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Öffentliche Sicherheit 18. April 2023

E-Mobile: Höheres Angriffspotenzial verändert City-Sicherheit

Warum das höhere Angriffspotenzial von E-Mobilen den Anfahrschutz bei der City-Sicherheit vor neue Herausforderungen stellt.

Elektrofahrzeuge haben aufgrund ihrer am Fahrzeugboden verbauten Lithium-Ionen-Akkus nicht nur ein höheres Gewicht, sondern auch einen deutlich tieferen Schwerpunkt. Dem höheren Angriffspotenzial  muss die City-Sicherheit Rechnung tragen. 
Elektrofahrzeuge haben aufgrund ihrer am Fahrzeugboden verbauten Lithium-Ionen-Akkus nicht nur ein höheres Gewicht, sondern auch einen deutlich tieferen Schwerpunkt. Dem höheren Angriffspotenzial  muss die City-Sicherheit Rechnung tragen. 

Das Thema City-Sicherheit ist von politischer Wichtigkeit, und manche Bundesländer setzen den Städten finanzielle Anreize, die Innenstädte und insbesondere ausgewiesenen Fußgängerzonen vor Angriffen durch Fahrzeuge zu schützen; bisher wenig thematisiert wurde dabei ein besonderer Aspekt des Anfahrschutzes –das erhöhte Angriffspotenzial von E-Mobilen.

E-Mobile stellen größeres Risiko dar als Pkw mit Verbrennungsmotor

Die ebenfalls staatlich geförderten und somit immer häufiger zugelassenen Elektrofahrzeuge können ein erheblich größeres Risiko für Leib und Leben von Passanten darstellen als Pkw mit Verbrennungsmotor. Elektrofahrzeuge haben aufgrund ihrer am Fahrzeugboden verbauten Lithium-Ionen-Akkus nicht nur ein höheres Gewicht, sondern auch einen deutlich tieferen Schwerpunkt als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor derselben Fahrzeugkategorie. Daraus ergeben sich gefährliche Eigenschaften:

  • Aufgrund des nah an der Straße liegenden Schwerpunkts von Elektrofahrzeugen wirken weniger Fliehkräfte. Das Fahrzeug hat eine besonders gute Straßenlage, was sich insbesondere bei hohen Geschwindigkeiten bemerkbar macht.
  • Im Umkehrschluss bedeutet dies auch, dass höhere Kurvengeschwindigkeiten möglich sind. Alternativ: Kurven schneller befahren werden können.
  • Aber nicht nur die Eigenschaft, eine Kurve mit höherer Geschwindigkeit durchfahren zu können, sorgt für eine erhöhte Gefahr durch Elektrofahrzeuge. Weiterhin liegt die generelle Beschleunigung eines Elektrofahrzeugs deutlich über der eines Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor derselben Fahrzeugkategorie. Die Gründe für die deutlich bessere Beschleunigungsleistung sind hauptsächlich im Drehmoment zu sehen, welches bei Elektrofahrzeugen beim Beschleunigen aus dem Stand beinahe sofort und maximal verfügbar ist. Hingegen wird das maximale Drehmoment eines Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor oft erst ab der Mitte des Drehzahlbereichs erreicht. Hierdurch ist die Anfangsbeschleunigung eines E-Mobiles im Vergleich zu einem Fahrzeug mit Verbrennungsmotor, auch bei vergleichbar hoher Leistung (PS), signifikant höher.
  • Ein zusätzlicher Treiber für die explosive Beschleunigung ist der in nahezu jedem Elektrofahrzeug verbaute Allradantrieb. Zudem verfügen Elektrofahrzeuge, die viel Kraft haben und diese auch optimal auf die Straße bringen wollen, über mehrere Motoren, die häufig in unmittelbarer Nähe der Räder liegen. Die Leistung wird verteilt, ein Durchdrehen der Räder wird unterdrückt und das Fahrzeug kann schneller beschleunigen.

Exkurs Drehmoment

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Drehmoment meint, einfach ausgedrückt, eine Kraft, die etwas dreht. Sie wird in Newtonmeter [Nm] angegeben. Das Drehmoment eines Motors sorgt im Zusammenspiel mit der Motorendrehzahl für Leistung, die in Kilowatt [kW] oder traditionell in Pferdestärken [PS] angegeben wird.

