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Öffentliche Sicherheit 23. März 2021

Entführung – ein Trauma für Familien und Unternehmen

Für Familien und Unternehmen, die davon betroffen sind, ist eine Entführung ein traumatisches Erlebnis, wie der Rückblick auf Reemtsma-Entführung zeigt.

Wenn Menschen entführt werden,  stellt dies für die Angehörigen ein traumatisches Ereignis dar. 
Wenn Menschen entführt werden,  stellt dies für die Angehörigen ein traumatisches Ereignis dar. 

Zitat aus dem Buch „Im Keller“, Hamburger Edition 1997: „Eine Entführung, eine Zeit außerhalb aller anderen sozialen Kontakte als der antisozialen mit den Entführern, ist eine Zeit der aufgezwungenen Intimität. Und dies innerhalb eines extremen Machtgefälles: absolute Macht dort, absolute Ohnmacht hier.“

Planung einer Entführung

Die Entführung eines Menschen ist aus Sicht von professionell agierenden Tätern ein Projekt, das ausreichend vorbereitet sein muss, organisatorisches Geschick und Kreativität bedarf. Von der Zielauswahl bis zum späteren Geldverstecken darf bei einer professionellen Entführung nichts dem Zufall überlassen bleiben, wenn das Geschäft „Geld gegen lebende Geisel“ aufgehen soll.

Die Entführung eines Familienmitgliedes oder Mitarbeiter eines Unternehmens bedeutet für alle Beteiligten eine extreme Ausnahmesituation. Der normale Alltag ist verschwunden, die Existenz der Familie bedroht. Der psychische Druck ist gewaltig. Man ist auseinandergerissen worden, ohne sich zu verabschieden. Man fürchtet um das Leben des Entführten, und man fürchtet, nun falsche Dinge zu machen, die das Leben des Entführten weiter gefährden. Die psychologische Situation lässt sich nur schwer beschreiben. Während der Entführung können sich Phasen der Apathie, Lethargie und Panik ablösen. Stress kann zu verstärkter Solidarität führen. Es entwickelt sich bei den Betroffenen ein Bedürfnis nach Sicherheit, Stabilität, Geborgenheit und Ordnung, aber auch schnell Schuldzuweisungen.

Potenzielle Opfer

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Die Repräsentanten des Geldes sind in Deutschland unverändert am meisten gefährdet. Besonders gefährdet sind reiche Personen, die sich zurückgezogen haben und nicht mehr an zentraler Stelle im Geschäftsleben stehen. Diese reduzieren aus Sicht der Täter den Mitspielerkreis erheblich. So geschah es auch im Frühjahr 1996 in Hamburg. Auf der Terrasse der Villa lag unter einer Handgranate ein großer Drohzettel: „Wir haben Herrn Reemtsma entführt!!! Wir fordern ein Lösegeld von 20 Mio. DM. Nur gebrauchte Tausender, keine Serien. Zusammen 18.000 Scheine. Keine Markierungen. Übergabemodalitäten folgen mit Lebensbeweis. Einschalten von Presse und Polizei bedeutet den Tod!“

Das Opfer, ein reicher Industrieller, wurde nach einer langen Planungs- und Observationsphase auf seinem Grundstück gewaltsam verschleppt und dann 33 Tage in einem Kellerverlies angekettet gefangen gehalten.

Hochspannung für alle Beteiligten

Als Mitglied der Verhandlungsgruppe der Polizei Hamburg erfolgte meine Alarmierung am Morgen nach der Entführung. Wer bei der Verhandlungsgruppe im Nebenamt dabei ist, muss eine Spezialausbildung durchlaufen und wird in Gesprächsführung und Psychologie geschult. Mein Arbeitsname war „Grieche“, bezogen auf meinen griechischen Familiennamen. Die Verhandlungen mit Entführern stehen meistens unter einer klaren Zielvorgabe: Die Täter wollen möglichst viel Geld, die Familie möglichst bald eine unversehrte Geisel zurück. Die Täter haben die Initiative des Handelns und mit dem Leben der Geisel die erforderlichen Druckmittel.

33 Tage Hochspannung für die Familie und für die Polizei folgten nun. Jeder musste von einer Minute auf die andere im Sinne der Freilassung und Rettung des Opfers funktionieren. Und absolute Geheimhaltung war geboten, nichts durfte nach außen dringen.

Es folgten drei Wochen mit intensiver Betreuung der Familienangehörigen: Training eines Sprechers für den ersten Täterkontakt, Leben unter Camping-Bedingungen im Haus des Opfers, ständiges Bedienen der Aufzeichnungstechnik, konspiratives Verhalten bei der Begleitung des Kindes, täglich mehrfache Lagebesprechungen mit dem Polizeiführer und ständiger Austausch und Analysen mit den Angehörigen sowie Hintergrundbefragungen.

Die weiteren per Post oder Fax eingehenden Drohschreiben sowie die Annoncen in der Tageszeitung „Hamburger Morgenpost“ wurden in der Verhandlungsgruppe kriminalistisch analysiert und die Antworten an die Täter entwickelt.

Traumatisches Erlebnis/Interessenskonflikt droht

Mit dem Geldüberbringer wurden die Forderungen der Täter und dessen Verhalten besprochen und trainiert. Während der Phasen nach der Ablage des Lösegeldes war die nervliche Belastung für alle Beteiligten an das Limit gekommen. Zitat aus dem Buch „Wir sind dann wohl die Angehörigen“ (Verlag Piper 2018): „Mein Körper war seit Tagen taub und gar nicht mehr in der Lage, Gefühle zu zeigen. Das Gefühl, mit Wachs überzogen zu sein, von der Außenwelt abgeschnitten, allein und umgeben von einem Vakuum, das nichts an mich heranließ.“

Nach zwei gescheiterten Lösegeldübergaben musste zusätzlich der Überbringer durch unsere Einheit psychologisch betreut werden. In dieser Phase der Entführungssituation kann es zu einem Interessenkonflikt zwischen der Opferfamilie und der Polizei kommen, wenn die Familie fürchtet, dass die Strafverfolgungsmaßnahmen das Leben der Geisel gefährden könnten. So auch damals: Auf Wunsch der betroffenen Familie wurde seinerzeit die Polizei aus dem Betreuungs- und operativen Einsatz entlassen und die Befreiungsverhandlungen von internationalen Beratern fortgesetzt.

Bekanntlich wurde das Opfer nach Zahlung von 30 Millionen DM nach 33 Tagen freigelassen, und die Familie musste nun das Trauma verarbeiten. Besonders das Entführungsopfer, als es das Versteck, den Keller, zwecks Identifikation nochmals betreten musste.

Als erfahrener Polizist empfehle ich vermögenden Personen kompetente Beratung im Vorfeld und Einhaltung von Mindeststandards für vorbeugendes Verhalten. Der Spezialberater ist keine Konkurrenz zur Polizei, sondern eher „Anwalt“ der Familie im Falle einer spezifischen Angelegenheit.

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