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Heißes Marksegment

Die Wärmebildtechnik befindet sich seit Jahren im Aufschwung und gilt nach wie vor als Wachstumsmarkt. Immer mehr Hersteller steigen ein und bieten – sei es in Form von OEM-
Produkten oder selbst enwickelten Lösungen – Thermalkameras an. Höchste Zeit, die Vorteile und Grenzen der Technik beim Forum Videosicherheit ausgiebig zu diskutieren.

Moderator Dirk Ostermann steigt mit einer kurzen Zusammenfassung in den Themenkomplex ein: „Wir sehen, dass die Wärmebildtechnik ein Markt ist, der stetig wächst und in dem sich immer mehr Anbieter tummeln. Damit einher gehen auch Veränderungen im Preisniveau – die Tendenz geht eindeutig nach unten. So wird die Technik für einen größeren Anwenderkreis interessant. Wem bringen Wärmebildkameras einen Mehrwert und wo tun sich neue Geschäftsfelder für diese Technologie auf?“ Bertrand Völckers vom Thermalkamera-Hersteller Flir ist zufrieden mit der Entwicklung: „Inzwischen ist erreicht, wofür Flir viele Jahre an vorderster Front gekämpft hat, nämlich dass Wärmebildkameras als überlegene Lösung am Perimeter akzeptiert sind – das zeigt sich schon daran, dass heute alle großen Endkunden solche Systeme installiert haben. Der Hauptvorteil ist die sicherer Erkennung und die geringe Anzahl an unerwünschten Alarmen. Daraus erklärt sich auch das große Wachstum.“ Auch Michael Haas vom Distributor Videor E. Hartig sieht große Zuwächse: „Ich kann bestätigen, dass die Nachfrage nach Wärmebildkameras stetig steigt und sich das aktuelle Wachstum in einer Größenordnung von circa 20 bis 30 Prozent bewegt. Der sinkende Preis erlaubt nun den Einsatz in einer Vielzahl von Anwendungen sowie in kleineren Projektgrößen. Und sehr oft wird in Kombination mit PTZ-Kameras gearbeitet.“

Erweiterter Einsatzbereich

Die Technik wird durch die größere Anwendungsbreite logischerweise auch für die Hersteller aus dem Segment der herkömmlichen Videokameras interessanter. Thorsten Wallerius von Hikvision skizziert die Entwicklung: „Wir haben in den letzten Jahren schon Thermalkameras angeboten, zunächst als OEM-Produkt, seit einiger Zeit auch mit einem eigenen Wärmebildsensor. Und weil im Thermalbereich der Preis schon ein ganzes Stück gesunken ist, können wir zusätzliche Anwendergruppen dafür begeistern, sei es zur Perimeterabsicherung, Brandschutz und Brandfrüherkennung, Analyse und Alarmierung nach Temperatur und anderes. Vor einigen Jahren noch war die Technik wegen des hohen Preisniveaus auf eine recht überschaubare Kundengruppe begrenzt.“ Gerhard Harand vom Distributor Wehrhan TPS sieht es ähnlich: „Vor allem in der Perimeter und Freigeländesicherung ist die Thermal- Technik eine sehr intensiv genutzte Lösung. Vor fünf oder sechs Jahren gab es ja schon einen großen Preissprung nach unten, und seitdem hat es deutlich an Dynamik gewonnen. Es ist kontinuierliches Wachstum vorhanden und auch beim Errichter angekommen. Es wird dort wie eine IP-Kamera wahrgenommen, so dass es keine Berührungsängste mehr gibt. Die Wärmebildkameras werden normal installiert und ins System eingebunden.“

Dirk Ostermann, Moderator des Forums
Bertrand Völckers, Central Europe Distribution, Flir Systems Inc.
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Rene Reinhard, Key Account Manager Dach Team, Dahua Technology GmbH
Stefan Bauböck, Sony Video Security Solutions, Business Development District Manager, Bosch Sicherheitssysteme

Kriterien und Knackpunkte

Dass die Thermalkameratechnik große Vorteile in gewissen Anwendungen bringen kann, ist damit zweifelsfrei erläutert, doch ein Allheilmittel für alle Anwendungen ist sie nicht. Zudem gilt es einige Punkte zu beachten, wenn man die Technik sinnvoll und problemlos einsetzen will. Rene Reinhard von Dahua empfiehlt, auf die Ausstattung und die Details zu achten: „Man kann Wärmebildkameras heutzutage in vielen Anwendungen einsetzen, sollte aber darauf achten, wie es um den Funktionsumfang der Kameras bestellt ist, dort gibt es schon Unterschiede. Interessant ist beispielsweise, welche Analysen die Kamera an Bord hat und ob damit so etwas wie Brandfrüherkennung möglich ist. Unter Umständen braucht man noch zusätzliche Software, die man integrieren können muss.“ Thorsten Wallerius ergänzt: „Natürlich ist auch die Auflösung ein Qualitätskriterium, und diese Bandbreite bieten wir entsprechend an.