Autos, die mit Diesel oder Benzin fahren, haben ihren maximales Drehmoment oft erst ab der Mitte ihres Drehzahlbandes und ihre höchste Leistung meist in der Nähe der maximalen Drehzahl, also kurz vor dem roten Bereich des Drehzahlmessers am Armaturenbrett. Der Elektromotor hingegen gibt von Anfang an sein volles Drehmoment ab. Je stärker das Drehmoment und je kleiner die dafür benötigte Drehzahl, umso kräftiger können Autos von unten heraus beschleunigen. Hinzu kommt, dass die meisten Elektroautos nur einen Gang haben. Dies ermöglicht eine maximale Beschleunigung ohne Schaltunterbrechungen. Die aufgestellten Thesen zur Gefährlichkeit können mithilfe von Zahlen belegt werden.

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Beschleunigungszeiten sind deutlich geringer

Zunächst betrachtet man die Herstellerangaben zu Geschwindigkeiten beziehungsweise Geschwindigkeitstests, die in der Regel durchgeführt werden, um die Beschleunigungsleistung eines Fahrzeugs vergleichbar zu machen. Hierzu werden von unterschiedlichen Fahrzeugherstellern unterschiedliche Beschleunigungszeiten angegeben, die benötigt werden, um die Grenzwerte 50 Kilometer pro Stunde und 100 Kilometer pro Stunde zu erreichen. Tabelle 1 zeigt Beschleunigungszeiten für Referenzfahrzeuge der jeweiligen Klassen.

Die Beschleunigung wird in der Physik in Meter pro Quadratsekunde (m/s²) ausgedrückt. Aus den vorangegangenen Werten der Beschleunigungszeit können nun entsprechende Beschleunigungswerte berechnet werden. In Tabelle 2 findet sich ein Vergleich der Beschleunigungswerte von verschiedenen Fahrzeugkategorien.

Fast doppelte Beschleunigungsleistung

Bereits an diesen Daten lässt sich bereits klar erkennen, dass die Beschleunigungsleistung von Elektrofahrzeugen im Vergleich zu Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor fast doppelt so hoch ist (teilweise noch höher). Doch was bedeutet das Ganze eigentlich für das Thema City-Sicherheit im Allgemeinen und Anfahrschutz im Speziellen? Wichtig ist es dabei zu wissen, welche Geschwindigkeiten die Fahrzeuge nach welcher Distanz erreichen können. Wenn die Geschwindigkeit berechnet ist, kann im nächsten Schritt die wirkende kinetische Energie berechnet werden. Tabelle 3 zeigt einen Vergleich der berechneten erreichbaren Geschwindigkeiten (Vmax) der jeweiligen Fahrzeugkategorien nach unterschiedlichen Distanzen. Dabei ist zu beachten: Es handelt sich hierbei um berechnete Werte, die unter Idealbedingungen getestet wurden. Bei nasser Straße oder anderen Umwelteinflüssen können die realen Zahlen von den berechneten Werten abweichen. Die Werte der oberen Tabelle wurden anhand dieser Formel berechnet: v = a * t * v0.

v = Geschwindigkeit in Meter pro Sekunde [m/s], a = Beschleunigung in Meter pro Sekunde zum Quadrat [m/s2], t = Zeit in Sekunden [s], v0 = Anfangsgeschwindigkeit in Meter pro Sekunde [m/s].

Höheres Angriffspotenzial

Die Tabelle zeigt, dass die Geschwindigkeit von Elektrofahrzeugen deutlich schneller ansteigt als bei einem vergleichbaren Modell mit Verbrennungsmotor. Nach 50 Metern ist die Geschwindigkeit eines Elektrofahrzeugs bereits knapp 30 Kilometer pro Stunde höher als beim Fahrzeug mit Verbrennungsmotor. Und dass, obwohl Elektrofahrzeuge knapp 100 bis 300 Kilo mehr auf die Waage bringen als vergleichbare Verbrenner.

Die größere Geschwindigkeit und auch das höhere Gewicht der Elektrofahrzeuge bedeuten im Umkehrschluss ein erhöhtes Sicherheitsrisiko, da es durch diese beiden Faktoren eine erheblich höhere kinetische Energie zu kompensieren gibt. Tabelle 4 zeigt beispielhaft die berechnete kinetische Energie der vier relevanten Fahrzeugklassen nach einem Anfahrtsweg von 50 Metern. Die entsprechende Formel dazu lautet: EKin = ½ * m * v². EKin = kinetische Energie [kJ], m = Masse [kg], v = Geschwindigkeit [m/s]

