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Auslagerung von Bargeldauszahlungen als Lösung für Banken?

2022 sind so viele Bankautomaten in Deutschland das Ziel von Sprengungen gewesen, wie nie zuvor. Die Täter lassen sich auch von Sicherheitsmaßnahmen nicht abschrecken.

Bei der Sprengung eines in einer dicken Straßenmauer eingelassenen Automaten in Frankreich blieben nur noch Trümmer übrig.
Bei der Sprengung eines in einer dicken Straßenmauer eingelassenen Automaten in Frankreich blieben nur noch Trümmer übrig.

Im vergangenen Jahr hat die Sprengung von Bankautomaten in Deutschland mit 496 Fällen einen neuen Höchststand erreicht. Gegenüber dem Vorjahr mit 392 Fällen bedeutet dies einen Anstieg um 27 %. Darunter fallen sowohl versuchte als auch vollendete Sprengungen. Die gut organisierten Angreifer gehen dabei nach altbewährtem Muster vor. Die Taten ereignen sich in der Regel zur Nachtzeit, wenn mit wenig bis gar keinem Publikumsverkehr in der Nähe des Ziels zu rechnen ist. Dennoch ist bei den angewandten Mitteln ein hoher Kollateralschaden zu verzeichnen, der auch das Leben von Menschen gefährden kann, etwa, wenn der Automat in der Filiale Teil eines Wohngebäudes ist.

Umherfliegende Trümmerteile und die mitunter starke Beschädigung von Gebäudestrukturen können aber auch den Tätern selbst gefährlich werden. Zu beobachten ist, dass in den letzten Jahren der Anteil an Explosivstoffen stark zugenommen hat und dass das Einleiten von Gas als Sprengmittel rückläufig ist. Solche sogenannten selbstgebastelten „Blitz-Knall-Körper“ haben eine deutliche höhere Sprengwirkung als Gasgemische, mit teils unkalkulierbaren Folgen. Auch andere Festsprengstoffe eigener Rezeptur können zum Einsatz kommen. In Nordrhein-Westfalen, wo durch die Nähe zu den Niederlanden, der guten Verkehrsinfrastruktur und zugänglichen Zielen in Form von 11.00 Geldausgabeautomaten besonders viele Sprengungen stattfinden, wird etwa regelmäßig die Tatortgruppe Sprengstoff des Landeskriminalamtes NRW angefordert, um Risiken für Einsatzkräfte und unbeteiligte Dritte einschätzen zu können. Allen Vorfällen mit Explosivmitteln ist gemein, dass die finanziellen Kollateralschäden den Wert der Beute eigentlich immer weit übersteigen.

Ein effektiver Schutz ist möglich – aber nicht umsonst

In anderen Ländern wie Frankreich oder den Niederlanden gibt es bereits seit längerem die Pflicht, die Geldkassetten in den Automaten mit Farbpatronen zu sichern, was die Beute wertlos machen soll. Auch das Verkleben der Geldscheine zu einem unauftrennbaren „Packen“ hat sich bewährt. In Deutschland ist es bislang den Banken überlassen, ob und wie sie ihre Automaten sichern, was ein Grund ist, dass ausländische Banden gerne in Deutschland, vor allem im Grenzgebiet, zuschlagen. Letztendlich läuft es auf eine Risikobeurteilung und den Kosten-Nutzen-Faktor von Maßnahmen hinaus. Sicherungsmöglichkeiten gibt es mittlerweile zahlreiche, sie zeigen aber nicht immer den gewünschten Effekt. Farbpatronen scheinen die Täter nicht unbedingt abzuschrecken, zumindest, wenn sie nicht, wie im benachbarten Ausland, generell vorgeschrieben sind. Ein Grund mag der Schwarzmarkt für so markierte Scheine sein, sodass ein Raub von gefärbten Noten sich immer noch für die Täter auszahlen kann. Auch die Maßnahmen zur Verhinderung von Sprengungen durch Gasgemische sind zweischneidig – einerseits zeigen sie gegen Gasgemische durchaus Wirkung, andererseits hat dies auch eben zur verstärkten Nutzung festexplosiver Stoffe geführt.

