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Glasgarne und Gefährdungsanalysen

Am 4. und 5. Dezember 2013 fand die siebte VfS-Fachtagung zur Sicherheit in Justizvollzugsanstalten in Nürnberg statt. Rund 200 Teilnehmer informierten sich über sicherheitstechnische Entwicklungen und die Herausforderung bei Sanierung und Brandschutz in der JVA.

Rund 200 Teilnehmer folgten der Einladung des VfS zur Fachtagung Sicherheit in der JVA VII.
Rund 200 Teilnehmer folgten der Einladung des VfS zur Fachtagung Sicherheit in der JVA VII.

Nach der Begrüßung durch Wolfrid Joswig, Geschäftsführer des VfS (Verband für Sicherheitstechnik), gab Josef Hohensinn von Hohensinn Arichtektur aus Graz einen Einblick in die moderne Gestaltung der Justizvollzugs-anstalt Heidering Berlin.

Der Blick auf den Horizont

Das dortige Konzept soll den rund 300 Bediensteten mit einem qualitätsvollen Arbeitsplatz und den 648 Insassen ein entspanntes, sicheres Miteinander in der Zwangsgemeinschaft der JVA erlauben. Dazu gehören übersichtliche, gut zu sichernde Bereiche und eine Rundumverglasung der Dienstzimmer einerseits. Andererseits bietet der Ende 2012 fertiggestellte Bau trotz Gräben, Wällen und unterirdischen Gängen den Häftlingen ein Gefühl der Offenheit: von durchsichtigen Zaunanlagen, die einen Blick auf den Horizont ermöglichen, statt Mauern, bis hin zu hellen Räumen, großen Fenstern und einer Loggia. "Für Häftlinge ist der direkte Zugang zur Außenluft und die Wahrnehmung der Jahreszeiten ein stressabbauendes Element", erläuterte Josef Hohensinn das Konzept der JVA Heidering.

Sonderfall: Sicherungsverwahrung

Zum Sonderfall Sicherungsverwahrung gab Clemens Schmid (Abteilungsleiter Technik der JVA Straubing) einen ersten Erfahrungsbericht. Sicherungsverwahrte müssen räumlich getrennt von Strafgefangenen verwahrt werden, was auch einen eigenen Sport- und Freizeitbereich einschließt. Für die JVA Straubing bedeutete die Einrichtung von 84 Plätzen, für die 44 Vollzugsbedienstete bereitgestellt werden, allein 26 Millionen Euro Baukosten. Während die Sicherungsverwahrten nach innen eine größtmögliche Bewegungsfreiheit gewährt bekommen, ist ihr Kontakt nach Außen dauerhauft begrenzt. Hier geht es nicht um das Verbüßen einer zeitlichen Strafe, sondern um die Herstellung der Therapiefähigkeit. "Die Bereitschaft zu therapeutischen Maßnahmen ist erfahrungsgemäß nur bei rund einem Drittel der Sicherungsverwahrten vorhanden", sagte Schmid.

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Drogen- und Sprengstoffkontrolle

Dr. Frank Ellrich vom Fraunhofer Institut für Physikalische Messtechnik IPM stellte neue Technologien zur Drogen- und Sprengstoffdetektion bei der Postkontrolle in der JVA vor. Gerade im Zeitalter des Internets und der nicht Zurückverfolgbarkeit von Bestellungen über Tor-Server ist eine Inspektion verpackter Produkte wichtig.

Die vorgestellte Lösung T-Sense ist ein Bildgebungsverfahren, das eine Postsendung mit gesundheitsunschädlichen Terahertz-Wellen durchdringt, und anhand des Amplituden- (Ausschlag) und Phasenbildes (Laufzeit der Wellen) Fremdkörper ermittelt und aufzeigt. Eine punktuelle Untersuchung der Probe liefert mit einem spektralen Fingerabdruck und einer cheomoetrischen Analyse mehr Feinheiten als Röntgenbilder; so kann das rund 95.000 Euro teure Gerät T-Cognition auch Pulver wie Straßendrogen in unterschiedlicher Zusammensetzung identifizieren.

Brandgeschützte Vorhänge aus Glasgarn

Der Brandschutzfachberater Rolf Thiele referierte zum Thema vorbeugender Brandschutz in der JVA und zeigte, wie das Brandpotential in der Raum- und Gebäudeausstattung reduziert werden kann. "Ein Kilogramm Schaumgummi kann beim Verbrennen die Fläche eines Fußballfeldes zweieinhalb Meter hoch mit Brandrauch füllen", gab Thiele ein anschauliches Beispiel und ergänzte: "Den Brand selbst kann man oft nicht vermeiden, wohl aber die Ausbreitung des Rauchs."

Im Umfeld der JVA gab er Beispiele für textile Flächengewebe wie Vorhänge, die durch die Verwendung von Glasgarnen nicht brennbar sind. Auch das Problem der Matratzen und gepolsterter Sitzmöbel lässt sich durch die Verwendung eine Glasgewebe-trennstoffes lösen. Dabei warnte Thiele davor, Baustoffe und Bauteile, die in Deutschland bisher durch die DIN 4102-1 in brennbare und nicht brennbare Stoffe unterschieden wurden, direkt mit der Euronorum 13501-1 vergleichen zu wollen: "Bei der Euronorm werden noch Zusatzkritieren wie Rauchentwicklung und Abtropfen oder Abfallen berücksichtigt, und damit eine stärkere Differenzierung vorgenommen."

