsprechend berücksichtigt sieht.

Was ist Ihnen bei der Lektüre des Koalitionsvertrags als erstes positiv aufgefallen?

Ein Koalitionsvertrag wird vermutlich niemanden vollumfänglich zufrieden stellen. Wir begrüßen die verstärkten Maßnahmen im Bereich der Cybersicherheit. Wir freuen uns, dass eine unabhängige und interdisziplinäre Bundesakademie für eine grundrechtsorientierte Sicherheits- und Kriminalpolitik gegründet werden soll. Das ist eine wegweisende Entscheidung. Auch die private Sicherheitswirtschaft und das geplante Sicherheitsdienstleistungsgesetz werden explizit im Koalitionsvertrag erwähnt. Das ist für uns ebenfalls ein erfreulicher Punkt.

Neben der Stärkung der Cybersicherheit soll die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, einschließlich der Clankriminalität, einen Schwerpunkt für die Sicherheitsbehörden darstellen. Das ist wichtig, denn kriminelle Familienclans verursachen durch ihre kriminellen Geschäftsaktivitäten einen massiven volkswirtschaftlichen Schaden und verdrängen legal Geschäftstreibende vom Markt. Somit ist die Bekämpfung der Clankriminalität gleichzeitig Wirtschaftsschutz.

Allerdings wird der Wirtschaftsschutz im Koalitionsvertrag nicht explizit berücksichtigt, das vermissen wir .

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Kurzum: Wichtige Impulse sind berücksichtigt – wir als ASW werden uns auch bei der neuen Bundesregierung für den Wirtschaftsschutz stark machen - im Interesse der deutschen Wirtschaft und unserer Mitgliedsunternehmen.

Herausforderungen an die IT-Sicherheit

Sie vermissen, wie erwähnt, die Berücksichtigung des Wirtschaftsschutzes. Wird die Regierung diesem Thema nicht gerecht?

Die Einführung eines konsequenten Schwachstellenmanagements zum Schließen von IT-Sicherheitslücken halten wir für notwendig und richtig. Darüber hinaus sollte aber ein umfassender Wirtschaftsschutz für die kommende Bundesregierung ein wesentliches Thema werden. Bei einer jährlichen Schadenssumme von über 220 Milliarden Euro besteht dringender Handlungsbedarf durch die politischen Entscheidungsträger.

Ist der „Koordinator Wirtschaftsschutz“ in weite Ferne gerückt?

Das sehe ich nicht so. Die Karten werden jetzt neu gemischt. In der vergangenen Legislaturperiode haben wir eines unserer Ziele, den Koordinator für den Wirtschaftsschutz zum Beispiel auf Staatssekretärsebene im Bundesinnenministerium, nicht erreichen können. Für uns ist klar: Die deutsche Wirtschat benötigt ein Gesicht auf hoher politischer Ebene. Alle Aktivitäten des Wirtschaftsschutzes werden beim Bundesinnenministerium (BMI) gebündelt. Daher ist das BMI die richtige Adresse für den Koordinator. Hierüber werden wir mit der neuen Regierung und den Verantwortlichen sprechen. Das zuständige Fachreferat im BMI leistet bereits sehr gute Arbeit.

Zusammenarbeit in der Fläche fördern

Wie können gerade die Behörden im Bereich Wirtschaftsschutz stärker ausgebaut werden?

Hier haben wir mit Blick auf die bundesdeutsche Landkarte noch Luft nach oben. Gerade die kleineren Landesämter für Verfassungsschutz sind personell für einen effektiven Wirtschaftsschutz nicht ausreichend ausgestattet. Das Thema genießt noch nicht bei allen Entscheidungsträgern die erforderliche Priorität. Wirtschaftsschutz muss Pflicht sein, nicht die Kür. Wir sind aber in einem engen Austausch mit den Landesämtern. Die Zusammenarbeit läuft flächendeckend ausnahmslos gut. Auch in diesem Punkt bewährt sich die Struktur unseres Verbandes. Für den Wirtschaftsschutz benötigen wir den Kontakt in Kommunen und Landesbehörden. Die regionalen Netzwerke sind für unsere Arbeit essenziell. Zukünftig gilt es, gemeinsam neue und effektive Instrumente für die Sicherheit in der Wirtschaft zu erarbeiten. Ich denke da beispielsweise an eine gemeinsame Analyse- und Informationsplattform oder eine zentrale Hotline für den Wirtschaftsschutz.

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ASW Bundesverband: Wirtschaftsschutz vernetzen
Der ASW Bundesverband fordert die Vernetzung des Wirtschaftsschutzes in Deutschland. PROTECTOR unterstützt dieses Vorhaben mit einem exklusiven E-Magazin.

Und wie sieht es mit der Zusammenarbeit zwischen den Behörden aus, Stichwort Initiative Wirtschaftsschutz?