Und die Auflösung kann durchaus relevant sein für die Qualität der Analyse. Klassischerweise muss man auch passende Brennweiten zur Verfügung haben, wenn man über eine gewisse Distanz detektieren will. Und man muss sich der Einschränkung bewusst sein, dass man mit einer Thermalkamera nur sehr schlecht Personen identifizieren kann.“ Gerade beim Punkt Reichweite und Detektion über größerer Entfernungen werden oft sehr hohe Werte genannt, wie auch Moderator Dirk Ostermann findet: „Ich lese häufig Angaben über Detektionsentfernungen von 300 Meter und mehr, ist so etwas überhaupt realistisch? Wenn ich also zwei Kilometer Zaun habe, brauche ich nur sieben Kameras, kann das so einfach sein?“ Bertrand Völckers relativiert: „Rein rechnerisch sollte man von der Zahl der Pixel ausgehen, die man braucht, um ein Objekt sicher erkennen zu können. Aber in der Praxis stellt sich in puncto Reichweite die Frage: Ist es relevant, dass es auch bei Regen und bei Schnee funktioniert? Man muss auch sehen, dass bei Nebel Wärmebildkameras den herkömmlichen Modellen zwar weit überlegen, aber dennoch keine Wunderwaffe sind. Man möchte in den meisten Anwendungen Systeme, die 365 Tage im Jahr funktionieren, und deshalb muss man von den denkbar schlechtesten Bedingungen ausgehen. Meine Erfahrung ist daher, dass für ein problemloses Funktionieren eine Reichweite 100 bis 150 Meter bei den allermeisten Witterungsbedingungen ein guter Wert ist.“

Die Grenzen kennen

Damit wurde schon deutlich, dass Wärmebildkameras, genau wie traditionelle Videokameras, nicht überall voll Leistung bringen und man sich der Grenzen bewusst sein sollte, wenn man keine böse Überraschung erleben möchte. Errichter Wilhelm Fischer von Netzwerkservice-Fischer gibt zu bedenken: „Natürlich muss man sich heute auch als Errichter mit der Thermaltechnik beschäftigen und dabei die Grenzen ausloten. Man sollte nicht einfach denken, wir haben hier ein neues Produkt, das behandeln wir wie jede andere IP-Kamera. Die Errichter müssen speziell auf dieses Thema hin geschult werden, damit man das Leistungsspektrum und auch die Grenzen einer Technik kennt, bevor man damit zum Kunden geht.“ Gerhard Harand schildert ein Beispiel aus der Praxis: „Wenn wir etwa die Perimetersicherung nehmen, dann geht es nicht nur um Technik und Reichweiten, sondern auch um organisatorische und bauliche Maßnahmen. Einiges ist ganz simpel: So muss das Gras ordentlich gemäht und störende Bäume entfernt werden, damit man sauber detektieren kann. Organisatorisch muss man sich bewusst sein, dass es nie ganz fehlalarmfrei geht, trotz bester Kamera und Analyse. Man braucht geeignete Abläufe zum Abarbeiten der Alarme. Das sind auch die Fallstricke in den Projekten, mit denen die Errichter und Kunden umgehen müssen.“ Wilhelm Fischer ergänzt eine weitere Einschränkung: „In Extremsituationen wird es für die Wärmebildtechnik kritisch, etwa in einem sehr heißen Sommer, wenn die Temperatur auf bis zu 36 Grad steigt und der Boden sogar nachts nicht mehr abkühlt. Ich weiß von Kollegen, die Freilandüberwachung machen, dass man dann keinen vernünftigen Temperaturunterschied detektieren kann. Das ist ein großes Problem, dass man offen und ehrlich beim Kunden ansprechen muss.“