Die Banken stellen sich daher für jede Filiale und Automaten die Frage, inwieweit die zusätzliche Absicherung anhand des vorhandenen Risikos sinnvoll erscheint – oder ob eine Stilllegung des Automaten nicht die einfachere und günstigere Variante ist. Bleiben die Automaten erhalten, so muss geprüft werden, inwieweit durch das rücksichtslose Vorgehen der Täter ein erhöhtes Risiko für Menschen und Objekte wie die Gebäude, in denen die Automaten stehen, besteht. Einige Banken haben daher begonnen, Automaten im Freien aufzustellen, was Kollateralschäden minimieren soll. Eine Möglichkeit, diese Automaten dann zu sichern, bietet der Hersteller Veloform an: Quasi ein Aufstell-„Bunker“ für den Automaten. Dieser ist von einer Stahlbetonwand mit bis zu 16 cm Stärke umgeben, der Geldausgabeautomaten und sein Inhalt selbst sind durch Panzerglas, Rollladen sowie Einfärbe und Verklebe-Sicherungen geschützt. Mit herkömmlichen Knallkörpern auf Schwarzpulverbasis aus illegalen Böllern ist hier kein Geld zu holen. Doch einen solchen Schutz müssen betroffene Banken sich auch leisten wollen.

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Automaten werden mit brachialer Gewalt aufgesprengt.
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Herausforderung für Banken: Sprengung von Geldautomaten
Banken sind sich der Gefahren von Angriffen auf Geldautomaten meist bewusst. Dennoch kommt es immer häufiger zu erfolgreichen Sprengungen.

Der Einzelhandel als künftige Alternative für das Bargeld?

Im Jahr 2021 gab es in Deutschland gab es laut Bundesbank 55.136 Geldausgabeautomaten. Gegenüber dem Vorjahr hat es einen leichten Rückgang gegeben, doch seit 2001 ist die Zahl insgesamt um elf Prozent gewachsen. Dennoch dürfte der jüngste negative Trend eher anhalten. Die Gründe hierfür sind häufig strukturell bedingt, doch in Regionen mit häufigen Sprengungen können auch diese dazu beitragen, dass Geldausgabeautomaten verschwinden. Eine Umfrage der Bundesbank 2021 hat ergeben, dass die überwiegende Mehrheit der Befragten aktuell nach wie vor einen sehr bis ziemlich einfachen Zugang zu einem Geldausgabeautomaten hat, auch im ländlichen Raum. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass der Einzelhandel als Versorger mit Bargeld deutlich zugenommen hat, wenngleich die Geldausgabeautomaten nach wie vor weit vorne in der Gunst liegen.

Die Häufigkeit der Nutzung von Ladenkassen, um sich mit Bargeld zu versorgen, hat sich gegenüber 2017 von 23 auf 34 % erhöht. Ladenkassen sind zwar kein Ersatz für Geldausgabeautomaten, aber zunehmend eine willkommene Ergänzung. Das Interesse an solchen Dienstleistungen kommt von beiden Seiten, den Banken und dem Einzelhandel. „Banken haben den Nutzen des Einzelhandels als Dienstleister für die Bargeldversorgung seit einiger Zeit erkannt, denn der Handel verfügt seit Jahrzehnten über ein komplexes und etabliertes System“, erklärt Maximilian Harmsen von PwC Deutschland. Unabhängig von den Risiken für einen Geldausgabeautomaten ist der Betrieb eines Automaten nicht unbedingt günstig – etwa 25.000 Euro kostet dieser im Jahr, nebst Anschaffungskosten. Da ergibt es Sinn, gerade dort, wo der Betrieb auch aufgrund eines erhöhten Risikos, unrentabel zu werden droht, den Einzelhandel als Alternative in Betracht zu ziehen. Der Einzelhandel wiederum entdeckt das „Banking“ als Cash-Back-Geschäft im Supermarkt als Gelegenheit, Kunden durch weitere Dienstleistungen mehr an sich zu binden und sich dadurch neue Märkte zu erschließen.

Die Banken lassen sich diese Dienste durch Gebühren bezahlen, was bei den Händlern durchaus auch auf Unmut stößt, da sie in ihren Augen ja die Bargeldversorgung als Aufgabe der Banken mit übernehmen. Laut einer EHI-Studie von 2020 zahlen die Händler etwa 2,8 % ihres gesamten „vereinnahmten“ Bargeldumsatzes an Kunden aus, im Schnitt knapp 97 Euro. Führend sind dabei vor allem die großen Supermarktketten, Discounter und SB-Warenhäuser. Im Fachhandel und Tankstellen wird vergleichsweise noch wenig von der Bargeldabhebung Gebrauch gemacht.

SB-Kassen verwahren das Geld in einem in sich geschlossenen Kreislauf.
SB-Kassen verwahren das Geld in einem in sich geschlossenen Kreislauf.