Aus meiner Sicht haben alle Beteiligte ihr Engagement nochmal verstärkt. Wir haben auch in der Krise neue Formate wie die digitale Roadshow Wirtschaftsschutz entwickelt. Mit diesem Projekt konnten wir in Zusammenarbeit mit Partnern der Initiative und unter Federführung des BMI aktuelle Themen zum Wirtschaftsschutz in die Regionen bringen und Entscheider in den Unternehmen für das Thema gewinnen. Natürlich unter Berücksichtigung regionaler Herausforderungen. Zudem dient die Initiative als Dialogplattform der beteiligten Partner. Das ist für uns alle sehr hilfreich, da wir durch einen intensiven Austausch aktuelle Problemstellungen diskutieren und im Bedarfsfall Lösungen sowie Hilfestellungen für die Unternehmen schaffen können. Für das Jahr 2022 planen wir weitere Hilfestellungen, die dann auch über die Homepage kommuniziert werden sollen.

Wie sieht es mit zwei weiteren Schwerpunkten der Branche, dem Verbandssanktionen- und dem Sicherheitsdienstleistungsgesetz, aus?

Die neuen Koalitionspartner haben sich darauf verständigt, verbindliche Standards für private Sicherheitsdienste in einem eigenen Gesetz zu regulieren. Das Gesetz ist der richtige Weg für die Branche. Wir sind optimistisch, dass die neue Bundesregierung nun die weiteren Schritte initiieren wird.

Das Verbandssanktionengesetz ist in der vergangenen Legislaturperiode gescheitert. Wir gehen davon aus, dass ein neuer Anlauf seitens der Bundesregierung unternommen und ein Unternehmenssanktionsrecht kommen wird. Auch die OECD hat Deutschland ausdrücklich dazu aufgefordert.

Digitale Transformation Deutschlands

Kommen wir von der Politik zur Praxis: Worin sehen Sie für Unternehmen generell die größten „Top Five“ Bedrohungen?

Unsere Wirtschaft befindet sich im Prozess der digitalen Transformation, und der Industriestandort Deutschland ist mit seinen Unternehmen zunehmenden Risiken ausgesetzt. Der ASW Bundesverband sieht folgende brisante Bedrohungen:

  • Cyberangriffe: Für Kriminelle und fremde Nachrichtendienste sind Cyberangriffe über das Internet hochattraktiv, da eine Vielzahl von Schwachstellen in Soft- und Hardware-Produkten Ansatzpunkte für die Entwicklung von Schadprogrammen liefern und durch die Möglichkeiten der Anonymisierung die Zurechenbarkeit und Ahndung von Angriffen erschwert wird.
  • Wirtschaftskriminalität und Wirtschafts- beziehungsweise Industriespionage: Wirtschaftskriminalität und Wirtschafts- beziehungsweise Industriespionage stellen eine reale Bedrohung für deutsche Unternehmen dar. Besonders zu schützen sind Forschungsdaten, Produktspezifikationen und Fertigungstechnologien.
  • Extremismus: Der Extremismus stellt mit zunehmender Radikalisierung und Populismus in der Gesellschaft eine Gefahr für die deutsche Wirtschaft dar. Fünf Entwicklungen haben für unsere Unternehmen eine hohe Relevanz: gewaltsame Angriffe, Protestaktionen, Radikalisierung von Mitarbeitern, Reputations- und Kollateralschäden. Hier rechnen wir mit einer weiteren Verschlechterung der Lage.
  • Ausfall von Lieferketten: Der Ausfall von Mitarbeitenden und Lieferketten, Betriebsunterbrechungen sowie die Folgen von Unruhen und Protesten stellen ein hohes Risiko für alle Unternehmen dar.
  • Externe Faktoren: Externe Faktoren wie Pandemien, Extremwetterereignisse und Naturkatastrophen werden zukünftig verstärkt auftreten und Auswirkungen auf den Standort Deutschland sowie die Welt haben.

Und welche besonderen Herausforderungen sehen Sie für dieses Jahr?

Auch in diesem Jahr wird uns die Pandemie weiter begleiten, und die Herausforderungen für Unternehmen und deren Sicherheitsverantwortliche werden nicht weniger werden. Wir müssen uns zunehmend auf komplexe Ereignisse einstellen. Einerseits werden uns Liefer- und Versorgungsengpässe intensiv beschäftigen. Andererseits werden wir uns darüber hinaus mit hybriden Bedrohungen, Schadensereignisse zum Beispiel in Folge von Umweltereignissen und der globalen Sicherheitslage, auseinandersetzen müssen. Wir als Wirtschaftsschutzverband beobachten die Entwicklungen sehr genau und werden uns maßgeblich an Lösungen und Hilfestellungen für die deutsche Wirtschaft beteiligen.

Messen als wichtige Plattform

Der ASW West hat ja ihre Zelte in Essen aufgeschlagen, Essen ist die Pilotstadt der Initiative Wirtschaftsschutz, und in Essen wird in diesem Jahr – Stand heute – auch wieder die Security stattfinden. Welchen Stellenwert räumen Sie Messen im Allgemeinen und der Security im Besonderen ein?

Messen sind für die Branche sehr wichtig. Sie geben einen wichtigen Überblick der neusten Trends und Entwicklungen. Zudem sind sie wichtige Plattformen für persönliche Begegnungen und Austausch. Die Security in Essen ist für die Branche und uns als Verband ein Highlight, und wir drücken die Daumen, dass die Messe in 2022 wie geplant stattfinden kann.

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