Freund der Datenschützer

Trotz gewisser Einschränkungen, die es beim Einsatz von Thermalkameras zu beachten gilt, bieten sie an anderer Stelle entscheidende Vorzüge – einer davon betrifft den Datenschutz. Thorsten Wallerius meint: „Man kann sagen, im Allgemeinen ist Thermaltechnik viel weniger kritisch in Sachen Datenschutz als normale Videoüberwachungskameras. Dadurch dass man Personen kaum identifizieren kann, ist die Technik gegenüber Datenschützern leichter zu argumentieren.“ Volkhard Delfs von Panasonic relativiert: „Prinzipiell ist die Wärmebildtechnik datenschutzfreundlicher, aber man kann dennoch Personen in manchen Fällen erkennen, vor allem im Nahbereich. Konturen und Gesichtszüge können sich abzeichnen. In der Praxis ist das nicht weiter tragisch, denn normalerweise setzt man auf kurze Distanz keine Thermalkamera ein. Herkömmliche Videokameras haben überdies auch viele Möglichkeiten, datenschutzkonform zu arbeiten, denken wir an Verpixelung, Privatzonenmaskierung und Sicherheitsfunktionen in der Software.“ Bertrand Völckers plädiert für ein genaues Abwägen und das Einbeziehen aller Beteiligten: „Die Erfahrungen der Praxis zeigen, dass Wärmebildkameras bei Datenschützern und Betriebsrat sehr beliebt sind, da die informelle Selbstbestimmtheit gewährleistet bleibt. Aber der Kunde sollte trotzdem den Kontakt aktiv suchen. Wer meint, man müsse den Betriebsrat nicht berücksichtigen, der kann dann manchmal die gleichen Probleme erleben wie mit klassischen Überwachungskameras.“

Kombinationen und Alternativen

Trotz der grundsätzlichen Unterschiede in der Technik haben Thermalkameras und herkömmliche Videokameras durchaus Gemeinsamkeiten in der Anwendung. Vielfach sind sogar Kombinationen denkbar. Rene Reinhard ist überzeugt: „Oft ist eine Kombination von herkömmlichen Kameras mit Thermalkameras sehr sinnvoll, vor allem, wenn es darum geht, zu detektieren und anschließend auch Personen zu identifizieren. Generell ist immer dann, wenn es um Alarmierung gepaart mit Identifikation geht, eine Kombination ratsam.“ Waldmar Gollan von Arecont Vision empfiehlt lichtstarke Modelle: „Eine Kombination der Technologien liefert je nach Anforderungen die besten Resultate. Lowlight-Kameras bieten bedingt durch die immer noch höhere Auflösung und die Darstellung in Farbe den wesentlichen Vorteil für die Identifizierung und Klassifizierung von Objekten/Personen, da nur mit der entsprechenden Pixeldichte die Objekte bestimmt und anhand der Farbinformationen getrackt werden können.

Arecont Vision bieten diese Low-Light-Technologie auch in Multisensor-Kameras an, die bestückt mit vier Sensoren eine 180-Grad- Ansicht erzeugen und damit ähnlich wie Thermalkameras große Strecken beziehungsweise Flächen abdecken. Alternativ zu Low-light-Modellen mit Farbdarstellung sind auch extrem lichtempfindliche Schwarz-Weiss-Megapixelkameras eine Option, die zusammen mit Thermalkameras für die Detektion und Verifikation von Eindringlingen genutzt werden und dann mit zuschaltbarem Weißlicht und hochauflösenden Bildsensoren für die eindeutige Identifizierung sorgen.“ Stefan Bauböck von Bosch Sicherheitssysteme sieht auch lichtstarke Modelle im Vorteil: „Wir bieten selbst keine Wärmebildlösungen an, aber sehr wohl Kameras, die sich als Ergänzung zu Wärmebildtechnik eignen.

In unserem Portfolio befindet sich eine neue Kamera mit einem 35 Millimeter CMOS Chip, welche Farbbilder bei fast völliger Dunkelheit erzielen kann. Das ist z.B. auch für den Perimeterbereich sehr interessant. Wir können dabei sicherlich nicht auf 300 Meter Entfernung Objekte detektieren, aber auf eine große Distanz immer noch sehr viel sehen.“ Für Bertrand Völckers ist es eine Frage der individuellen Planung: „Bei der Kombination mit herkömmlicher Kameratechnik sind mehrere Lösungen möglich. Die Wärmebildkamera kann etwa als Fix kamera am Zaun entlang detektieren, während man mit einem Speed-Dome bei Alarmierung zur Identifizierung genau den entsprechenden Bildausschnitt heranholt. Wir kennen auch Beispiele, wo eine Zaunsensorik an Wärmebildkameras gekoppelt ist. Es sind je nach Kundenbedürfnis viele Kombinationen denkbar.“ Die Diskussion hat deutlich gezeigt, dass mit Wärmebildkameras heute vieles machbar ist, was vor Jahren noch als unerschwinglich galt. Dennoch lässt sich längst nicht jede Anwendung mit Thermalkameras „erschlagen“ – auf den Zweck und die Kundenwünsche kommt es an. Wenn man dies in der Praxis beherzigt und die Mehrwerte herausstellt, wird der Markt wohl noch einige Zeit weiter wachsen.

Michael Gückel

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