Bargeld bleibt beliebt

Durch die Corona-Pandemie hat das kontaktlose Bezahlen an der Kasse zwar deutlich zugenommen, trotzdem bleibt Bargeld ein wichtiger Bestandteil des täglichen Zahlverhaltens der Deutschen. Gerade das Vertrauen in die Anonymität gegenüber jeglicher digitaler Bezahlmethode wie Giro- oder Kreditkarte und der vermeintlich bessere „Überblick“ über die eigenen Finanzen seien die großen Vorteile. Viele Einzelhändler und Supermärkte bieten alternativ zur normalen Kasse auch Selbstbedienungskassen an oder komplette Cash-Recycler-Systeme an. Bei beiden wird der Bezahlvorgang nicht mehr über den Mitarbeiter an der Kasse, sondern über das Gerät gesteuert. Das Geld wird auf Echtheit überprüft, der Kassenbestand automatisch verwaltet und abgeglichen, was Differenzen nahezu ausschließt. Der in sich geschlossene Bargeldkreislauf sorgt für mehr Transparenz und Sicherheit, da nur wenige Personen Zugriff auf das Geld haben. Da solche Systeme den Bargeldbestand aktuell erfassen und melden können, kann der Betreiber die Wechselgeldzuführung und der Abtransport von Kassenbeständen besser planen, womit eher turnusgemäße Fahrten von Geldboten, die unter Umständen vorhersehbar sind, reduziert oder ganz entfallen. Das Geld muss dann auch im Handel nicht unnötig lange bis zur Abholung „zwischengeparkt“ werden, was die Sicherheit erhöht und Risiken weiter mindert.

Der Nutzen solcher Systeme zeigt sich auch in der Falschgeldproblematik, gerade bei kleinen Scheinen. An der Kasse werden – wenn überhaupt – nur größere Scheine gescannt, der Automat übernimmt dies dagegen bei jeder Einzahlung mit hoher Zuverlässigkeit. Überall dort, wo mit Bargeld ohne Prüfung gezahlt werden kann, steigt da Risiko von Falschgeld. „Bargeldverkehr birgt immer die Möglichkeit, größere Geldbestände zu stückeln und damit Falschgeld in Umlauf zu bringen und damit Geldwäsche zu betreiben“, so Harmsen.

Verbesserter Sprengschutz für Geldautomaten durch EAM
Energieabsorbierende Module (EAM) schützen die in Geldautomaten verbauten Tresore effizienter vor Sprengstoffangriffen und minimieren Schäden im Umfeld.

Nur Prävention und Fahndungsdruck zeigen nachhaltige Erfolge

Auch wenn der Einzelhandel einige Funktionen der Banken, was Einzahlungen und Abhebungen betrifft, übernimmt, so dominieren nach wie vor die Geldausgabeautomaten bei den Kunden zur Bargeldversorgung. Die Banken sind also gefordert, ihre Automaten entsprechend zu sichern, was auch eine vom BMI initiierte gemeinsame Erklärung des runden Tischs „Geldautomatensprengungen“ vom November 2022 anregt. Die Spitzenverbände der Deutschen Kreditwirtschaft wollen sich demnach zu einem besseren Schutz von Automaten verpflichten und die Standorte einer Risikoanalyse unterziehen. Zu den Maßnahmen gehören etwa der Nachtverschluss des Selbstbedienungs-Foyers, der Einsatz von Nebel-, sowie von Einfärbe- oder Klebesystemen.

Auch die Videoüberwachung soll verbessert und der Bargeldhöchstbestands reduziert werden. Um eine besseres Lagebild zu erhalten, wollen die Institute zudem relevante über die Standorte und die vorhandenen Sicherungsmaßnahmen an die Behörden liefern. Doch auch die Behörden sind gefragt, denn wie das Beispiel der Niederlande zeigt, ist es auch dem hohen Fahndungsdruck dort zu verdanken, dass beim Nachbarn die Fälle von Sprengungen stetig zurückgegangen sind, zugunsten einer Verdrängung Richtung Deutschland.

Dass auch hier umfassende polizeiliche Maßnahmen zum Erfolg führen können, zeigt der Erfolg der LKAs Bayern und Baden-Württemberg gegen Geldautomatensprenger in den Niederlanden. Dieser Erfolg basiert auch auf der engen Kooperation zwischen den Behörden im In- und Ausland. Nur so lassen sich die Banden in ihrem Wirken effektiv bekämpfen und die Gefahr für Menschen durch rücksichtlose Sprengungen reduzieren.

Hendrick Lehmann, freier Mitrabeiter PROTECTOR

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