Exakte Ausschreibung und Gefährdungsanalyse

Die normgerechten Anforderungen und Konzepte zu Ausschreibungen für Türen, Tore und Fenster ein der JVA nahm Matthias Demmel (PFB Prüfzentrum für Bauelemente) ins Visier. "Die Ausschreibung muss herstellerneutral sein, die Angaben zu Grenzwerten müssen genau und die zu Normen aktuell sein, und die Klasse der Einbruchhemmung muss festgelegt sein", fasst Demmel die wichtigsten Eckdaten zusammen. Er rief dazu auf, nicht nur die 15 Landesbauordnungen, die EU-Bauproduktenverordnung, sondern auch die Maschinenrichtlinie und die Produktnorm EN 14351-1 für Außentüren und Fenster im Auge zu behalten, wobei diverse Richtlinien-Entwürfe Hilfestellung bieten. Darüber hinaus sei auch die Gefährdungsanalyse essentiell: "Wer seine Gefährdungen nicht einschätzt, für den ist hinterher alles gefährlich. UN wer seine Gefährdungen nicht dokumentiert, fängt bei jeder Änderung von vorne an", so Matthias Demmel.

Zum Abschluss des ersten Tages stand noch eine spannende Diskussionsrunde zu den besonderen Herausforderungen bei der Sanierung einer JVA aus Planersicht an. Markus Groben (Groben Ingenieure), Prof. Dr. Andreas Hasenpusch (Ingenieurbüro Rathenow BPS) und Roger Deters (Siganet) stellten sich den Problemen und den Fragen der Fachtagungs-Besucher.

Fehlende Ersatzteile, neue Vorschriften

Sanierungen werden in der JVA nötig, wenn der Leidensdruck groß ist, wenn neue Vorschriften oder Gesetze greifen, oder wenn aufgrund konkreter Vorfälle die von der JVA gestellte Bedarfsanmeldung akut wird. Roger Deters fasste zusammen: "Es gibt immer treibende Gründe für Sanierungen: so gibt es für alte Anlagen ab einem bestimmten Tag keine Ersatzteile mehr, der Hersteller stellt den Support ein, die Bausubstanz ist veraltet oder neue Leitungsanlagenrichtlinien werfen plötzlich die Frage auf, wohin die Kabel nun alle sollen. Gerade bei den Brandschutzvorschriften kommt man manchmal kaum noch hinterher."

Dabei ist zu beachten, dass auch der Stand der Technik in den JVAs den aktuellen, vernetzten Lösungen auf dem Markt hinterherhinkt. "Bei JVAs haben wir es oft mit absoluten Sonderlösungen zu tun", erklärte Dr. Andreas Hasenpusch. "Der Technologiestand ist oft von vor 15 bis 20 Jahren, einige Teile müssen aus Kostengründen beibehalten werden, ein Mischbetrieb entsteht, und es stellt sich die Frage, ob die Schnittstellen der Gesamtanlage noch funktionieren. Die Schnelllebigkeit der Technik ist für die JVAs ein Problem, Anlagen werden im Durchschnitt erst nach zwölf Jahren erneuert."

Rückkehr zum Standard

Diese Erfahrung teilte auch Markus Groben: "Früher hielten die Anlagen bis zu 30 Jahre. Heute ist die Innovationsgeschwindigkeit viel höher, so dass eine Anlage nach fünf Jahren veraltet ist. Zudem kommen immer neue Vorschriften dazu. Der Level der sicherheitstechnischen Anlagen sollte wo möglich wieder zum Standard zurückgeschrieben werden." Standard-Technologien versprechen eine längere Lebensdauer, da sie nicht so schnell auslaufen und abgekündigt werden.

Am zweiten Tag griff Marcel Ruf, Direktor der JVA Lenzburg in der Schweiz, das Thema Sanierung in der JVA wieder auf und berichtete über seine Erfahrungen zur Gesamtsanierung einer JVA während des laufenden Betriebs. Zudem standen technische Lösungen zur Mobilfunkunterdrückung auf der Agenda, die Dr. Torsten Fuß (TCS BPS Mimikri Systems) vorstellte. Über den Nachweis von verbotenen Substanzen im Urin informierte Dr. Christoph Steeger, Anstaltsarzt der JVA Geldern. Ebenso auf der Agenda standen Brandschutzkonzepte in JVAs unter Berücksichtigung neuer Normen, die Heiko Zies (HHP West Beratende Ingenieure) vorstellte. VfS-Geschäftsführer Wilfried Joswig gab zum Abschluss noch eine Momentaufnahme über die aktuellen Trends bei Videotechnik, Perimetersicherung, Funk und Kommunikation.

Ergänzt wurde die Fachtagung durch einen umfangreichen Ausstellerbereich speziell für Justiz-Lösungen, in dem unter anderem die Firmen Dallmeier, Geutebrück, Seetec und Funkwerk Video Systeme ihre aktuellen Videoüberwachungsprodukte vorstellten, die Firma Teckentrup ihre Haftraumtür aufgebaut hatte, und Deister Electronic seine Lösungen rund um das Schlüsselmanagement vorstellt. Die Teilnehmer konnten sich darüber hinaus über Kommunikaktionstechnik, Zutrittsmanagement von Kemas, Spezialgläser der Firma Schott, Perimeterschutz (Geobrugg) und Alarmsysteme von Securiton informieren.

Britta Kalscheuer

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