Die kinetische Energie

Die berechnete kinetische Energie von Elektrofahrzeugen ist nach 50 Metern Anfahrdistanz bereist mehr als doppelt so hoch wie bei einem vergleichbaren Modell mit Verbrennungsmotor. Denkt man die Sache noch etwas weiter, so haben die Elektrofahrzeuge ab einer Anfahrdistanz von 135 Metern (Elektro-Pkw, 141 Kilometer pro Stunde) beziehungsweise nach 150 Metern (Elektro-SUV, 129 Kilometer pro Stunde) eine Geschwindigkeit erreicht, bei der die zu kompensierende kinetische Energie so hoch ist, dass zu deren Kompensation geeignete und zertifizierte Standardprodukte (zum Beispiel Poller oder Wedges) nicht auf dem Markt erhältlich sind. Zum Erreichen einer den Elektrofahrzeugen gleichwertigen kinetischen Energie benötigen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor etwa 370 Meter (SUV, 132 Kilometer pro Stunde) beziehungsweise 465 Meter (PKW, 151 Kilometer pro Stunde).

Die in diesem Artikel berechneten Werte veranschaulichen deutlich, welch potenzielles Risiko von Elektrofahrzeugen im Vergleich zu Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor ausgeht. Und hierbei beziehen wir uns lediglich auf die Elektrofahrzeuge der Klasse Pkw beziehungsweise SUV und Lkw sind noch gar nicht berücksichtigt.

Bis Elektro-Lkw alltäglich sind, wird nicht mehr allzu viel Zeit vergehen. Der Elektroautobauer Tesla liefert seit Ende 2022 seinen Tesla Semi aus. Der E-LKW erbringt laut Tesla-Website eine Höchstgeschwindigkeit von über 100 Kilometer pro Stunde. Er soll ohne Anhänger innerhalb von fünf Sekunden von null auf 60 Meilen pro Stunde (96,6 Kilometer pro Stunde) beschleunigen können. Mit angehängtem 80.000 Pfund schwerem Anhänger (rund 36 Tonnen) benötigt er für dieselbe Endgeschwindigkeit nur 15 Sekunden mehr. Wenn man bedenkt, dass die uns bekannten hochsicheren Standardprodukte auf dem Markt einer kinetischen Energie in einer Größenordnung von ca. 3.000kJ Paroli bieten können, was jedoch einem 40-Tonner bei einer  Geschwindigkeit von lediglich 45 Kilometer pro Stunde  entspricht, kann dem involvierten Leser an dieser Stelle doch etwas unbehaglich werden. Immerhin benötigt der Elektro-Lkw zum Erreichen dieser Geschwindigkeit nur einen Anfahrtsweg von etwa 60 Metern.

City-Sicherheit muss Konzepte anpassen

Elektrofahrzeuge können aufgrund ihres hohen Beschleunigungspotenzials auf kurze Distanzen hohe Geschwindigkeiten erreichen und enthalten somit bei einem direkten Aufprall eine hohe kinetische Energie. Das Risiko durch Elektrofahrzeuge muss jedoch auch relativiert werden, da die meisten Elektrofahrzeuge mit diversen Assistenzsystemen ausgestattet sind, die beispielsweise Auffahrunfälle und Personenschäden verhindern sollen. Entsprechend würde ein Elektrofahrzeug voraussichtlich vor dem direkten Aufprall auf eine Sicherungsmaßnahme die Geschwindigkeit verringern, woraufhin ebenfalls die wirkende kinetische Energie gesenkt und insgesamt ein geringerer Schaden entstünde. Somit stellen Elektrofahrzeuge primär dann ein erhöhtes Sicherheitsrisiko für Innenstädte und Fußgängerzonen dar, wenn sie über keine Assistenzsysteme verfügen oder diese abgeschaltet beziehungsweise manipuliert werden.

Dennoch sollten nach Meinung des Autors in Zukunft weitere Sicherheitsmaßnahmen, teilweise schon ab Werk, also während der Produktion des Fahrzeugs, zum Einsatz kommen. Der dazu passende Begriff lautet Security by Design. Ein Beispiel hierfür könnte eine GPS-gesteuerte Drosselung der Leistungsfähigkeit der Elektromotoren mit einhergehender festgelegter Höchstgeschwindigkeit sein. Alternativ ließe sich auch ein generelles, ebenfalls GPS-gesteuertes Verbot für größere Lkw im Innenstadtgebiet realisieren.

Sebastian Stürmann, Prokurist der Von zur Mühlen’sche (VZM) GmbH mit den Spezialgebieten Sicherheitskonzepte, City-Sicherheit sowie Notfall- und Krisenmanagement

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